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Modell-Versuch Blinde können Weg gut ertasten

Wie können Blinde und Sehbehinderte das Stendaler Tastmodell erfühlen? Ein Praxistext.

Von Volker Langner 26.07.2017, 10:26

Stendal l „Cool. Das ist ein Superangebot“, schätzt Jette Förster ein, während sie ihre Finger über die Jacobikirche, durch die Wendstraße und die Bismarckstraße gleiten lässt. Die Leiterin der Stendaler Beratungsstelle des Blinden- und Sehschwachenverbandes „Blickpunkt Auge“ tastet sich auf dem Modell auf dem Winckelmannplatz durch die Rolandstadt.

„Ich muss zugeben, ich gucke mir das Tastmodell heute zum ersten Mal an“, sagt Jette Förster, die seit rund drei Jahren blind ist, an diesem verregneten Dienstag im Juli. Sie verteilt eine Reihe von Pluspunkten für das Modell im Maßstab 1:800, das der Rotary-Club Stendal der Stadt geschenkt und das rund 30 000 Euro gekostet hat. Die Brailleschrift, also die Blindenschrift, sei gut erfühlbar. Kirche und Straßen seien beschriftet und so eine gute Orientierung gegeben. „Ich finde es gut, dass die Blindenvollschrift angewandt wurde“, so Jette Förster und erklärt: „Es gibt auch eine Kurzschrift, aber die beherrschen nicht alle Blinden und Sehschwachen.“

Überrascht ist sie von der Detailgenauigkeit vieler Gebäude, über die sie mit ihren Fingern fährt. „Das hier ist wohl eine Dachterrasse, hier eine Gaube“, sagt sie anerkennend.

Neben den Pluspunkten vergibt Jette Förster auch einen Minuspunkt: „Als Touri würde ich wohl gar nicht auf das Tastmodell aufmerksam werden, auch ein sehender Begleiter nicht unbedingt.“ Mit anderen Worten: Ein Hinweis auf das Modell des Bildhauers Egbert Broerken aus Soest fehlt. „Für Blinde und Sehbehinderte wären ein Aufmerksamkeitsfeld und Blindenleitlinien angebracht“, merkt die „Blickpunkt Auge“-Leiterin an. Beides wird im Boden eingelassen, wie beispielweise an der Ecke Birkenhagen/Wüste Worth.

Zudem fällt Jette Förster ein Rechtschreibfehler auf. Sie liest ein „umd“ statt einem „und“. „Hat da vorher mal ein Blinder drübergeguckt?“ Dieser kleine Fehler sei aber kein Beinbruch und schon gar kein Vergleich zum Stendaler Hauptbahnhof. Dort sei die Blindenschrift am Handlauf zum Tunnel falsch aufgebracht, offensichtlich vertauscht. Jette Förster dazu: „Da werde ich ins Nichts geschickt.“

Doch zurück zum Tastmodell am Winckelmannplatz. Es erlaube nicht nur eine „sehr gute Orientierung“, sondern sei durchaus als Wegweiser für eine Erkundung Stendals zu Fuß geeignet – „für Sehende und für Blinde“.