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Generationen Alle unter einem Dach

Das Zusammenleben von Eltern, Kindern und Großeltern ist selten geworden, aber als alternatives Modell heute manchmal wieder gefragt.

Von Ulrike von Leszczynski 28.07.2016, 23:01

Berlin (dpa) l Wenn Teresa Lange* an das reizvolle Jobangebot zurückdenkt, muss sie über ihre erste Reaktion schmunzeln. „Ich habe zu meinem Chef gesagt: Da muss ich erst mal meine Mutter fragen“, erinnert sie sich. Diese Reaktion war der Auftakt für ein ungewöhnliches deutsches Lebensmodell.

Teresa Lange lebt mit ihrem Freund und der kleinen Tochter heute wieder mit ihrer Mutter zusammen. Sie arbeitet in ihrem Traumberuf und leitet zwei Modegeschäfte. Ihr Kopf ist frei von Kita-Zeiten, Einkäufen und dem ganz normalen Alltagswahnsinn junger Mütter mit Ganztagsjob. Für diesen Luxus sind drei Generationen vor einem Jahr im Berliner Stadtteil Friedrichshain zusammengezogen. Die Altbauwohnung haben sie gemeinsam ausgesucht und eine Art Generationenvertrag geschlossen: Die jungen Eltern arbeiten Vollzeit, zahlen die Miete und das Haushaltsgeld. Großmutter Rosa kümmert sich um die vierjährige Enkelin Mila und wird in der Familie bleiben, wenn sie später Hilfe braucht.

Damit lebt Familie Lange gegen den Trend. Die Zahl der Haushalte mit drei oder mehr Generationen unter einem Dach schrumpfte von 351 000 im Jahr 1995 auf 209 000 im vergangenen Jahr – ein Rückgang von 40,5 Prozent. Das teilte das Statistische Bundesamt am Donnerstag mit.

Andererseits sagt die Soziologin Christine Hannemann: „Das Mehrgenerationen-Wohnen greift um sich. Aber eher nicht in den klassischen Familien, es entstehen eher Wahlverwandtschaften.“ Der Wissenschaftlerin der Uni Stuttgart zufolge fänden sich Jüngere und Ältere häufiger als vor zehn Jahren in Wohnprojekten zusammen, die auf gegenseitiger Hilfe basieren. Der Anstoß komme oft von der älteren Generation, die später nicht im Pflegeheim enden wolle.

Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigt ein gespaltenes Bild. 44 Prozent der rund 2000 Befragten sehen das Zusammenleben in einer Großfamilie demnach positiv. Für elf Prozent ist es schon Alltag. Fast ein Drittel würde gern so leben – vor allem im Alter. Dagegen stehen 46 Prozent, die sich dieses Lebensmodell für sich absolut nicht vorstellen können.

Trendforscher Peter Wippermann wundert das nicht. „Bisher ging die Singularisierung der Gesellschaft immer weiter“, sagt er. „Die Generation der jetzt 30- bis 35-Jährigen ist eher egozentrisch orientiert, die hält sich alles offen.“ Und er bezweifelt auch, dass die 50-plus-Generation wieder mit ihren Kinder zusammenleben will.

Teresa Lange war es wichtig, nicht in die Wohnung ihrer Mutter zurückzukehren. Der Neuanfang sollte bewusst an einem neuen Ort gelingen. Als WG empfinden die Langes ihre Wohnung nicht. „Das fühlt sich an wie Familie“, sagen Mutter und Tochter. Milas Vater Franjo (28) fand die Idee von Anfang an „cool“. „Ich bin auch mit meiner Oma aufgewachsen. Für mich ist das normal.“

Freiheiten bietet das Modell auch. Das junge Paar geht abends aus, wann immer es will. Oma bleibt gern zu Hause bei Mila. „Bisher hat es nicht gekracht“, sagt Teresa Lange. Sie denkt über ein zweites Kind nach. „Für meine Mutter wäre das okay“, sagt sie schmunzelnd.

(* Der Nachname wurde auf Wunsch der Familie geändert.)