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Unterricht Mathe ist längst ein Angstfach

Viele Schüler und Studenten scheitern an Mathe. Warum das so ist, erklärt der ehemalige Stendaler Lehrer Wolfgang Ludwicki.

Von Nora Knappe 20.08.2016, 01:01

Stendal l Es ist ein für einen ehemaligen Mathe-Lehrer erstaunlicher Satz, den Dr. Wolfgang Ludwicki mit Überzeugung sagt: „Die Schulmathematik ist ein langweiliger Teil der Mathematik.“ Da würden Dinge gelehrt, „die für Schüler uninteressant sind und kaum Anwendung finden“. Als Beispiel nennt Ludwicki, der Mathematik studiert hat und bis 2012 Lehrer am Winckelmann-Gymnasium Stendal war, „Funktionen und Kurvendiskussionen bis zum Exzess“. Der Bereich der Beweise hingegen falle fast völlig raus. „Aber die richtige Mathematik besteht zum Großteil aus Beweisen.“ Und was er außerdem mehr und mehr vermisst in der Schulmathematik: „Den eigentlich schönsten Teil, die Geome­trie.“

Wie es um das mathematische Wissen der Schüler und Studenten bestellt ist, weiß Wolfgang Ludwicki ziemlich gut. Schließlich gibt er an der Fachhochschule in Magdeburg Unterricht mit mathematischen Übungen für Wasserwirtschaftler. „Das Erschreckende ist, dass die Studenten, die vor Kurzem Abi gemacht haben, selber sagen, dass sie kein Mathe können.“ Ludwickis Einschätzung dazu fällt deutlich aus: „Es hapert am Grundwissen.“ Und das, sagt er, liege nicht etwa daran, dass die Schüler dümmer geworden seien. Aber es hätten sich die Ansprüche und Schwerpunkte des Unterrichts geändert.

Womit er beim Kern seiner Kritik anlangt: Wer Mathe verstehen will, kommt um eines nicht herum – das Auswendiglernen und fleißige Üben. „In anderen Fächern ist das doch völlig normal, ohne Vokabeln, ohne geschichtliche Fakten komme ich da nicht weiter. Aber in der Mathematik wird auf auswendig gelerntes Grundwissen wie Formeln oder Beweise immer weniger Wert gelegt.“

Erschreckend für Ludwicki festzustellen, dass „nicht mal das kleine Einmaleins beherrscht wird“. Da erübrigt sich natürlich die Überlegung, wie man es so bis zum Abi, geschweige denn durchs Studium schaffen will. Das Studium übrigens nicht nur der reinen Mathematik, auch viele andere Fächer haben Mathe als Grundlage oder Bestandteil. Zwar kann er diese Missstände nicht beheben, aber er will Schülern helfen, in Mathe den Durchblick zu bekommen – weshalb er an der Volkshochschule Stendal Kurse für Abiturienten und künftige Studenten anbietet (siehe Infokasten).

Der Unterricht, kritisiert der langjährige Lehrer, entferne sich zunehmend vom Alltag und der Lebenswirklichkeit der Schüler. Elektronische und technische Hilfsmittel müssten nach Meinung Ludwickis viel mehr zum Einsatz kommen. „Wenn Lehrer sich aber schon scheuen, sich mit den vielfältigen Möglichkeiten des Taschenrechners zu befassen, ist es kein Wunder, wenn erst recht Mathematikprogramme nicht genutzt werden. „Diese Dinge nehmen einem Routinearbeiten ab, aber nicht das Rechnen und Begreifen“, entkräftet er ein zu erwartendes Gegenargument. „Und man kann damit zum Beispiel wunderbar geometrische Strukturen veranschaulichen und dynamisch darstellen.“ Nicht zuletzt würden solche Erfindungen den Matheunterricht beleben und das Aufgabenlösen zur Freude werden lassen.

Genau das ist nämlich möglich – Freude am Matheunterricht, statt Angst davor. Da nimmt Wolfgang Lud­wicki die Mathematiklehrer in die Pflicht: „Im Unterricht fehlt die Anstrengungsbereitschaft und die Freude an geistiger Erkenntnis. Das zu verwirklichen, wäre Hauptaufgabe der Lehrer.“ Dieses Plädoyer kommt bei Ludwicki aus ganzem Herzen, war es ihm doch in seinem Lehrerdasein immer wichtig, die eigene Begeisterung für das Fach an die Schüler weiterzugeben. Daher erfüllt es ihn auch mit Stolz, wenn ehemalige Schüler Mathematik studieren, ihn gar im Vorwort ihrer Diplomarbeit erwähnt haben.

Mathematik, so vermittelt es einem Wolfgang Ludwicki, kann genau wie jedes andere Unterrichtsfach für ein Leuchten in den Augen sorgen. „Mathematik ist die Freude am Erkennen von Zusammenhängen, es gibt immer wieder überraschende Erkenntnisse und so viele ungelöste Aufgaben. Unser gesamtes Leben ist ohne Mathematik undenkbar, das wird leider verkannt.“