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Beim EU-Gipfel in Brüssel blitzen alte Ängste vor Deutschland auf Der Euro, die Finanzkrise und die Rückkehr des Nationalismus

Von Georg Kern 27.03.2010, 05:16

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 26.03.2010 23:00:00


Auch wenn es Angela Merkel äußerlich kaum anzumerken war: Außenpolitisch hat sie besonders schwierige Wochen hinter sich. Der EU-Gipfel in Brüssel war vielleicht das komplizierteste internationale Treffen ihrer bisherigen Kanzlerschaft. Merkel musste deutsche Positionen kompromisslos durchsetzen – ohne dabei andersdenkende EU-Partner zu verprellen.

Für Deutschland ging es um Urängste. Tief sitzen die Erinnerungen an Inflation und Hyperinflation der Jahre 1914 bis 1923. Nur wiederwillig gaben die Deutschen nach der Wiedervereinigung ihre geliebte Mark zugunsten des Euro auf. Um die Stabilität dieser Währung, ja um nicht weniger als deren Zukunft ging es beim Brüsseler Treffen der vergangenen zwei Tage.

Schockierte Politiker

Die Schuldenkrise in Europa ist längst zur Krise des Euro mutiert. Nicht nur Griechenland droht die Staatspleite, auch Portugal, Spanien, Irland und Italien könnten kollabieren. Von einem möglichen Domino-Effekt ist die Rede. Angesichts der Lage waren Angela Merkel die Hände in Brüssel gebunden.

Die Kanzlerin musste alles tun, um das Vertrauen in den Euro, die weltweit zweitwichtigste Währung, zu stärken. Das Misstrauen an den internationalen Finanzmärkten war schon während der vergangenen Wochen erheblich gewachsen – der Euro gegenüber dem Dollar abgerutscht. Für Merkel ging es darum, zu verhindern, dass der Euro zur Weichwährung wird.

Die falschen Entscheidungen hätten das leicht begünstigen können. Etwa wenn die 16 Eurostaaten zu einer Art Solidargemeinschaft geworden wären, in der ein Land dem anderen finanziell hilft, falls es auf Grund unverantwortlicher Finanzpolitik in die Schuldenkrise gerät. Auch Angela Merkel dachte zeitweise über einen Europäischen Währungsfonds (EWF) nach, mit dem die Eurogruppe ihre Probleme lösen sollte. Richtigerweise hat die Kanzlerin diese Pläne jedoch verworfen.

Stattdessen hat sie in Brüssel den besseren Vorschlag durchgeboxt: Vor allem der Internationale Währungsfonds (IWF) soll Pleitestaaten der Eurozone sanieren. Der IWF hat erstens reichlich Erfahrung damit und zweitens gilt er als harter Insolvenzverwalter. Auch Eurostaaten dürfen künftig zwar Kredite gewähren. Dabei hat jedes Land jedoch ein Vetorecht, womit Deutschland die volle Kontrolle über Finanzhilfen aus der Eurozone behält.

Die größte Volkswirtschaft des Währungsraums lässt keinen Zweifel daran, dass sie in den entscheidenden Wirtschafts- und Finanzfragen eine uneingeschränkte Führungsposition beansprucht. Beim Treffen in Brüssel hat Deutschland ein klares Signal ausgesandt: Beim Geld hört der Spaß auf. Was sich bei dem Gipfel ereignet hat, liegt jenseits aller Sonntagsreden zur europäischen Integration, in denen üblicherweise die friedensfördernde Bedeutung der EU gepriesen wird.

Geradezu schockiert haben sich europäische Staats- und Regierungschefs zum Kurs Merkels in der Griechenlandkrise geäußert. Von unverhohlenem Nationalismus war die Rede, von einem Ego-Trip der Bundesregierung. Alte Ängste blitzten auf, die Furcht etwa vor einem überstarken wiedervereinigten Deutschland. In Griechenland, das in der Währungskrise besonders stark mit sich selbst hadert, brannten gar Hakenkreuzfahnen.

Furcht vor einem überstarken Deutschland mögen auch im Spiel gewesen sein, als Frankreichs Wirtschaftsministerin Christine Lagarde den ökonomischen Kurs des Nachbarn im Osten schalt: Mit der Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre verbillige Deutschland seine Exporte auf Kosten europäischer Partner. Das ist absurd. Zumal Frankreich, das sich unter anderem eine 35-Stunden-Woche leistet, jederzeit die Möglichkeit hätte, selbst Reformen einzuleiten.

Es gibt kein Vertun: Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat zu einer Rückkehr des Nationalismus in Europa geführt. Das ist eine gefährliche Entwicklung, der sich die Politiker Europas gewahr sein müssen. Dass es in Brüssel nicht zum ganz großen Krach kam, hat Angela Merkel und die gesamte Währungsgemeinschaft vor allem einem Mann zu verdanken: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy.

Bis zuletzt hatte er abgelehnt, den IWF an Rettungaktionen zu beteiligen. Darüber lässt sich trefflich mit ökonomischen Argumenten streiten. Im Falle Frankreichs dürften aber auch alte Idiosynkrasien eine Rolle spielen, weil Paris die Einflussnahme der USA auf den Euroraum über den IWF fürchtet. Man muss den häufig durch Hyperaktivität auffallenden Sarkozy nicht mögen, um festzustellen: In Brüssel hat er sich als wahrer Europäer bewiesen, als er sich im letzten Augenblick in das Lager Angela Merkels schlug. Man fragt sich, welche Gegenleistung die Kanzlerin ihm dafür noch erbringen muss.

Etappenerfolg

Auch wenn Deutschland längst nicht so isoliert war, wie es auf den ersten Blick scheint (immerhin erhielt Berlin in Brüssel auch Unterstützung, von Österreich und Schweden etwa): Der Gipfel diese Woche hat erneut bewiesen, dass in Krisensituationen in Europa nichts ohne die deutsch-französische Achse läuft. Die Krise des Euro ist längst nicht beendet, in Brüssel sandte die Währungsgemeinschaft jedoch ein starkes Signal aus, dass sie die Probleme effektiv angeht.

Das Konferenzergebnis ist ein Etappenerfolg, dem jetzt weitere Schritte folgen müssen. Zu überlegen ist vor allem, inwiefern die Währungsgemeinschaft eine vertiefte wirtschaftspolitische Integration erfordert. Nur so kann der Euro auch langfristig seine Stabilität bewahren. Keine leichte Aufgabe für die Euro-Gruppe. Aber der Gipfel in Brüssel, wo die Teilnehmer trotz aller Divergenzen am Ende zusammenstanden, zeigt: Die Herausforderung ist zu bewältigen.