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Premiere für "Viva la Mamma" am Nordharzer StädtebundtheaterSchrill, aktuell und witzig

15.02.2011, 04:30

Neun Minuten Applaus im Großen Haus Quedlinburg für "Viva la Mamma" galten am Sonnabend dem Solistenensemble, dem Herrenchor und dem Orchester des Nordharzer Städtebundtheaters, Regisseur Wolfgang Dosch, Kapellmeister Martin Hannus, Chordirektor Jan Rohzenal und der Ausstatterin Susanne Bachmann für ihre marode Antiken-Bühne.

Von Hans Walter

Quedlinburg. Sie produzierten Kunst und Premieren, was das Zeug hielt: der österreichische Regisseur und Sänger Wolfgang Dosch erst vor Weihnachen in Nordhausen eine gefeierte "Gräfin Mariza", und die Nordharzer in nicht mal einer Woche ein Theaterfest in Quedlinburg für 1100 Besucher, das Schauspiel "Klamms Krieg" und nun die Donizetti-Oper "Viva la Mamma – Bräuche und Missbräuche am Theater". Erstaunlicherweise reicht die Kraft für alles!

"Jedes Theater ist ein Irrenhaus, aber die Oper ist die Abteilung für Unheilbare" hatte schon der Wiener Theaterintendant Franz von Dingelstedt (1814-1881) herausgefunden. Diese Sentenz gilt immer und überall, und am meisten wohl in und mit Gaetano Donizettis tolldreister Buffo-Oper "Viva la Mamma". Die Zuschauer in Quedlinburg füllten das Rund nur zu knapp Dreiviertel der Plätze – Pech gehabt, wer sich selbst um das gewitzte Vergnügen brachte! Es kann allenfalls daran liegen, dass das Stück – obwohl am Gärtnerplatz in München, in der Semperoper Dresden, in Amsterdam, Essen, Krefeld, Mönchengladbach und anderswo zum Publikumsmagneten avanciert – erstaunlicherweise noch nie als CD produziert wurde. Nicht mal als Querschnitt!

Sei’s drum. Am Nordharzer Städtebundtheater wird Donizettis 1831 entstandenes Werk nach einer Komödie von Antonio Sografi in der Spiel- und Dialogfassung von Wolfgang Dosch (Dramaturgie: Susanne Range) gezeigt. Das Ganze ist eine so irre-komische Antike wie im Sprechtheater "Der Raub der Sabinierinnen" – nur noch durch Musik ins Aberwitzige gesteigert! Eine schrille Operninszenierung, bei der selbst die Bühnentechniker, Garderobieren und die Souffleuse "tragende" Rollen übernehmen.

Worum geht’s? An einer Wanderbühne laufen die Proben zur Oper "Romulus und Ersilia". Der Komponist (Norbert Zilz) und der Dichter (Gijs Nijkamp) raufen sich die Haare ob der Erwartungen der Sänger; der Theaterdirektor (Ingo Wasikowski) ob des fehlenden Geldes. Ständig melden die Primadonna Corinna (Bettina Pierags mit wunderschönen Koloraturen), ihr Gatte (Juha Koskela), der russische Tenor Guglielmo Antolstoinolonoff – der eigentlich Grischa heißt und bei jeder Nennung dieses Namens zusammenzuckt (Xiaotong Han), die Darstellerin der "Königin der Sabinierinnen" (Thea Rein) und die Naive vom Dienst Luisa (Kerstin Pettersson) in der Rolle des Götterboten neue Wünsche an Handlung und Musik an. Das nervt! Es ist wie bei Schwan, Krebs und Hecht in der Fabel. Nichts läuft zusammen.

Spielfassung setzt auf Liebe zum Theater

Zum Glück schaltet sich – als das Unternehmen an Eitelkeiten, Rivalitäten, technischen und pekuniären Katastrophen zu scheitern droht –, Mamma Agatha ein, Luisas resolute Mutter. Eine von Donizetti komponierte Paraderolle für einen Bass-Bariton! In Stöckelschuhen, mit gewaltigem Vorbau und Perücke ein Glanzstückchen für Klaus-Uwe Rein im prächtig-schäbigen Drag-Queen-Kostüm. Mamma Agatha wird zum Shooting-Star der Truppe und rettet mit koketter Stimmgewalt und Sparstrumpf das Unternehmen.

Donizetti komponierte – ähnlich wie Rossini mit dem "Barbier" oder der "Italienerin in Algier" – eine charmante, höchst kunstvolle Musik. Sie erfordert Sänger voller Lebendigkeit, Improvisationslust und mit Vergnügen an plapperndem Parlando – und bekam sie. Das Orchester unter Martin Hannus ist glänzend aufgelegt, die Tonketten perlen, die schnellen Läufe funkeln. Virtuos der Umgang mit dem Herrenchor; köstlich in den Finalen des ersten und des zweiten Aktes die Ensembles! Immer schneller, immer lauter, bis zur Wahnsinnsgrenze – fast wie bei Rossini! Dazu die Spielfassung von Wolfgang Dosch – sie zielte wie seine Regie auf Liebe zum Theater, auf Aktualität und Witz, ohne billige Lacher mit Ausflügen ins kabarettistische Fach zu erzeugen.

"Viva la Mamma" – sehr sehens- und vor allem hörenswert!