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Vor den Parlamentswahlen am 11. April Wählt Ungarn die "Besseren"?

Von Tina Heinz 26.03.2010, 05:19

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Wernigerode PZS: WR Prio: höchste Priorität IssueDate: 25.03.2010 23:00:00
Sinkende Gehälter, höhere Lebenshaltungskosten und eine Arbeitslosenquote von derzeit zehn Prozent lassen den Unmut der ungarischen Bevölkerung wachsen. Lösungen für die Probleme werden auch die Parlamentswahlen im April nicht bringen. Aber zumindest eine Partei versteht es, sich bei vielen Menschen Gehör zu verschaffen.

Am 11. April wird die Bevölkerung Ungarns ein neues Parlament wählen. In einem komplizierten System aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht werden die Sitze für vier Jahre verteilt. Die Mitglieder des Parlaments bestimmen anschließend im Juni den Präsidenten.

Probleme mit Wahrheit und Glaubwürdigkeit

Die Regierungspartei der vergangenen acht Jahre, die Ungarische Sozialistische Partei (MSzP), stützt sich vor allem auf Angestellte des öffentlichen Dienstes und Rentner als potenzielle Wähler. 2006 erreichte sie 43 Prozent. Die Partei hat jedoch kaum Chancen, dieses Ergebnis zu wiederholen. Zum einen verspielte die MSzP ihre Glaubwürdigkeit, als der bis 2009 amtierenden Parteichef und Premier Ferenc Gyurcsány zugab, im Wahlkampf vorsätzlich gelogen zu haben.

Zum anderen löste die widersprüchliche Haltung der Partei bei EU-Fragen sinkende Umfragewerte aus. Die MSzP war pro-europäisch ausgerichtet, als es darum ging, die Wirtschaft zu liberalisieren, verhielt sich jedoch anti-europäisch bei der Novellierung demokratischer und zivilgesellschaftlicher Regeln.

Das Programm der sozialdemokratisch, marktwirtschaftlich ausgerichteten Partei wird von einem Spar- und Antikrisenprogramm dominiert. Hauptziele sind die Schaffung von Arbeitsplätzen, Steigerung des wirtschaftlichen Wachstums sowie eine stärkere Integration in die EU.

Neustart – aber woher kommt das Geld?

Der Bund der jungen Demokraten (FiDeSz) hat große Chancen, die Mehrheit im Parlament zu gewinnen. Von Intellektuellen 1988 in Budapest gegründet, entwickelte sich die Partei unter ihrem Vorsitzenden Viktor Orbán, der von 1998 bis 2002 ungarischer Ministerpräsident war, zu einer nationalkonservativen Rechtspartei.

Der von der Konrad-Adenauer-Stiftung als Partnerorganisation angesehene FiDeSz steht für christlich-konservative und zu einem geringen Anteil auch nationalistische Inhalte. Auf lokaler Ebene kooperiert der Bund sogar mit Vertretern rechtsradikaler Parteien.

Dominiert wird das Wahlprogramm von dem Slogan "Itt az idö", die Zeit ist reif, mit dem FiDeSz zu einem Neustart für Ungarn aufrufen will. Dieser Neustart soll sich vor allem im Kampf gegen Korruption abzeichnen, aber auch in der Durchsetzung klassisch-konservativer Werte wie Familie, Unternehmergeist und Sicherheit.

Parteichef Viktor Orbán, der bereits als Ministerpräsident vor zehn Jahren Kritik erntete, sorgte auch in diesem Wahlkampf für negative Stimmung. Er wolle eine höhere Machtkonzentration – notfalls auch durch Änderung der Verfassung, sagte er. Nun fürchten Experten die Gefährdung der Demokratie. Außerdem hat Orbáns Partei keine konkreten Pläne zur Finanzierung des Neustarts vorgelegt. Das könnte ihr am Wahltag auf die Füße fallen.

Rechtsradikale gegen alles Nichtungarische

Drittstärkste Partei nach FiDeSz und MSzP könnte "Jobbik" werden. Dahinter verbirgt sich eine rassistische, rechtsextreme Organisation, die gegen alles Nichtungarische vorgeht.

Ironischerweise bedeutet das Wort "jobbik" nicht nur "Rechts", sondern kann auch mit "das Bessere" übersetzt werden. Als "besser" für ihr Land sieht die radikale Partei den Austritt aus der EU, den Kampf gegen Roma, Juden, Kommunisten, Ausländer und Homosexuelle.

Größtes Ziel dieser Extremisten ist die Wiederherstellung Ungarns nach den Grenzen von vor 1921. Damals wurde im Vertrag von Trianon festgelegt, dass das Land zwei Drittel des altungarischen Territoriums abtreten muss – unter anderem an die Slowakei, Serbien und an Rumänien.

Zuspruch findet "Jobbik" vor allem in der ländlichen Bevölkerung, bei Arbeitslosen der unteren Bildungsschichten und bei jungen Menschen, die mehr Ordnung fordern und eine Chance auf Rebellion sehen.

Geringe Aussichten auf den Einzug ins Parlament haben der linksliberale Bund Freier Demokraten (SzDSz), das moderat-konservative Ungarische Demokratische Forum (MDF), das maßgeblich an der politischen Wende 1989/1990 beteiligt war, sowie die Grünen (LMP).

Die Umweltpartei mit dem vielversprechenden Namen "Lehet Más a Politika", "Eine andere Politik ist möglich", ist die aussichtsreichste unter den kleineren Organisationen. Sie hatte bereits bei den EU-Wahlen im vergangenen Jahr mit 2,6 Prozent der Wählerstimmen für eine Überraschung gesorgt.

Mit einer einheitlichen Strategie setzt die LMP neben der Unterstützung von Energieprojekten auch auf Transparenz und Korruptionsbekämpfung sowie auf den Aufbau eines nachhaltigen Agrarsystems. Auf Widerstand dürfte die Partei treffen, wenn es darum geht, großen Investoren strengere Umweltauflagen zu erteilen. Ungarn war bisher nämlich stets bestrebt, den Investoren weitgehende Freiheiten – auch im Umweltbereich – zu gewähren, um ein Abwandern zu verhindern.

Nach einer Umfrage des Instituts "Szonda-Ipsos", welche die Budapester Zeitung "Népszabadság" Mitte März veröffentlichte, schaffen nur drei Parteien den Einzug ins Parlament: FiDeSz (57 Prozent), MSzP (20 Prozent) und Jobbik (17 Prozent). Damit muss sich die bislang regierende MSzP auf eine herbe Schlappe einstellen. Und Ungarn droht ein gewaltiger Ruck nach rechts.