Hinter den Kulissen Der Geschichtenerzähler

Ein Brite, eine Wiener Operette und der Harz, wie geht das zusammen? Gut, sagt Regisseur Walter Sutcliffe.

Von Renate Petrahn 17.09.2016, 13:16

Halberstadt l Er kommt von der Insel und ist dementsprechend unkonventionell. Nach einem Studium am Royal College of Music (Fagott) und an der Cambridge University war Walter Sutcliffe zunächst als Regieassistent, dann als Regisseur in vielen Ländern tätig. Neben England waren Frankreich, Italien, Österreich, Spanien, Chile, Estland, Amerika Stationen des Berufsweges des Briten, der beides kann: Schauspiel und Musiktheater zu inszenieren.

Am heutigen Sonnabend, 17. September, feiert der gebürtige Londoner und heute in Berlin lebende stage director eine doppelte Premiere. Erstmalig inszeniert der fließend deutsch sprechende Regisseur am Nordharzer Städtebundtheater und zum ersten Mal in seiner Karriere „Die Fledermaus“ von Johann Strauss. Als Höhepunkt des Theaterfestes eröffnet die „Königin der Operette“ die Jubiläumsspielzeit 25 Jahre Nordharzer Städtebundtheater.

Sein intellektuelles, stets von britischem Humor bestimmtes, Universum – „ich mache alles mit britischen Humor“ – ist groß und dicht bevölkert. Shakespeare hat dort seinen Platz ebenso wie Luis Buñuel, Händel, Mozart, Wagner, Verdi, da Ponte, die ganze Welt der Operette und des Musicals, die großen amerikanischen comedians und viele andere mehr.

In seiner Regiearbeit haben die Libretti für Sutcliffe besonderen Stellenwert, nicht nur, weil er Stücke und Libretti vom Französischen und Deutschen ins Englische übersetzt. „Ich erzähle gern Geschichten, deshalb lege ich viel Wert auf das Libretto“. Für ihn sind zwei Aspekte wichtig: zum einen die Werktreue, zum anderen die „aufregende Entdeckungsreise“, um das Wesen der handelnden Personen zu ergründen.

„Ehrliches Lesen“ bedeutet für den Theatermann auch, „Die Fledermaus“ von den zahlreichen Klischees, die ihr mittlerweile anhaften, zu befreien und insbesondere das Doppelbödige, die Ironie, den raffinierten Wechsel von Schein und Sein, die Obsessionen der Handelnden herauszuarbeiten. Von daher orientiert sich Sutcliffe am Vaudeville „Le Reveillon“ von Henri Meilhac und Ludovic Halévy, der Handlungsgrundlage von „Die Fledermaus“, „weil es mehr verbindendes zwischen Österreich und Frankreich gibt als man gemeinhin denkt“.

Es beginnt bei der Verortung der Handlung entsprechend der Originalvorlage bis hin zur Besetzung des Prinzen Orlofski, in der übrigens der Countertenor Denis Lakey, den Halberstädtern als Arminio bekannt, zu erleben ist. So spielt die Handlung eben nicht in Wien und eben nicht zu Silvester, sondern in einem Badeort in der Nähe einer großen Stadt, wo man sich eher selten zu dieser Zeit aufhält. Was den Engländer „an der tollen Komödie, die anspruchsvoll, sehr ironisch und extrem lustig“ ist, vor allem interessiert, ist, wie die Menschen miteinander umgehen, was sie antreibt. Ein Interesse, das er mit dem Publikum teilt, denn „als Zuschauer gehe ich ins Theater, um Menschen zu sehen“, sagt er. „Die Italiener sagen“, fährt Sutcliffe fort, „dass es drei Dinge sind, die das Handeln der Personen bestimmen: Sex, Essen und Geld“. Alle drei insgesamt oder in wechselnden Kombinationen seien als „Macht-Lust-Motor“ für ihr Handeln bestimmend. Dieser Motor funktioniere nicht nur bei Buñuel, beispielsweise, sondern auch in einem Ambiente aus Walzer-Seligkeit, Chapeau claque, Champagner und schön anzusehenden Roben. Diese Parallelität von Gewohntem und neuer Sichtweise sollte aber subtil-elegant daher kommen, „denn“, so sagt Sutcliffe, „ich bin nicht an das Theater gegangen, um Lehrer zu werden“. So wie der Regisseur gern Geschichten erzählt, erlaubt er das Erzählen auch den Darstellern.

„Als Regisseur möchte ich eine Richtung vorgeben und sollte den Gesamtüberblick behalten, aber ich mag keine fertig ausgearbeiteten Regiekonzepte. Ich möchte, dass die Darsteller ihre Geschichte erzählen. Sie muss organisch wachsen“, definiert er sein Regiekonzept. Dabei legt Sutcliffe Wert auf ein demokratisches Miteinander von Regisseur und Schauspielern beziehungsweise Sängern. Sutcliffe: „Ich versuche in einer Produktion das jeweilige Potenzial auszuschöpfen und mit den Darstellern gemeinsam das Stück zu erarbeiten”. Als drittes Element zählt die gute Zusammenarbeit mit dem Orchester. „Das Gleichgewicht von Text und Musik muss so austariert sein, dass sich beide gegenseitig beflügeln“, lautet das Credo von Walter Sutcliffe.