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Trauma und Therapie: Charlotte Links "Sechs Jahre"

09.09.2014, 14:01

München - Um es gleich vorweg zu nehmen: Charlotte Links neues Buch "Sechs Jahre" muss man ertragen können. Wer es schafft, die Leidensgeschichte ihrer an Krebs erkrankten Schwester bis zur letzten Seite zu lesen, kann nicht sofort auf Normalmodus umschalten.

Es ist eine Erfahrung, die viele schon gemacht haben und manche noch machen werden. Sie mit anderen zu teilen und gleichzeitig aufzuarbeiten, war Motivation der Autorin, das persönlichste Buch ihrer bisher überaus erfolgreichen Karriere ("Das andere Kind", "Die letzte Spur") zu schreiben.

Links erstes nichtbelletristisches Werk ist aufrüttelnd und gut. Es geht um nichts Geringeres als Leben und Sterben. Auch wenn sie es - wie sie selbst im Vorwort betont - aus Sicht eines medizinischen Laien schrieb. Ohne wissenschaftlich fundierten Anspruch. Doch um Emotionalität so unverfälscht und überzeugend zu vermitteln, braucht es keinerlei Wissenschaft. Aber eines Erlebnisses, das nachhaltig und zutiefst das Innere eines Menschen aufwühlt.

"Sechs Jahre", Untertitel: "Der Abschied von meiner Schwester", beschreibt den Kampf der ein Jahr jüngeren Franziska gegen Krebs und seine Folgen, den sie am 7. Februar 2012 im Alter von 46 Jahren verlor. Eigentlich begann alles bereits 17 Jahre zuvor, als Morbus Hodgkin bei ihr diagnostiziert wurde. Diese Schlacht gewann sie zunächst. Mit Hilfe ihrer ganzen Familie, die später noch einmal bis zur Selbstaufgabe Franziska zu Seite stand und sie von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik begleitete und wenn schon nicht ihre körperlichen, so doch die seelischen Schmerzen mit ihr teilte.

Es waren unterschiedliche Erfahrungen in Krankenhäusern, von denen einige Charlotte Link erschütterten, denn der Umgang mit todgeweihten Patienten ist demnach stellenweise katastrophal. Im Gegensatz zu ausgezeichnetem Personal, das sie auch kennenlernte, stellte sich anderes nicht nur unpersönlich und desinteressiert, sondern zudem als geradezu verantwortungslos dar, wie die Autorin schreibt. Und nicht nur das: Es geht auch um die Einstellung der Mediziner zur Thematik "Wie teilt man einem Patienten ein Todesurteil mit".

Franziska bekam die Holzhammermethode zu spüren: Am 6. März 2006 knallte ihr eine Onkologin ohne Vorbereitung an den Kopf, dass es keinerlei Hoffnung gebe, "nicht bei diesem Krankheitsbild". Mit einer Chemo-/Strahlentherapie habe sie vielleicht noch ein Jahr, allenfalls zwei. Sechs Jahre wurden es schließlich. Für manchen mag brutale Ehrlichkeit richtig sein, für Franziska war es das nicht. Trotzdem gab sie nicht auf. Dieser kräftezehrende Kampf wirft aber auch für Link die Frage auf: Soll man das Leiden um jeden Preis verlängern?

Für die Bestsellerautorin war die literarische Reflexion des langen Leidenswegs ihrer Schwester Trauma und Therapie zugleich. Es war ihr klar, dass dieses Nochmal-Erleben furchtbar sein wird. Aber sie sah darin eine Möglichkeit, der "Verwüstung" in ihrem Inneren Herr zu werden. Die 50-Jährige ist zudem der Meinung, dass ein solches Buch nicht nur ihr, sondern auch anderen Menschen helfen und möglicherweise auch eine generelle Verbesserung beim Umgang mit Schwerstkranken bewirken kann.

- Charlotte Link: Sechs Jahre. Blanvalet Verlag, München,
320 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-7645-0521-9.