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Ausstellung Wo Künstler sich erdrückt fühlten

Die Berliner Ausstellung „Gegenstimmen“ gibt einen ehrlichen Einblick, in die Zerrissenheit der DDR-Künstler.

Von Uta Baier 16.08.2016, 23:01

Berlin l Endlich! Kein sozialistischer Realismus. Keine vermeintlich ausgewogene Auswahl, kein Sitte-Tübke-Heisig-Mattheuer, sondern Wut, Expressivität, Selbstzerstörung, sozialistische Realität. 40 Jahre nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann widmet sich die Ausstellung „Gegenstimmen. Kunst in der DDR 1976-1989“ im Berliner Martin-Gropius-Bau einer Auswahl von Werken, die in der langsam sterbenden DDR entstanden.

Dass die Ausbürgerung des Liedermachers eine entscheidende Zäsur bedeutete, dass die Zweifel am System DDR seitdem wuchsen, ist Teil der Geschichtsschreibung geworden. Was diese Ausbürgerung für die Kunst bedeutete, ist viel beschrieben, aber bisher noch nicht in einer Kunstausstellung gezeigt worden. In den vergangenen mehr als 25 Jahren waren zwar verschiedene Überblicksschauen zur Kunst aus der DDR zu sehen. Die besseren versuchten zumindest, die ganze künstlerische Vielfalt vorzustellen. Auf Staats- und Auftragskunst konnte oder wollte jedoch keine verzichten. Nun endlich haben sich die Kuratoren und DDR-Kunst-Spezialisten Eugen Blume (Leiter des Hamburger Bahnhof-Museum für Gegenwart in Berlin) und Christoph Tannert (Chef des Berliner Künstlerhauses Bethanien) für eine ganz und gar subjektive Auswahl entschieden. Sie zeigen dissidentische, studentische, damals oft nur im Privaten vorzeigbare Kunst, die in der DDR nach dieser Zäsur entstand.

Am Anfang begegnet man daher Biermanns Porträt-Kopf in Stein von Sabine Grzimek. Das ist ein schönes, ein lustiges Statement. Was danach kommt, ist es nicht mehr. Die Ausstellung führt in ein Land, in dem sich Künstler gefangen fühlten, in dem sie sich selbst verletzten, sich Tüten über die Köpfe zogen, um zu zeigen, wie ihnen das Land die Luft nimmt, wie es sie erstickt, fesselt, sinnlose Kämpfe verlieren lässt.

Elegant und zurückhaltend verzichten Tannert und Blume auf jede Gegenüberstellung von der Art: Hier die Künstler, dort der Staat. Sie streuen nur ganz sparsam ein paar Parolen ein. Da ist dann hoch oben an der Ausstellungswand zu lesen: „Ruhm und Ehre der Partei. Wenn sie uns ruft, sind wir dabei.“ Oder: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer.“ Der Wut und der Resignation, die Kunstwerke vor dem Hintergrund eines Landes, das sich solcher Parolen bedienen musste, entstehen ließ, begegnet man in dieser Ausstellung überall – bei A. R. Penck und Hans-Hendrik Grimmling, bei Cornelia Schleime, Sibylle Bergemann, Via Lewandowsky, Wasja Götze oder Ute Mahler - um nur einige wenige der insgesamt 80 Künstler zu nennen. Ihre Filme, Gemälde, Grafiken, Fotos, Skulpturen sind voller Kampf- und Zersplitterungsmotive. Daneben sind viele Fesseln zu sehen, viel Blutrot und alles überdeckendes Schwarz und weiße Verbände. Zur unmittelbaren Wirkung dieser Kunst trägt sicher auch bei, dass ein Großteil der Werke wenig bekannt ist, weil vieles aus Privatbesitz und Museumsdepots kommt.

Als Helden feiern die Kuratoren ihre Künstler dennoch nicht. „Vielfach wird der Fall der Berliner Mauer als Ergebnis der Maulwurfsarbeit der Künstler der DDR gesehen. „Kunst reagiert nicht kurzschlüssig auf historische Ereignisse“, schreiben Blume und Tannert über die Künstler.

An der letzten Ausstellungswand steht der legendäre Satz von Günter Schabowski „Die Mauer ist offen“ neben dem „Interior Underground“ von Reinhard Zabka, einem rasselnden, zitternden, vibrierenden Sammelsurium mit nacktem Sandmännchen, Samowar, Dornen, Lampen, Glöckchen und rostiger Sichel. Zabkas Werk ist gleichzeitig ein Totentanz, ein klingelndes Raritätenkabinett und ein Blick in einen plötzlich nicht mehr existierenden und funktionierenden „underground“.

Dass der Satz von der geöffneten Mauer über einer geschlossenen Ausstellungstür steht, mag dem Zufall und der Raumfolge im Ausstellungshaus geschuldet sein. Man kann diese Konstellation aber durchaus als Kommentar zu einer abgeschlossenen deutschen Kunst­epoche verstehen. Denn mit der Maueröffnung war der Anlass für diese Kunst, die so vielfältig, individuell und einmalig war, für immer verschwunden. Endlich!