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Studie Sachsen in der Extremismus-Falle

Der Rechtsextremismus in Ostdeutschland ist regional und örtlich sehr verschieden ausgeprägt. Das ist das Ergebnis einer Studie.

Von Steffen Honig 19.05.2017, 01:01

Berlin l Das Thema Rechtsextremismus im Osten hat insbesondere durch die Flüchtlingskrise an Brisanz gewonnen. Die Untersuchung des Region Dresden und der Stadt Erfurt kann also nur einen Ausschnitt der Gesamtlage beleuchten. Doch der ist aufschlussreich: Während es in der thüringischen Landeshauptstadt ein breites Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit gibt, an der sowohl Vereine und Organisationen auch die Verwaltung Anteil haben, ist es laut Studie in und um Dresden ganz anders.

Ihre Untersuchungsergnisse erheben die Wissenschaftler des Göttinger Instituts für Demokratieforschung anhand von knapp 40 Einzelinterviews. Mit Prozentzahlen könnten die Forscher nicht dienen, betont Michael Lühmann, einer der drei Autoren.

In der Studie ist ausdrücklich vermerkt, dass man Ostdeutschland nicht unter „Generalverdacht“ stellen wolle. Die Ergebnisse sollten vielmehr auch in Bezug zu geballten rechten Einstellungen in bestimmten Regionen Westdeutschland gesetzt werden. Für Sachsen spricht die Studie von einer „Überhöhung des Eigenen, Sächsischen, Ostdeutschen, Deutschen“ bezüglich der Flüchtlingsaufnahme. In allen Gesprächen sei man auf „latente Fremdenfeindlichkeit“ gestoßen.

Lühmann spricht zudem von einer „Verbürgerlichung“ des Protestes. In Dresden würden zudem problematische Seiten der Stadtentwicklung ausgeblendet, so die Tatsache, dass die Frauenkirche im Dritten Reich als Nazi-Tempel vereinnahmt wurde.

In Freital und Heidenau bei Dresden gebe es ein „romantisierendes Bild der DDR“ zum Umgang mit den früheren Vertragsarbeitern im Gegensatz zu den heutigen Migranten, meint Lühmann. Nach dem Umbruch 1989 und dem Ende Parteien und Massenorganisationen der DDR sei die Distanz zur Zivilgesellschaft gewachsen.

Die Studie fokussiert sich bei der Ursachenergründung wie viele ihrer Art vorher überhaupt stark auf den ideologischen Einfluss von gestern, sei es durch „doppelte Diktatur“ im Osten und die anschließende Transformation mit folgender politischer Gleichgültigkeit. Auf mehr Problembewusstsein beim Umgang mit Radikalismus von Politikern und Zivielgesellschaft als im Dresdner Raum sind die Wissenschaftler in Erfurt gestoßen. Und auf ein Phänomen: Der Problem-Stadtteil Herrenberg führt inmitten von Erfurt ein Eigenleben, an seinen Grenzen endet jede Toleranz.

Die Ost-Beauftragte der Bundesregierung schlussfolgert: „Wenn vor Ort nicht klare Kante gezeigt wird, verfestigen sich rechtsextreme Entwicklungen.“ Es helfe nichts vom Schreibtisch aus Ratschläge zu erteilen.

Gleicke betont, dass die Ostdeutschen in ihrer Mehrheit „weder rechtsextrem noch fremdenfeindlich“ seien. Doch sei der Rechtsradikalismus als Bedrohung der Gesellschaft: „Der soziale Frieden ist gefährdet“. Allerdings seien Pauschalurteile, dies zeige die Studie, fehl am Platze: „Den Rechtsextremismus gibt es nicht.“ So sei in bestimmten Regionen Ostdeutschlands sei eine historisch gewachsene Neigung zur Fremdenfeindlichkeit auszumachen. „Die Lokalpolitik ist von größter Bedeutung“, erklärt Gleicke und warnt vor falsch verstandener Loyalität und Passivität.

Neben den gesellschaftlichen Kräften müssten sich in den Kommunen und Regionen auch die Unternehmer für den Kampf gegen Rechtsextremismus einbringen, unterstreicht Gleicke. Durch Fremdenfeindlichkeit würden Zukunftschancen verspielt. „Ich mich weiter dafür ein, dass regionale Wirtschaftsförderung für die gesamte Bundesrepublik auch nach 2019 erhalten bleibt“, erklärt Gleicke.

Dass ein Göttinger Institut mit der Studie beauftragt wurde, nährt den Verdacht, dass hier letztlich Westdeutsche den Osten belehren wollten. Gleicke weist das zurück, genauso wie Mitautor Lühmann: Die Studie sei ausgeschrieben worden, und drei Autoren stammten aus dem Osten oder hätten dort gelebt.