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Vortrag Zwangsarbeit im Nationalsozialismus

Einen informativen, aber auch bedrückenden Vortrag gab es am Dienstagabend im Gardeleger Rathaussaal.

Von Andreas Puls 05.11.2015, 02:00

Gardelegen l Andreas Froese-Karow, seit September Leiter der Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe, hatte am Dienstagabend seinen ersten öffentlichen Auftritt in der Stadt Gardelegen. Der Historiker hielt im Rathaussaal einen Vortrag. Der Titel: „Herrenmenschen, Arbeitsvölker und ein alltägliches Verbrechen: Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“. Wie der Referent eingangs erläuterte, beziehe sich das Vortragsthema zwar nicht direkt auf die Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe Gardelegen, aber die NS-Zwangsarbeit stehe damit auf jeden Fall im Zusammenhang – insbesondere mit Blick auf die Todesmärsche gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, bei denen auch viele Zwangsarbeiter zu Tode kamen.

Die Zwangsarbeit, betonte Froese-Karow, sei zweifellos eines der größten Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands gewesen. Es begann bereits 1933, mit der Machtübernahme Hitlers. Zu dieser Zeit wurde in der NS-Propaganda die Arbeit verherrlicht. Die Folge war die Gründung des Reichsarbeitsdienstes. Die Arbeit wurde zu einem Instrument der Disziplinierung. 1938 begannen die sogenannten Judenaktionen, in denen gezielt Juden „das Arbeiten lernen“ sollten, wie es damals offiziell hieß.

In den zwölf Jahren des NS-Regimes, so der Referent, habe sich das System der Zwangsarbeit rasend weiterentwickelt. Allein die Zahl der zivilen Zwangsarbeiter innerhalb der seinerzeit bestehenden Grenzen Deutschlands bezifferte Froese-Karow mit 8,4 Millionen. Die KZ-Häftlinge, die ebenfalls zur Zwangsarbeit verdammt waren – 13 Millionen an der Zahl –, sind in diese Aufstellung nicht mit aufgenommen worden. Zudem hätten noch Millionen von Menschen im Ausland Zwangsarbeit verrichten müssen. Diese Gesamtzahl der Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime sei somit auf über 20 Millionen zu beziffern

Mit Blick auf die zivile NS-Zwangsarbeit innerhalb Deutschlands, so Froese-Karow, habe es 1939, mit Beginn des Weltkrieges, einen enormen Quantitätsprung gegeben. Aus den besetzten Gebieten wurden Millionen von Menschen, vor allem viele junge Frauen und Männer, zur Zwangsarbeit nach Deutschland transportiert. Einsatzgebiete waren zunächst unter anderem die Landwirtschaft, die Industrie, die Bauwirtschaft (besonders der Straßenbau). Die Wirtschaft habe in hohem Maße von den billigen Arbeitskräften profitiert. „Was die Behandlung der Menschen betraf, gab es große Unterschiede bezüglich deren Herkunft.“ Die Rassenideologie habe die zentrale Rolle gespielt. Am schlimmsten seien Juden behandelt worden, gefolgt von Menschen aus den slawischen Ländern. Dies sei auch an den der Zahl der Zwangsarbeitsopfer der betreffenden Bevölkerungsgruppen erkennbar.

Mit Abstand die meisten nach Deutschland deportierten Zwangsarbeiter seien Sowjetbürger gewesen (4,7 Millionen). Mit Blick auf die Bevölkerungsdichte in dem Nachbarstaat seien auch extrem viele Polen (1,6 Millionen) in Deutschland zur Arbeit gezwungen worden. Russen und Polen hätten auch besonders viele Opfer zu beklagen gehabt. Franzosen und Italiener hätten eine weitere sehr große Zwangsarbeiterzahl gebildet. Allerdings sei die Zahl der Opfer hier nicht so extrem gewesen. Die Zwangsarbeiter in Deutschland kamen aber auch aus vielen weiteren, zumeist europäischen Ländern.

Was die Behandlung der zivilen Zwangsarbeiter betraf, habe es zwar staatliche Regeln gegeben. „Jedoch gab es für die Arbeitgeber Spielräume bei deren Umsetzung. Es hat individuelle Unterschiede gegeben, was die Behandlung der Menschen betraf“, so der Historiker. Mit Fortschreiten des Krieges seien immer mehr Menschen in der Rüstungsindustrie beziehungsweise in anderen kriegsrelevanten Wirtschaftsbereichen zum Einsatz gekommen – insbesondere von 1943 bis 1945, der Phase des „Totalen Krieges“. Auch die Behandlung der Arbeiter sei in dieser Zeit immer schlimmer geworden. Es habe öffentliche Demütigungen, Hinrichtungen und Einweisungen in Konzentrationslager gegeben. „Das Überleben Einzelner hat in dieser Zeit keine Rolle mehr gespielt.“

Und noch einen Aspekt griff der Referent in seinem Vortrag auf. „Die Zwangsarbeit hat in ganz Deutschland offen stattgefunden und sie ist in weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert gewesen.“ Auch das KZ Mittelbau-Dora und seine Außenlager, so An­dreas Froese-Karow, stehe exemplarisch für die NS-Zwangsarbeit. Mit den Todesmärschen aus diesen Einrichtungen schloss sich wiederum auch der Kreis zur Feldscheune Isenschnibbe und dem 1945 dort verübten Massaker.