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Landtagswahlen Kreuz bei AfD in Ost und West ähnlich

Wenn es in Ostdeutschland zu Ausschlägen bei Wahlen kommt, ist es typisch Ostdeutsch. Stimmt das? Ein Wahlforscher gibt Einblicke.

24.08.2019, 11:49

Berlin (dpa) | Gerade ein relativ neuer, kleiner Wohlstand kann besonders intensive Verlustängste hervorrufen. Das sagt der Wahlforscher Matthias Jung im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Wenn in Sachsen und Brandenburg gewählt wird, könnten solche Ängste oft den Ausschlag geben, das Kreuz bei der AfD zu machen. Insgesamt, so betont Jung, seien die Motive der Wähler und Wählerinnen in Ost und West aber oft ähnlich.

Bei den bevorstehenden Wahlen im Osten werden teils große Zugewinne für die AfD prognostiziert. Ist das ein stark ostdeutsches Phänomen, was sagen Ihre Daten?
Im Prinzip gibt es keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Anhängern der AfD in Ost und West. Aber die Voraussetzungen der AfD-Nähe sind im Osten häufiger gegeben als im Westen.

Was heißt das genau?
Da ist zunächst die unterschiedliche ökonomische Position zu berücksichtigen. Die Befragten im Westen hatten länger Zeit, Vermögen, gerade auch kleinere, anzusparen als im Osten. Und gerade ein relativ neugewonnener, bescheidener Wohlstand kann besonders intensive Ängste hervorrufen, dass er wieder verloren geht. Im Westen gab es auch Jahrzehnte Vorsprung beim Erlernen von demokratisch-toleranten Einstellungen. Und gerade im Hinblick auf die Ausländer sind die Wähler im Westen schon seit Jahrzehnten gewohnt, mit einer großen Zahl zusammenzuleben. Das ist für den Osten anders. Dies alles führt dazu, dass die Motive, die AfD zu wählen, im Westen wie im Osten sehr ähnlich sind, aber im Osten häufiger zum Tragen kommen.

Also gibt es kaum Unterschiede der Motive in Ost und West, dafür eher bei den Gruppengrößen?
Es gibt einen zentralen Unterschied zwischen Ost und West in dieser Hinsicht – die AfD dient im Osten auch als Plattform zur Artikulation für jene, die sich durch die Wiedervereinigung als Zukurzgekommene verstehen. Diese Funktion hat die AfD zwischenzeitlich zu einem großen Teil von der Linken übernommen.

Warum entscheiden sich Menschen für die AfD?
Die Wählerschaft der AfD ist durch heterogene Motivlagen gekennzeichnet. Da gibt es zum einen – als Bodensatz – die Gruppe mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild. Daneben spielen die ökonomisch Zukurzgekommenen eine nicht unerhebliche Rolle. Was in Zeiten eines seit langem prosperierenden Landes nicht unbedingt heißt, dass sie durch Arbeitslosigkeit unmittelbar bedroht sind. Hinzu kommen Menschen, die Probleme haben, mit der Modernität unseres Veränderungsprozesses zurechtzukommen: etwa mit Digitalisierung, den Herausforderungen des globalen Wettbewerbs im Beruf, mit der Liberalisierung wie zum Beispiel der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften in der Ehe. Ein weiteres Motiv stellt eine Aversion gegenüber allem Ungewohnten, Neuen und Fremden dar. Dabei spielt es gar keine große Rolle, ob in den Regionen eine hohe oder niedrige Ausländerquote vorhanden ist.

Dabei richtet sich die Abwehr dann oft gegen Menschen am unteren Rand, doch es gibt auch Aversionen gegen die Mächtigen.
Ja, hinzu kommt bei vielen eine grundsätzliche Ablehnung des Establishments in Verbindung mit einer Infragestellung aller Eliten und Autoritäten. Kommunikativ geprägt sind diese Wählerschichten zu einem erheblichen Teil durch Verschwörungstheorien und Halbwissen, die partiell eine alternative Realität erzeugen – diese Menschen kann man dann kaum noch mit Argumenten erreichen.

Und welche Parteien verlieren an die AfD Wähler und Wählerinnen?
Besonders im Osten wird deutlich, dass der Aufstieg der AfD keineswegs allein zu Lasten der CDU gegangen ist, sondern alle anderen etablierten Parteien, vor allen Dingen auch die Linke, getroffen hat, die früher die Unzufriedenen als Protestpartei binden konnte. Zudem konnte die AfD auch Wählerschichten – insbesondere bei Landtagswahlen – mobilisieren, die ein geringes politisches Interesse hatten und die sich diesen ihnen eigentlich unwichtig erscheinenden Wahlen in der Vergangenheit durch Nichtteilnahme entzogen haben.

ZUR PERSON: Matthias Jung, 62, ist Leiter der Forschungsgruppe Wahlen mit Sitz in Mannheim. Der Diplomvolkswirt analysiert seit Jahrzehnten mit seinem Team das Abstimmungsverhalten der Bürger. Das Institut betreut die Wahlsendungen des ZDF.