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Atelierbesuch Kästen und Kissen

Die Magdeburger Künstlerin Anette Groschopp arbeitet mit verschiedenen Materialien. Am Sonntag wird sie 65 Jahre alt.

Von Grit Warnat 29.07.2016, 01:01

Magdeburg l In den vergangenen zwei Jahren ist im Atelier von Anette Groschopp viel entstanden. Sie hatte Zeit und Muße. Ihre Arbeit als Kunsttherapeutin ist passé. Sie widmet sich jetzt ganz ihren Objekten. Dafür entwickelt sie Bilder im Kopf, und geht dann auf Suche nach passenden Materialien. Immer wieder kombiniert sie ihre Kunst mit Fundstücken.

Das kann auch ein alter Matratzenbezug sein. In ihrer jüngsten Ausstellung in der Magdeburger Galerie Himmelreich hatte sie einen solchen Fund präsentiert. Beigefarbener Bettstoff. Ungewaschen. Das sei ihr wichtig, sagt sie, schließlich würde mit gewaschener Sauberkeit ein Stück Geschichte verloren gehen. Für sie sind es Stoffe der Erinnerung.

Textilien gehören seit langer Zeit zur Groschopp’schen Kunst. Vor Jahren erregte sie Aufmerksamkeit mit ihren Kleiderarbeiten, mit denen sie versuchte, das Innere aufs Kleid zu übertragen. Heute steht der Betrachter vor Objektbildern mit Kissen. Sie thematisiert damit Habseligkeiten. Kissen stünden für Flucht, sagt sie. Im Zweiten Weltkrieg und auch heute. Sie stellt sich die Frage, was man mitnehmen würde, wenn man sich vom Zuhause trennen muss.

Groschopp hat seit vielen Jahren eine sehr eigene Bildsprache, um ihre Gedankenwelt künstlerisch auszudrücken. Wer die Künstlerin kennt, der weiß, dass es ihr Kästen, Kisten, Schubladen aller Art angetan haben. „Kästen habe ich schon immer geliebt“, sagt sie. Sie lässt sie in den Raum treten, dort wirksam werden. „Leer“ heißt eine ihrer jüngst entstandenen Arbeiten. Kasten, Sand, Haken, Ringe gehören zum Objekt. Ebenso Farbe. Schaut man in den Kasten, wird man mit ihr konfrontiert. „Durch die Farbe wirkt der Kasten nicht leer, sondern entwickelt eine eigene Magie“, sagt sie.

Ihre Arbeiten sind nicht leicht zu entschlüsseln, sie sind ganz weit weg vom Mainstream. Als Betrachter muss man sich Zeit nehmen und die Muße, sich darauf einzulassen. Manon Bursian, die Direktorin der Kunststiftung Sachsen-Anhalt, hat einmal gesagt: „Sie entwickelte im Laufe ihres Lebens eine eigene Bildsprache und blieb dabei doch immer unbeirrt in ihrer Eigenart.“

Ihre Eigenart sind auch ihre Schübe und Laden. „Ganz früh schon habe ich Kistchen gehabt, sie auf- und zugemacht und war jedes Mal fasziniert“, sagt die 64-Jährige. Sie sinniert gern über ihre Kistchen und Lädchen und will deren Rätsel für sich selbst entschlüsseln. Was zeigen sie uns? Was bewahrte jemand darin auf? Was war demjenigen wichtig? Ringe, Knöpfe, Tabletten? Die Künstlerin spricht von immer neuen geheimnisvollen Fundgruben.

Sie kann darin ihr großes Thema der Erinnerung verorten. Sie kann auf Spurensuche gehen.

Dass Anette Groschopp, die in Leipzig geboren wurde und in den 1970er Jahren an der dortigen Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert hat, gelernte Gärtnerin ist, erkennt man beim zweiten Blick auf ihre Arbeiten. Immer wieder sind darin Sand und Erde zu finden. Naturverbundenheit. „Der Ort, an dem man lebt, der Boden dort, sind mir wichtig“, sagt die 64-Jährige. Auch der Boden gehört zu ihren Materialien.

Sie sagt über sich, dass sie den Kontakt zur Natur brauche. Sie liebe ihren Garten an ihrem umgebauten Bauernhof in Westerhüsen, ein Hof voller Geschichte, voller Geheimnisse. Dort könne sie sitzen, gucken, alles wirken lassen und mit frischer Inspiration an die Arbeit gehen.

In Westerhüsen, unweit der Elbe, findet sie ihr Beheimatetsein. Auch Frankreich, wo sie viele Jahre gelebt hat, nennt sie ein Stück Heimat.

War auch New York für sie zur Heimat geworden? Die Malerin, Grafikerin, Installationskünstlerin hatte 2008 ein dreimonatiges Arbeitsstipendium der Kunststiftung in der US-Metropole. Sie spricht heute noch von der sehr offenen, kreativen Atmosphäre. Aber Heimat? Nein, sagt sie. „Heimat ist für mich ein Ort, der eine gute Energie hat.“