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Internationale Filmfestspiele Berlin 3D in den Berlinale-Sälen – und eine neue Brille für die Jury?

16.02.2011, 04:26

Erstmals setzte ein ganzer Berlinale-Saal Brillen auf – der Kinotrend 3D erreichte nun auch die Internationalen Filmfestspiele. Regisseur Wim Wenders betrat mit seinem Tanzfilm "Pina" Neuland, denn bisher hatten sich 3D-Dokus meist um exotische Tiere gedreht, nicht aber um wirbelnde menschliche Körper in Nahaufnahme.

Von Torsten Wahl

Berlin. Wenders und sein Team haben ihre stereoskopischen Kameras zwischen die Künstler des Tanztheaters Wuppertal gesetzt, verfolgen hautnah deren Auftritte auf der Bühne, in der Schwebebahn und auf den Straßen, Parks und Halden rings um Wuppertal. Der gefeierte Film zog nicht nur Fans des Tanztheaters in ihren Bann, sondern hätte auch die Titelheldin glücklich gemacht. Pina Bausch, Chefin der Wuppertaler Tanzkompanie, war 2009 zwei Tage vor den Dreharbeiten gestorben.

Wie Film von vorgestern wirkte dagegen der zweite 3D-Film des Wettbewerbs: Die Figuren des französischen Animationsfilms "Märchen der Nacht" waren körperlose Scherenschnitte – so etwas rührend Altmodisches gab’s zuletzt vor 40 Jahren im DDR-Kinderfernsehen bei Professor Flimmrich. Insgesamt wünschte sich mancher, dass die Mitglieder jener Berlinale-Jury, die die Filme für den Wettbewerb auswählt, mal dringend eine neue Brille bräuchten – von Jahr zu Jahr mehren sich hier die schwachen Filme.

Der Wettbewerb führte bislang zwar einige Stars zum Marlene-Dietrich-Platz: Etwa Jeff Bridges und Josh Brolin, Helden des Klassik-Westerns "True Grit", oder Kevin Spacey und Jeremy Irons, Protagonisten des schauspielerisch herausragenden Wall-Street-Thrillers "Margon Call". Unter den Regisseuren sind dagegen auffällig viele Newcomer und Debütanten. Viele von ihnen wollten selbst Erlebtes verarbeiten, fanden aber keine überzeugenden filmischen Dramaturgien dafür. So drehte der deutsche Regisseur Ulrich Köhler, dessen Eltern als Entwicklungshelfer in Afrika arbeiten, einen Film über einen ausgebrannten Arzt in Kamerun – doch "Schlafkrankheit" wirkte seltsam unfertig, fragmentarisch.

Nur "Almanya – Willkommen in Deutschland", das autobiographisch gefärbte Familienporträt der Schwestern Yasemin und Nesrin Samdereli, konnte rundherum überzeugen. Warum der warmherzige Film nur außer Konkurrenz im Wettbewerb lief, verstand kein Mensch. Am witzigsten wirkte "Almanya", wenn er die Perspektive eines türkischen Kindes auf das anfangs fremde Deutschland einnahm: So klingt die deutsche Sprache zunächst als Kauderwelsch aus Zischlauten. Die Kunstsprache der Samderilis sorgte immer für Lachsalven bei den Zuschauern – unter ihnen Bundespräsident Christian Wulff samt Gattin.

Panorama-Reihe mit politischen Filmen

Politisch Brisantes aber lief außerhalb des Wettbewerbs, nicht nur im Film. So durfte das iranische Jury-Mitglied Jafar Panahi nicht nach Berlin kommen – die Berlinale hält seinen Platz demonstrativ leer und zeigte noch einmal seinen Film "Abseits", der 2006 den "Silbernen Bären" gewann. Ebenso für Aufsehen sorgte der Einbruch beim Regisseur Cyril Tuschi, dessen Film über Michail Chodorkowski in Berlin gestohlen wurde. Er hatte seinen Dokumentarfilm über den inhaftierten russischen Ölmagnaten vorgestellt.

Die politischsten Filme liefen bisher in der Panorama-Reihe. So erweiterte der brasilianische Regisseur Jose Padilha seinen Film "Tropa de Elite", der 2008 den "Goldenen Bären" gewonnen hatte, in seiner Fortsetzung vom Polizei-Thriller zum Polit-Thriller: Ein Clan von korrupten Politikern und Polizisten ist weitaus bedrohlicher als die Drogenmafia. Auf die Spur der verschwundenen Folteropfer in Tschetschenien machte sich die litauische Dokumentation "Barzakh". Für den belgischen Film "Bullenkopf" müsste das Genre des "Hormon-Thrillers" erfunden werden: Der einsame Held spritzt sich ebenso stark mit Hormonen voll wie seine Kühe.

Zwei Dokumentarfilme widmeten sich dem Umgang mit ostdeutschen Biografien. In der Reihe "Perspektive deutsches Kino" porträtiert der Film "Vaterlandsverräter" Paul Gratzik, einen früheren DDR-Arbeiterschriftsteller, der zuerst Künstlerkollegen bespitzelte, dann selbst von der Stasi überwacht wurde und heute einsam auf einem Uckermärkischen Hof lebt. Wie couragiert der Mann gegenüber der Autorin Annekatrin Hendel seine wechselvolle Biografie verteidigt und sich der simplen Täter-Opfer-Logik verweigert, das nötigt Achtung ab.

Weniger gelungen leider das Porträt eines anderen ostdeutschen Dichters: Des 2001 gestorbenen Thomas Brasch, dessen Roman "Vor den Vätern sterben die Söhne" nur im Westen erscheinen konnte und der 1976 ausreiste. Denn Filmemacher Christoph Rüter, der in den Neunzigern viele Interviews mit seinem Freund führte, nahm alle Auskünfte und Posen Braschs hin, wagte aber nie nachzufragen. So blickt "Brasch – Das Wünschen und das Fürchten" nur durch die eigene Brille.