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Gesprächsabend mit Zeitzeugen zum Abzug vor 20 Jahren / Annelie Bechthold möchte ein Buch schreiben Deutschen wurde Angst vor den Russen genommen

Von Bettina Schütze 28.03.2014, 02:23

Ein Gesprächsabend mit Zeitzeugen schloss am Mittwochabend in Drewitz die dreiteilige Veranstaltungsreihe anlässlich des Abzuges der Russen vor 20 Jahren aus dem Jerichower Land ab.

Drewitz l "Wie sahen Ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse mit den Mitbürgern aus der ehemaligen Sowjetunion aus?" Diese Frage stellte Moderator Eckard Camin aus Gommern im wieder vollbesetzten Saal des Kulturhauses Drewitz in den Raum. Er selbst ist mit den Russen aufgewachsen und ließ im Laufe der mehr als zweistündigen Veranstaltung immer wieder eigene Erlebnisse einfließen.

Dieter Pilz vom Heimatverein Hohenziatz stellte einiges von Otto Krause für den Heimatverein aufgearbeitetes Material vor. Dazu gehörten Bilder und ein Video. "Bei Tagen der offenen Tür haben wir uns mit hingestellt und fotografiert. Es gab keine Probleme", so der 78-Jährige, selbst 36 Jahre bei der Armee. Er berichtete, dass sie damals von einem russischen Soldaten ein Video von der Verabschiedung erhalten haben. Dieter Pilz: "Wir sind mit den Freunden, der Westen mit den Amis aufgewachsen. Das ist der Unterschied."

Igor Kowaljow, der heute in Magdeburg lebt, war als Major in Wendgräben. Er erinnerte sich, dass er erst nach dem Abtransport der Raketensprengköpfe nach St. Petersburg etwas von Deutschland gesehen hat. Er machte deutlich, dass es "damals schon eine ernste Situation war. Man musste schon vorsichtig und diplomatisch sein. Wenn es den Kriegsfall gegeben hätte, wären die Deutschen Geiseln gewesen". Er wünschte allen heute ein friedliches Leben.

"Wenn es den Kriegsfall gegeben hätte, wären die Deutschen Geiseln gewesen."

Jörg Deumelandt aus Drewitz erinnerte sich noch gerne an die Pateneinheiten, die zum Ende der DDR alle gehabt hatten. Da gab es beispielsweise einen Oberstleutnant, "der nie gedacht hätte, dass er mal mit Deutschen wieder feiern würde". Deutsche hatten seinen Vater tot geschlagen. Die Fußballturniere anlässlich des 8. Mai in Altengrabow seien immer Höhepunkte geewesen. Und wenn das Volksgut mal Technik benötigte, halfen die Russen stets schnell und unproblematisch aus. "Das ging auf kleinem Dienstweg."

Gerd Weigelt aus Gommern berichtete, dass mit den Leuten in Altengrabow immer ein gutes Verhältnis bestand. "Sie gingen bei uns in Gommern ein und aus, wir im Rosenkrug." Offiziere aus dem Rosenkrug waren auch häufig in Gommern, wenn dort die Kampfgruppen geübt haben. Die Kampfgruppen gingen zum Schießen nach Rosenkrug. Er selbst habe bis heute noch Kontakt mit ehemaligen Militärangehörigen, die damals in Kaliningrad gelandet sind.

Aus Kaliningrad waren Tatjana und Jewgeni Kolenda nach Drewitz gekommen. Tatjana war in Mahlwinkel, Jewgeni in Hillersleben stationiert. "Mit der Bevölkerung gab es immer gute Beziehungen", so Jewgeni Kolenda. Die Offiziere seien damals auf der Suche nach einem Lada über die Dörfer gezogen. Er selbst habe seinen ersten Lada in Haldensleben gekauft. "Als der Abzug näher rückte, war die Stimmung gedrückt. Niemand wusste, wo es hingeht." Eine besonders schöne Erinnerung hat Jewgeni Kolenda aber an Deutschland. Er lernte 1993 dort seine Frau Tatjana kennen. "Wir haben die besten Erinnerungen an Deutschland. Wir wünschen uns, dass wir noch oft nach Deutschland kommen können", so der 42-Jährige, der seine Dienstzeit als Oberstleutnant beendete und schon im Ruhestand ist.

"Wir hatten Angst vor den Russen. Es hieß, sie sind Menschenfresser."

Manfred Fischer aus Drewitz erinnert sich, dass damals, als die Russen kamen, zunächst alle Angst vor ihnen hatten. "Durch die Nazi-Propaganda wurde uns gesagt, dass die Russen Menschenfresser sind." Er war 1945 fünf Jahre alt. Manfred Fischer hatte durch seine Arbeit im Spezialbau Potsdam Zugang zu allen Divisionen. Beim Kohlen ausladen in Altengrabow gab es keine Technik, es wurde mit der Hand ausgeladen. Aber der Kohle- und Sprithandel habe bestens funktioniert. "Wir mussten uns arrangieren und haben es getan."

Ursula Hinze hat zehn Jahre in Altengrabow gewohnt. Die heute 83-Jährige wurde im Berghotel geboren und lebt heute in Parchau. "Ich möchte hier im Namen meines Vaters sprechen. Er war Bademeister in Altengrabow und hat sich immer nur lobend über die Russen geäußert." Auch sie erinnerte sich, dass man vor ihnen Angst hatte. "In der Schule wurde uns gesagt, dass die Russen unsere Feinde sind."

Klaus Schmidt war damals Produktionsleiter im Volksgut Drewitz. "Die Beziehungen zu den Freunden waren gut. Aber wenn Manöver waren, blieben Flurschäden nicht aus." Da diese nicht mit Geld reguliert werden konnten, gab es Arbeitseinsätze. Er habe aber auch erlebt, dass die Soldaten stiefmütterlich behandelt wurden. "Das von uns nach der Arbeit angebotene Essen haben sie stets abgelehnt. Sie freuten sich über Zigaretten."

Eckard Camin erinnerte sich, dass "politische Diskussionen nie zustande kamen. Wir haben es immer wieder vergeblich versucht."

Rainer von End, der aus dem Erzgebirge stammt, war für Rekonstruktionen in den Kasernen zuständig. "Wir haben auch einen mobilen Gefechtsstand für den Kommandeur gebaut. Für uns hieß es in der Ansprache immer ,die Freunde`".

Günter Panier aus Genthin erzählte, dass er von Genthin aus eine Einheit in Zerbst mit Gemüse beliefert hat. Bezahlt wurde erst viel später. "Der Militärangehörige kam von der chinesischen Grenze, er war dorthin verlegt, extra dafür zurück. Er war elf Tage unterwegs."

Annelie Bechthold wurde 1948 in Drewitz geboren und lebt seit rund 50 Jahren in Möser. "Wir haben damals sehr gut mit den Russen gelebt." Besonders angetan war sie immer von der Militärkapelle. Es ziehe sie immer wieder zurück nach Drewitz. Sie möchte nun ein Buch über die damalige Zeit schreiben. "Leute, wir waren alle Zeitzeugen. Lasst uns das aufschreiben", appellierte sie an die Besucher. Wer dazu beitragen möchte, kann sich unter der Telefonnummer (039222/9 52 30) mit Annelie Bechthold in Verbindung setzen.

"Leute, wir waren alle Zeitzeugen. Lasst uns das aufschreiben."

Der Wörmlitzer Erhard Karbe hatte in der Sortieranlage Tryppehna mit Soldaten zusammengearbeitet. "Bei uns hieß es nur ,Freunde`". Auch 25 hochgradige Offiziersfrauen hatten in Tryppehna gearbeitet. "Sie waren das Rückgrat auf der Sortieranlage und sie haben sich wohlgefühlt", so der Wörmlitzer. "Ich erinnere mich noch gut an diese Zeit. Durch diese Veranstaltungsreihe wurden noch einmal viele Erinnerungen hervorgeholt. Das war gut", brachte Erhard Karbe die Meinung der Besucher auf den Punkt.