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Amtsbilanz Bürgermeister-Alltag fordert Spagat

Oscherslebens Bürgermeister Benjamin Kanngießer (parteilos) blickt auf sein erstes Amtsjahr zurück.

Von Yvonne Heyer 09.07.2016, 01:01

Oschersleben l Seite einem Jahr ist Benjamin Kanngießer Bürgermeister in Oschersleben. Was zwischen Repräsentation, inhaltlicher Arbeit und Weiterentwicklung der Stadt bleibt, ist vor allem wenig Freizeit. Gut läuft die Arbeit mit dem Stadtrat.

Ein Jahr ist um, was war für Sie das Wichtigste, das Einschneidenste?

Benjamin Kanngießer: Wenn Sie danach fragen, was mich persönlich am meisten beeinflusst hat, muss ich ganz klar sagen: Die Zeiten einer 40 Stunden Arbeitswoche sind für mich vorbei. Natürlich war ich mir vor dem Amtsantritt darüber im Klaren, dass die Aufgabe große Auswirkungen auf den Terminkalender haben wird. Der ist ständig übervoll und private Freiräume gibt es fast nicht mehr. Sie wissen, dass ich zuvor in meiner Freizeit sehr gerne Sport getrieben habe. Inzwischen ist die Zeit zum Fahrradfahren knapp geworden.

Nicht weniger bedeutsam ist auch das sehr breite Aufgabenspektrum des Bürgermeisters. Oft werden die Aufgaben des Bürgermeister zweigeteilt: in Repräsentation und Verwaltungsleitung. Dazu kommt aber noch die Vertretung der Interessen unserer Stadt, sowohl im Landkreis als auch im Land, sie bilden quasi eine dritte Säule. Manchmal wünsche ich mir, mich mit dem einen oder anderen Thema etwas länger und umfassender befassen zu können.

Das erste Jahr war auch eine Zeit der Bestandsaufnahme. Was ist dabei herausgekommen?

Im Wahlkampf habe ich gesagt, dass ich einen Kassensturz durchführen wolle. Das ist geschehen und im Vergleich zu anderen Städten steht die Stadt Oschersleben augenblicklich finanziell gut da, ich rechne aber damit, dass sich dieser Zustand in den nächsten zwei Jahren erst einmal verschlechtert. Hier ist das Land gefordert, für eine solide Finanzausstattung der Kommunen zu sorgen. Denn das Leben findet in den Orten und nicht im Landtag statt.

Weiterhin habe ich viele Gespräche mit Unternehmen und Vereinen geführt. Wir haben eine solide Wirtschaftsstruktur und viele gut funktionierende Vereine, die das gesellschaftliche Leben sehr bereichern und den Bürgern die Möglichkeit geben, ihren Hobbys zu frönen oder auch ehrenamtliche Arbeit zu leisten. Dieses Engagement sollten wir öfter würdigen.

Wo steht die Stadt, wie ist die Verwaltung aufgestellt? Wie weit ist die Umstrukturierung? Welche Veränderungen wurden angeschoben?

Nach der Eingewöhnung wollte ich natürlich herausfinden, wie sich die Verwaltung selbst sieht. Dazu habe ich das Gespräch mit meinen Mitarbeitern gesucht. Dabei ging es mir darum festzustellen, wo die Mitarbeiter Potenzial für Verbesserungen sehen, ob sie mit den Arbeitsumständen zufrieden sind und ob irgendwo der Schuh drückt. Dabei sind schon einige gute Ideen zusammen gekommen und mit Hilfe der Einschätzung der Mitarbeiter kann ich sagen, dass wir sicher das Potenzial haben, uns noch zu verbessern.

Ende letzten Jahres wollte ich bereits den Auftrag für die Organisationsanalyse vergeben. Leider sind wir mit dem Beschluss etwas in Verzug geraten, sodass wir den Auftrag erst mit dem Vorliegen des genehmigten Haushalts im laufenden Jahr erteilen konnten. Daher befinden wir uns aktuell quasi mitten in der Erhebungsphase für die Analyse. Zum Ende des Jahres erwarten wir dann den Abschlussbericht. Ich persönlich finde es wichtig, dass sich die Verwaltung immer wieder selbst hinterfragt, ob die Aufgaben noch in zweckmäßiger Art und Weise erledigt werden. Es gilt, sich einfach immer wieder selbst zu prüfen, an welchen Stellen es Optimierungsmöglichkeiten oder sogar -bedarf gibt. Mit den dabei oft erzielten Einsparungen gelingt es uns dann vielleicht, unsere vielen freiwilligen Einrichtungen wie Freibad, Bibliothek und Wiesenpark dauerhaft im Bestand zu sichern. Am Beispiel Freibad kann man übrigens erkennen, dass Einiges auf den Weg gebracht wurde.

Was muss sich in Zukunft ändern?

Vorrangig für mich ist in jedem Fall das Ausrichten auf eine bürgerorientierte Verwaltung und eine lebenswerte Stadt - schließlich erbringen wir Dienstleistungen für unsere Bürger. Dass dieses Ziel nicht immer unmittelbar erreichbar ist, dürfte niemanden wundern. Allerdings verfolge ich es hartnäckig. Was ich mir für die Zukunft dringend wünsche, ist ein Bewusstsein für die Endlichkeit der finanziellen Mittel. Es ist unumgänglich Schwerpunkte festzulegen und eine gewisse Rangfolge für Maßnahmen der Stadt festzulegen. Das heißt, dass wir uns bei Investitionen darauf konzentrieren müssen, Folgekosten zu senken, damit man einen dauerhaft entlastenden Effekt auf den Stadthaushalt erzeugen kann. Wir haben beispielsweise die Pumpen für das Schwimmbad ausgetauscht und rüsten flächendeckend auf LED-Straßenbeleuchtung um und sparen so Energiekosten ein.

Wo sehen Sie die Stadt in zehn Jahren und das auch in finanzieller Hinsicht?

Jetzt wäre eine zuverlässige Kristallkugel wirklich wünschenswert. Sicher ist, dass der viel genannte demographische Wandel unsere Stadt weiter prägen wird. Hier leisten die beiden ortsansässigen Wohnungsbauunternehmen insbesondere mit der Schaffung von alters- und behindertengerechtem Wohnraum einen erheblichen Beitrag. Gleichzeitig erlebe ich die zahlreichen Diskussionen um unsere Kindereinrichtungen und die Schulstandorte. Hier gibt es das Hoffen insbesondere in den Ortsteilen, dass die Integration von Flüchtlingen dabei hilft, kleine Einrichtungen zu erhalten. Die Integration der Flüchtlinge kann aber nur gelingen, wenn diese selbst und die alteingesessenen Bürger das auch beide wollen. Die Demographie ist also Chance und Risiko in einem.

Für die Finanzen der Stadt hoffe ich, dass die im Landtagswahlkampf gemachten Versprechungen, die Städte und Gemeinden besser mit finanziellen Mitteln auszustatten, tatsächlich auch eingehalten werden. Die auf Oschersleben entfallenden Zuweisungen werden uns sicher nicht von allen Sorgen befreien, denn mit diesen Zuweisungen wird nur eine Seite der Finanzplanung präzisiert - die Ausgabensituation bleibt dabei völlig offen - weshalb ich den Ansatz des Landes positiv sehe, für unsere Stadt aber nicht von einer entspannten Situation sprechen möchte.

Wie schätzen Sie die Zusammenarbeit mit dem Stadtrat ein?

Die Zusammenarbeit mit dem Stadtrat schätze ich als sehr konstruktiv ein. Es gibt regelmäßig Gespräche zu wichtigen anstehenden Beschlüssen und auch sonst stehe ich den Mitgliedern des Stadtrates für ihre Anregungen und Fragen jederzeit mit offenem Ohr zur Verfügung. Sicherlich gibt es zu dem einen oder anderen Thema unterschiedliche Auffassungen und Lösungsansätze. Es ist aber unser Wille, die Probleme im Interesse der Bürger unserer Stadt gemeinschaftlich zu lösen. Das Klima im Stadtrat empfinde ich als gut. Zudem ist es uns gelungen, wichtige, für die Zukunft unserer Stadt entscheidende Beschlüsse wie zur Bäderlandschaft und zur Schulentwicklungsplanung gemeinsam auf den Weg zu bringen.

Als Bürgermeister sind Sie oberster Dienstherr der Verwaltung und zugleich Repräsentant der Stadt. Wie ist die Mischung? Was liegt Ihnen mehr?

Wie zu Anfang bereits gesagt, erfordert das Zeitmanagement manchmal einen gehörigen Spagat zwischen den Erfordernissen der Verwaltungsleitung und den Terminen außerhalb des Hauses. Mit meinem Amtsantritt haben die Ansprüche, die der Bürgermeister an seine Verwaltung stellt, sicher eine Veränderung erfahren - es liegt in der Natur der Sache, dass ein neuer Kopf andere Vorstellungen mit sich bringt. Einiges konnte schon umgesetzt werden, aber es gibt noch viele Themen, die wir angehen müssen.

Die andere Seite sind natürlich die repräsentativen Termine. Ich nehme diese Verpflichtungen sehr ernst, da mir dabei immer wieder ermöglicht wird, in Kontakt zu allen möglichen gesellschaftlichen Akteuren zu treten und zu erfahren, wo vielleicht der Schuh drückt und Hilfestellung gewünscht ist oder auch Anregungen und Ideen für unsere Stadt und ihre Verwaltung zu sammeln.

Machen Sie Ihren „Job“, wenn man das Amt mal so bezeichnen darf, noch gern?

Ja, sicher!

Welche Vorhaben haben Sie sich für das zweite Jahr vorgenommen?

Was die Verwaltung betrifft, möchte ich natürlich die aktuell laufende Organisationsanalyse beenden und die daraus resultierenden Änderungen auf den Weg bringen. Gemeinsam mit dem Rat werden wir uns mit der Inanspruchnahme zweier Förderprogramme befassen. Hier geht es um die Sanierung von Kindertagesstätten und Schulen und weitere Infrastrukturprojekte. Weiterhin werden wir gemeinsam unter der Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept erarbeiten, in dem wir Weichen für die Zukunft stellen und den Grundstein für die weitere Entwicklung der Stadt legen können.