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Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Abwehr von Terroranschlägen Das Dilemma mit den Zuständigkeiten

12.02.2010, 05:16

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 11.02.2010 23:00:00


Von Marion van der Kraats

Seit Jahren wird heftig um den Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Abwehr von Terroranschlägen diskutiert. Für eine entsprechende Grundgesetzänderung fehlt bislang die erforderliche Mehrheit im Bundestag. Ermöglicht nun das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den militärischen Einsatz? Der Zweite Senat will die "schwierige Frage" zumindest nochmal einer grundsätzlichen Prüfung unterziehen, kündigte Vize-Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle am Mittwoch in Karlsruhe an. Denkbar scheint, dass der Zweite Senat - anders als der Erste Senat bei seinem Urteil von 2006 – den Waffeneinsatz im Inland zulässt.

Darum kämpfen Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und sein hessischer Kollege Volker Bouffier (CDU). Auf ihre Anträge geht das Verfahren vor dem Zweiten Senat zurück. Sie hatten auch vor vier Jahren einen zentralen Punkt im Luftsicherheitsgesetz von Rot-Grün gestoppt: Damals erklärte der Erste Senat die Erlaubnis zum Abschuss entführter Flugzeuge mit Passagieren an Bord für verfassungswidrig und die entsprechende Vorschrift im Gesetz für nichtig. Der Rest des Gesetzes gilt weiterhin.

Offen blieb damals aber der Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern. Nachdem es bis heute keine Grundgesetzänderung gibt, wollen die Länder Klarheit in zwei Fragen: Hatte der Bund überhaupt die Gesetzeskompetenz, eine solche Frage zu regeln. Und bedurfte dieses Gesetz der Zustimmung des Bundesrats? Darüber soll nun der Zweite Senat entscheiden. Er nutzt die Normenkontrollklage der beiden Länder, um die Sache nochmals grundsätzlich zu betrachten.

Praktische Überlegungen

Der Ausgangspunkt: Nach dem Luftsicherheitsgesetz dürfen Streitkräfte Flugzeuge im Notfall abdrängen, zur Landung zwingen oder Waffengewalt androhen sowie Warnschüsse abgeben. Über diese Mittel verfügt aber nicht die Polizei des jeweiligen Landes, über deren Luftraum das Flugzeug mit Terroristen gerade kreist. Diese Mittel stehen nur der Bundeswehr zur Verfügung – die gesetzliche Zuständigkeit hat sie aber nicht.

Die Regelung im derzeitigen Gesetz biete keine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage zur Lösung des Dilemmas, betonten Herrmann und Bouffier. "Wir brauchen eine eindeutige, zweifelsfreie Handlungsgrundlage", forderte Bouffier. Dass es sich nicht nur um einen juristischen Streit, sondern um sehr praktische Überlegungen handele, zeige ein Vorfall von Januar 2003: Damals hatte ein geistig verwirrter Mann aus Darmstadt einen Motorsegler entführt und gedroht, sich auf das Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) zu stürzen. Er wurde zur Landung auf dem Rhein-Main-Flughafen gezwungen und festgenommen. "Wir wussten damals nicht: Was ist zu tun? Wer ist zuständig?", so Bouffier.

Die Problematik spielte schon 2006 bei der ersten Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz eine Rolle. Es geht um die Zuständigkeiten von Bund und Land: Gefahren sind die Sache der Polizei, zuständig sind die Innenminister. Die Abwehr äußerer Gefahren regelt die Bundeswehr, zuständig ist der Bund. Das Urteil des Ersten Senats machte es nicht leichter. Das Gericht habe die Politik im Umgang mit einer terroristischen Bedrohung auf dem Luft- und Seeweg "allein gelassen", meinte der frühere SPD-Fraktionschef Peter Struck damals. Der Bundeswehrverband erklärte damals, Karlsruhe hätte den Staat "praktisch zur Handlungsunfähigkeit verurteilt".

Was also tun? Die polizeilichen Möglichkeiten verändern und die Polizei etwa mit Kampfhubschraubern ausrüsten, wie Vize-Präsident Voßkuhle provokant meinte? Das erscheint auch dem Präsidenten der Bundespolizei, Matthias Seeger, nicht der richtige Weg. "Wir haben uns in jahrzehntelangen Bemühen wegbewegt von einer paramilitärischen Truppe", betonte er.

Aus Sicht der Bundesregierung ist die Sache klar: Die Gefahr ist nicht aus der Luft gegriffen – kommt aber aus der Luft. Das habe der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Zierke, in der Anhörung eindrucksvoll bestätigt, so Innen-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche. Derartige Gefahren könne nur der Bund mit Hilfe der Streitkräfte abwehren. So leicht wollen sich die Länder aber nicht das Sagen abnehmen lassen. Der Bund sei mit dem Gesetz zu schnell über die Zuständigkeit der Länder hinweggegangen, kritisierte der Prozessbevollmächtigte Peter Badura.

Grenzen ausloten

Nun muss es also erneut Karlsruhe richten. Ob dabei ein klarer Widerspruch zum Urteil des Ersten Senats entsteht, ist zweifelhaft. Zumal dann formal das Plenum mit allen sechzehn Mitgliedern des Gerichts entscheiden müsste.

"Der verfassungspolitischen Brisanz des Themas sind wir uns durchaus bewusst", betonte Voßkuhle. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, Grundgesetzänderungen im Wege der "Interpretation" herbeizuführen. Das Gericht müsse aber die Grenzen in der Verfassung vollständig ausloten. Eine Entscheidung wird erst in einigen Monaten erwartet. (dpa)