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Sinfoniker Intendant eckt bei der Türkei an

Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker, eckte bei der Türkei an. Warum, erläutert der gebürtige Magdeburger im Interview.

Von Massimo Rogacki 24.08.2016, 01:01

Für Ihr jüngstes Projekt haben Sie mit dem deutsch-türkisch-armenischen Musiker Marc Sinan zusammengearbeitet. Sie gedenken damit des Völkermords an den Armeniern, den die Türkei leugnet. Im April intervenierte dagegen der türkische Botschafter bei der EU-Kommission. Wie überrascht waren Sie?

Markus Rindt: Wir hatten die Reaktion der Türkei eigentlich schon früher erwartet. Im November vergangenen Jahres, 100 Jahre nach dem Völkermord, fand die Premiere von „aghet“ in Berlin statt. Ein Versöhnungsprojekt mit Musikern aus der Türkei, Armenien und Deutschland. Wir bekamen fantastische Kritiken, hatten aber nicht den Eindruck, dass man in der Türkei von unserer Initiative Notiz nahm.

Im April dieses Jahres bekam die Türkei, vorsichtig formuliert, dann doch etwas davon mit.

Richtig. Eine Woche vor der Wiederaufnahme von „aghet“ im Festspielhaus Hellerau in Dresden. Der türkische EU-Botschafter forderte von der EU-Kommission, in der Projektbeschreibung alle Passagen, die den Genozid betreffen, von der Webseite der EU-Kommission zu nehmen. Man drohte damit, anderenfalls die Zahlungen der Türkei in den EU-Kulturförderfonds einzustellen. Die Türkei verlangte, unserem Projekt die Unterstützung zu entziehen. Es sollte so wenig wie möglich dazu in die Presse gelangen. Die fördernde EU-Agentur lehnte das ab. Allerdings wurde die Projektbeschreibung von der Internetseite genommen, um den Text zu entschärfen. Damit war für uns endgültig eine Grenze überschritten.

Sie haben den Vorgang mit einer Presseerklärung öffentlich gemacht. Kurz darauf waren Sie in aller Munde.

Wir haben gefordert, den Text sofort wieder online zu stellen. Die Presseerklärung bedeutete für uns allerdings einen Spagat. Denn als projektfinanziertes Orchester sind wir von Förderern abhängig. Neben der türkischen Intervention auch die Reaktion unseres Hauptförderers zu kritisieren, war sicher nicht ganz ungefährlich. Mit der Veröffentlichung brach eine mediale Welle über uns herein, wie wir sie noch nicht erlebt hatten. Unser Projekt war auf fast allen Titelseiten der deutschsprachigen Zeitungen. Die EU-Kommission gab eine Pressekonferenz, im EU-Parlament waren wir Thema, in einer aktuellen Stunde des Bundestages zum Thema Meinungsfreiheit diskutierten die Abgeordneten über das Projekt und die versuchte Einflussnahme der Türkei.

Die deutsch-türkischen Beziehungen waren zu diesem Zeitpunkt bereits ein sensibles Thema.

Hochsensibel. Es ging um den Flüchtlingsdeal zwischen der Türkei und der EU. Die Bundeskanzlerin traf den türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu. Zudem hatte die Affäre um Böhmermanns Gedicht die Gemüter erhitzt. Man hatte das Gefühl, dass sich die aufgestaute Spannung bald entlädt. Nach dem Motto: Nun greift Erdoğan auch noch die Kunstfreiheit in Deutschland an.

Am Ende stellte sich die EU-Kommission hinter Sie. Und Ihr Ensemble hat seinen Bekanntheitsgrad gesteigert. Hatte der Vorfall etwas Gutes?

Auf jeden Fall, denn durch „aghet“ war der von der Türkei bis heute geleugnete Völkermord an den Armeniern mit einem Mal wieder in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Es ist doch großartig, wenn ein Kunstprojekt so etwas bewirkt. Die Wiederaufnahme in Dresden war allerdings nicht einfach. Unentwegt bekamen wir Anfragen für Interviews. Das war schwierig zu realisieren, da sich Marc Sinan – die wichtigste Person des Projektes – wegen einer Professur in den USA aufhielt und erst zur Generalprobe nach Dresden kam. Parallel liefen die Vorbereitungen zu „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ nach Franz Werfel. Ein Projekt mit 60 Schülern aus Dresden.

Sinan sagte vor Wochen, in der Türkei setze sich aktuell die Geschichte von 1915 fort (Völkermord begann mit der Verhaftung armenischer Intellektueller; d. Red.). Werden Sie im November wie geplant in Istanbul auftreten?

Ich gehe davon aus. Allerdings werden wir die aktuellen Ereignisse im Auge behalten und kurzfristig entscheiden, ob ein Auftritt in Istanbul für uns verantwortbar ist.

Sie haben das Projekt unter dem Eindruck von Putsch, Verhaftungswellen und Einschränkung der Pressefreiheit aber abgeändert.

In Belgrad und Jerewan bleibt unser Projekt unverändert. Aber in Istanbul lediglich des Völkermords an den Armeniern zu gedenken, fanden wir angesichts der immensen aktuellen Probleme anachronistisch. Wir werden deshalb am Abend des Konzertes in Istanbul mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Politik eine deutsch-türkisch-armenische Freundschaftgesellschaft gründen. Ziel ist die Unterstützung und Realisierung von künftigen Projekten, die den Dialog fördern.

Keine Angst vor entsprechenden Reaktionen der Türkei?

Ich kann mir vorstellen, dass es Gegenwind gibt. Aber wer wollte allen Ernstes etwas gegen die Gründung einer Freundschaftsgesellschaft vorbringen? Außenminister Steinmeier findet die Idee übrigens sehr gut. Wir stehen während unseres Aufenthaltes unter dem Schutz des Auswärtigen Amtes und spielen im Deutschen Generalkonsulat, in der Nähe des Taksim-Platzes.

Ihre Projekte führen Sie in viele Länder. Wann begann Ihre Neugier auf andere Kulturen?

(lacht) Die begann mit dem Globus meiner Tante Monika aus Magdeburg. Mal im Ernst: Ich denke, mich haben verschiedene Dinge geprägt. Ich bin im Magdeburger Stadtteil Cracau aufgewachsen. Ich war als Kind extrem frei – und meine Eltern waren in Bezug auf mich angstfrei. Ich bin allein mit dem Fahrrad in die Kreuzhorst und nach Rothensee gefahren. Unweit unserer Wohnung fingen die Felder an, Bunker, verlassene Fabriken. Kaum Bebauung. Ein riesiger Abenteuerspielplatz. Es gab keinen Fernseher, keinen Computer, neben dem Klavierüben war ich täglich stundenlang mit meinen Freunden draußen. Und wir haben Streiche ausgeheckt. Obwohl das Leben in der DDR in vielerlei Hinsicht unfrei war, hatte ich doch als Kind das Gefühl, in völliger Freiheit aufzuwachsen. Ich glaube schon, dass mich diese Erfahrung sehr geprägt hat.

Und die Musik war wichtig.

Ja, natürlich. Mein Vater war stellvertretender erster Konzertmeister am Theater in Magdeburg, meine Mutter hat dort im Chor gesungen. Bei den Proben meines Vaters war ich oft dabei. Im Theater kannte ich vom Schnürboden, den Probebühnen bis zu den Gängen im Keller einfach alles. Während der Vorstellung saß ich in der ersten Reihe und schaute meinem Vater und dem Orchester im Graben zu. Wenn der Chor zum Applaus durchs Publikum lief, nahm mich meine Mutter manchmal mit auf die Bühne. Für mich stand immer fest: Ich möchte Musiker werden.

Und das änderte sich auch nach dem Umzug nach Dresden nicht?

Nein. Ich war elf, spielte zuvor Klavier. In Dresden habe ich dann Horn bei Peter Damm studiert. Wenn er aus Japan oder Amerika zurückkam, Fotos zeigte und von seinen Tourneen erzählte, hat mich das sehr inspiriert. Ich wollte in ein großes Orchester, um in den Westen reisen zu können. Bis zur Rente darauf warten zu müssen, war für mich keine Option.

Heute sind Sie Intendant eines großen Orchesters und tragen viel Verantwortung. Wären Sie manchmal lieber wieder Orchestermusiker?

Das ist ein komplett anderes Leben als Musiker. Man kann es eigentlich nicht vergleichen. Ich habe mich dafür entschieden, etwas anderes auszuprobieren, da ich das Genreübergreifende und das Abenteuer immer spannend fand. Meine Projekte waren immer auf Interkulturalität und Experimente ausgerichtet. Deshalb habe ich mit Sven Helbig vor ziemlich genau 20 Jahren die Dresdner Sinfoniker gegründet.

In Dresden, der Stadt, in der Pegida-Anhänger auf die Straße gehen und gegen die Vielfalt, die Sie propagieren, demonstrieren.

Meine Kindheit, der Neustart im Westen, die musikalische Ausbildung: Ich hatte Glück, über den Tellerand blicken zu dürfen. Das fehlt vielen in Dresden. Deshalb ist Pegida so stark. Es ist etwas dran am „Tal der Ahnungslosen“. Die Dresdner Sinfoniker sind ein Gegenentwurf dazu. Wir haben uns immer geöffnet, Musiker aus Deutschland, Europa und der Welt eingeladen und Interkulturalität gelebt, bevor Pegida ein Problem wurde. Mein Antrieb: Wenn ich neue, großartige Musik in der Welt entdecke, möchte ich andere Menschen dafür begeistern. So gesehen bin ich auch Musik-Ethnologe.

Und wohin geht die nächste Expedition?

Die nächsten Projekte werden uns nach Mexiko, Kuba, Rajasthan, Odessa und in die Antarktis führen. Zunächst fahre ich mit meiner Familie aber in den Urlaub.

Wohin fahren Sie?

In die Türkei, zu Freunden.