1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Gardelegen
  6. >
  7. Entschuldigung... mit etwas Hilfe

Gericht Entschuldigung... mit etwas Hilfe

Sozialarbeiterin Petra Fraaß aus Gardelegen begleitet Opfer bei Gerichtsverhandlungen.

Von Gesine Biermann 25.07.2016, 21:00

Gardelegen l Jemand hat jemanden geschlagen. Dafür wird er angezeigt. Beide treffen sich vor Gericht wieder. Der Täter wird verurteilt. Alle gehen nach Hause. Und dann? Gerade das Opfer, so erlebt es Sozialpädagogin Petra Fraaß immer wieder, fühlt sich nach einer Verhandlung oft allein gelassen. Auch wenn die Wunden längst verheilt und der (Übel)Täter ja eigentlich verurteilt ist – „vor Gericht kann man meist nicht aussprechen, was man fühlt“, sagt sie. Angst, Unsicherheit, Wut, Fassungslosigkeit, Ohnmacht – mit solchen Emotionen bleibt der Geschädigte allein. Aber auch vielen Tätern geht es nicht gut. Ein schlechtes Gewissen ist eben tatsächlich kein sanftes Ruhekissen. Und manchmal, das ist natürlich der Idealfall, haben beide Redebedarf.

Genau dann sind sie bei Petra Fraaß an der richtigen Adresse. Die Sozialpädagogin und Mediatorin, die über das Jugendförderungszentrum (JFZ)in Gardelegen angestellt ist, ist nämlich im Altmarkkreis für Konflikt- und Schlichtungsberatung zuständig. Fraaß arbeitet eng mit Gerichten, Polizei und Staatsanwaltschaft zusammen. Einen Täter-Opfer-Ausgleich kann aber auch ein Anwalt oder die Jugendgerichtshilfe anregen. Gut 100 Fälle, Jugendliche aber auch Erwachsene, betreut Fraaß jährlich. Eine Menge, bedenkt man, dass jedem Ausgleichsgespräch – so der Fachbegriff für das spätere Treffen beider Parteien auf neutralem Boden – mindestens zwei Erstgespräche vorausgehen.

Die laufen ganz individuell ab. Meist bestellt Fraaß die Beteiligten in ihr Büro im Gardeleger JFZ oder in die Räume der Arbeiterwohlfahrt Salzwedel. „Manchmal sehe ich aber aus der Akte, dass jemand nicht so mobil ist.“ Dann findet das Erstgespräch auch schon mal bei demjenigen zu Hause statt. Und auch so manches Dorfgemeinschaftshaus in der Region hat sie in diesem Zusammenhang schon kennengelernt. Wichtig ist, dass es überhaupt zum Gespräch komme. Denn „ein Täter-Opfer-Ausgleich ist immer freiwillig“, erinnert die Expertin. Aus Erfahrung weiß sie jedoch, dass es bei den meisten Beteiligten Redebedarf gibt.

Beim ersten Zusammentreffen geht es dann zunächst darum, dass jede Partei ihre Sichtweise schildern kann. Zuweilen kann nämlich sogar das schon mal hilfreich sein. Wichtig ist dabei vor allem, dass sich jeder sicher sein kann, dass die Mediatorin nicht wertet. „Absolut neutral“ hört sie sich an, wie Opfer und Täter die Situation erleben. Genau das wird später auch im sogenannten Ausgleichsgespräch passieren. Dann sitzen sich Täter und Opfer nämlich tatsächlich gegenüber – „schauen sich in die Augen“ – zwischen ihnen Petra Fraaß, die das Gespräch moderiert und nötigenfalls eingreift. Denn es gibt klare Regeln: „Jeder spricht für sich selbst“, ist eine davon. Zwar darf man generell jemanden mitbringen, „dann müssen aber beide Seiten das nutzen“, betont Fraaß. Wichtig für das Aufeinandertreffen ist auch, dass jeder den anderen aussprechen lässt, niemand die Stimme erhebt und keiner beleidigend wird. Falls im Eifer des Gefechtes mal die eine oder andere Regel vergessen wird, greift die Mediatorin sofort ein, ermahnt und beruhigt.

Fraaß hat aber auch eine kleine Unterstützung für die, die ihre Emotionen nicht so gut in Worte fassen können: Sogenannte Gefühlskärtchen: kleine Monster die zerknirscht aussehen oder ängstlich, selbstbewusst oder verlegen, erleichtert oder traurig. Wer nicht beschreiben kann, wie er sich im Augenblick der Tat fühlte, tippt einfach auf ein Bild. „Einmal hat ein Mädchen, das in der Schule von einem Jungen geschlagen wurde, dieses gewählt“, sagt Fraaß, und zeigt auf eines, auf dem so ein Monster ängstlich unter der Decke hervorlugt. Der Junge habe erstmal geschluckt, aber sofort begriffen, welche Gefühle er bei seiner Mitschülerin ausgelöst hat. „Das hat er sich vorher gar nicht so klar gemacht!“ Auch wenn es manchmal belächelt wird: Ihre Monsterchen sagen eben manchmal mehr als 1000 Worte.

Und auch mit einer weiteren guten Idee hilft sie den Klienten: „Mit einem kleinen Geschenk kann man nämlich manchmal viel ausdrücken!“, weiß sie, „ich sage dann immer: Machen Sie sich Gedanken, worüber sich der andere vielleicht freuen könnte.“ Blumen, Pralinen oder auch mal ein Kinogutschein, verbunden mit einer aufrichtigen Entschuldigung, vielleicht sogar handschriftlich, zeigen vielen Opfern: Der da meint es wirklich ernst. Und dass aufrichtiges Bedauern letztendlich vor Gericht oder bei der Staatsanwaltschaft gut ankommt, darauf können die Täter bauen.

Aber erfahren das die offiziellen Stellen überhaupt? „Sicher“, sagt Petra Fraaß. Von jedem Fall schickt sie einen Sachstandsbericht an die jeweilige Behörde – und eine Einschätzung. So kann es nach einer gelungenen Schlichtung sogar dazu kommen, dass keine Anklage erhoben wird. Und die Opfer? „Auch sie profitieren davon“, versichert Fraaß. Sie sehen vielfach: Der Täter ist auch ein Mensch. „Die meisten nehmen die Entschuldigung deshalb auch an.“

„Der soziale Frieden soll wieder hergestellt werden“, sagt sie. Aber das ist oft viel wichtiger als vermutet. Immer klappt das natürlich nicht. Manchmal sind die Fronten verhärtet, scheitert jede Vermittlung. „Es ist auch schon mal einer aufgestanden und hat das Gespräch abgebrochen!“ Auch das müsse man dann akzeptieren. Übrigens: Auch wer (noch) nicht angezeigt wurde, kann die Leistungen der Mediatorin in Anspruch nehmen. „Ich bin Vermittlerin, keine Ermittlerin“, sagt sie, „und ich habe Schweigepflicht.“ Neun sogenannte „Selbstmelder“ gab es in diesem Jahr schon. In fünf Fällen kam es danach nicht mehr zu einer Strafanzeige. Und auch sonst ist das Ergebnis ihrer Arbeit bemerkenswert: Von den 63 Fällen in diesem Jahr nahmen 54 Opfer die Entschuldigung der Täter an. Die Schlichtung war somit erfolgreich.