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Gedenktag Euthanasie-Morde im Mittelpunkt

In mehreren Städten Sachsen-Anhalts wurde mit Kranzniederlegungen und Gedenkstunden an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert.

27.01.2017, 12:32

Magdeburg (dpa) l  Bei der zentralen Gedenkfeier in Halle betonte Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU), der 27. Januar solle den Opfern ihre Würde im Gedenken wiedergeben. Sie seien nicht vergessen.

Zwar könne kein Volk seine Vergangenheit ungeschehen machen. Aber es könne aus seiner Geschichte lernen. Der Auftrag laute, die Zukunft im Geiste der Freiheit, der Toleranz, der Mitmenschlichkeit und der Weltoffenheit zu gestalten.

Die Linken-Landesvorsitzende Birke Bull-Bischoff erklärte anlässlich des Gedenktages, ihre Partei werde sich den Versuchen entgegenstellen, Geschichte umzudeuten und den Holocaust kleinzureden.

In mindestens acht Städten des Landes gab es Gedenkfeiern. In Magdeburg etwa legte Oberbürgermeister Lutz Trümper (parteilos) gemeinsam mit Vertretern von Parteien, der Jüdischen Gemeinde und der Kirchen am Mahnmal für das ehemalige KZ-Außenlager Magda Kränze nieder.

In einer bewegenden Gedenkstunde hat der Bundestag in Berlin an die Millionen Opfer des Nazi-Regimes erinnert. Parlamentspräsident Norbert Lammert betonte die Verantwortung Deutschlands, diese Verbrechen nie zu vergessen, und verwies auf den Artikel 1 des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Lammert fuhr fort: "Doch die Geschichte zeigt: Die Würde des Menschen ist antastbar. Nirgendwo wurde dieser Nachweis gründlicher erbracht als in Deutschland."

"Wir gedenken in diesem Jahr besonders der Kranken, Hilflosen und aus Sicht der NS-Machthaber "Lebensunwerten", die im sogenannten "Euthanasie"-Programm ermordet wurden", sagte Lammert. "300.000 Menschen, die meisten zuvor zwangssterilisiert und auf andere Weise gequält." Zwischen der "Euthanasie" und dem Völkermord an den europäischen Juden habe "ein enger Zusammenhang" bestanden, sagte Lammert. "Als "Probelauf zum Holocaust" gilt das Töten durch Gas, das zuerst bei den "Euthanasie"-Opfern praktiziert und damit zum Muster für den späteren Massenmord in den NS-Vernichtungslagern wurde."

An der Gedenkstunde des Parlaments nahm auch Bundespräsident Joachim Gauck teil. Seit 1996 wird auf Anregung des damaligen Staatsoberhaupts Roman Herzog am 27. Januar – dem Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz – in Deutschland der NS-Opfer gedacht. 2005 riefen die Vereinten Nationen diesen Tag zum internationalen Holocaust-Gedenktag aus.

Der Neffe des "Euthanasie"-Opfers Benjamin Traub, Hartmut Traub, sagte im Bundestag, Erinnern sei mehr als bloßes Zur-Kenntnis-Nehmen. "Erinnern – so sagt es das Wort – geht uns innerlich an. Es betrifft uns." Manches Erinnern erfordere Mut und Beharrlichkeit. "Manches Erinnern ist eine Pflicht, die uns der Wille zur Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit gegenüber Schuld und Versagen auferlegt." Traub war einer von mehreren Rednern, die Einzelschicksale von "Euthanasie"-Opfern schilderten.

Bundestagspräsident Lammert erinnerte auch an die sogenannte Wannsee-Konferenz der Nazis: "Es ist heute fast auf den Tag genau 75 Jahre her, dass 15 hochrangige Vertreter des Nazi-Regimes in einer Berliner Villa im Westen der Hauptstadt zusammenkamen, um mit unfassbarer Menschenverachtung den millionenfachen Mord an den europäischen Juden möglichst effizient zu organisieren, der damals längst beschlossen war und auch seit langem begonnen hatte." 

Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 spiegele "jene zynisch technokratische Unmenschlichkeit und ideologisch verbrämte Barbarei wider, die neben Juden auch andere Gruppen unschuldiger Menschen traf", so Lammert. Deutschland gedenke "der Sinti und Roma, der Millionen versklavter Slawen, der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, der Homosexuellen, der politischen Gefangenen, der Christen, der Zeugen Jehovas, all derer, die wegen ihrer religiösen und politischen Überzeugungen von der nationalsozialistischen Ideologie zu Feinden erklärt, verfolgt und vernichtet wurden". Lammert erinnerte "auch an diejenigen, die mutig Widerstand leisteten oder anderen Schutz und Hilfe gewährten".

Nach 1945 sei nur ein kleiner Teil der Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern, die am Mord an Kranken und Behinderten beteiligt waren, vor Gericht gestellt worden, "nicht wenige erst Jahrzehnte nach der Tat", sagte Lammert. "Viele Verfahren endeten wegen Verjährung oder dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten mit Freisprüchen. Bedenkt man, dass als Spätfolge der NS-Todesmaschinerie in manchen Anstalten noch 1948 die Sterberaten bei über 30 Prozent und damit weit über dem Normalwert lagen, wirkt die Milde der Justiz auch heute schlicht und einfach: skandalös." Erschütternd sei "auch die jahrelange Gleichgültigkeit in Wissenschaft, Medien und Politik".