1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Gardelegen
  6. >
  7. "Die polnische Geschäftsführung wirtschaftet uns richtig runter"

Boryszew GmbH "Die polnische Geschäftsführung wirtschaftet uns richtig runter"

Der größte Arbeitgeber in Gardelegen, die Boryszew GmbH (ehemals AKT) hat seine Mitarbeiter wohl unterschätzt. Die ließen sich die Kürzung ihrer Jahresgratifikation nämlich nicht gefallen und zogen vors Arbeitsgericht. Das Unternehmen zahlte nach - dennoch herrscht offenbar kein gutes Verhältnis zwischen den Angestellten und der polnischen Chefetage.

Von Gesine Biermann 27.06.2015, 03:10

Gardelegen l Seit vielen Jahren wird sie regelmäßig gezahlt, und von so manchem wird sie schon vorher fest eingeplant: Die Jahresgratifikation, das Weihnachtsgeld, ist für viele Mitarbeiter der Gardeleger Boryszew Kunststofftechnik Deutschland GmbH nicht nur ein willkommener, sondern oft auch ein dringend benötigter Teil ihres Einkommens. Denn das Unternehmen, das als Teilezulieferer für die Automobilindustrie arbeitet, ist nicht gerade für seine großzügige Lohnpolitik bekannt.

"Das restliche Weihnachtsgeld wurde nur unter Vorbehalt überwiesen." - Ein Mitglied des Betriebsrates

Im vergangenen Dezember warten die Mitarbeiter allerdings vergebens auf die Jahresendzahlung, die ihnen laut einer Betriebsvereinbarung von 1991 garantiert ist. Die hatte die Geschäftsführung Boryszew GmbH zwar zuvor gekündigt, allerdings keine neue angeboten, wie es erforderlich gewesen wäre.

Im Dezember 2014 geht nur eine lapidare Mitteilung an alle Angestellten, die Anspruch auf das Weihnachtsgeld gehabt hätten, mit dem Inhalt, dass lediglich ein Viertel der zugesicherten Beträge ausgezahlt werde. Der Betriebsrat wird in diese Entscheidung offenbar gar nicht erst einbezogen.

Den 15 Mitgliedern der Arbeitnehmervertretung platzt in diesem Moment dann aber wohl endgültig der Kragen. Ein Anwalt wird eingeschaltet. Noch im Dezember empfiehlt der Betriebsrat den Angestellten, mittels einer sogenannten Geltendmachung die Restsumme einzufordern. "Mehrere hundert Mitarbeiter haben das noch im alten Jahr gemacht, alle anderen dann im Januar", berichtet einer der Betriebsräte, der ungenannt bleiben möchte. Als das Unternehmen auch darauf nicht reagiert habe, hätten schließlich "schätzungsweise 90 Prozent aller Kollegen" Klage beim Stendaler Arbeitsgericht eingereicht. Einige über die Gewerkschaft, die allermeisten privat. Hunderte von Klagen. Viel Arbeit für das Arbeitsgericht.

Mit der unerwarteten Klageflut müssen sich dann gleich alle drei Kammern am Arbeitsgericht beschäftigen. Jeder Fall müsse schließlich einzeln geprüft und jeweils eine eigene Akte dazu angelegt werden, bestätigte Direktorin Elisabeth Quick bereits Mitte Mai gegenüber der Volksstimme.

Seit einigen Wochen liegt die Entscheidung des Arbeitsgerichtes nun aber vor: Alle Klagen haben Erfolg. Die Bory-szew GmbH muss die zurückgehaltene Gratifikation vollständig auszahlen.

Und das Geld kommt dann auch. "Allerdings wurde es nur unter Vorbehalt überwiesen", informiert einer der Betriebsräte (Name der Reaktion bekannt). Offenbar wolle das Unternehmen in die zweite Instanz gehen und bei Erfolg das Geld zurückfordern.

"Eine derart ignorante und despotische Geschäftsführung hatten wir noch nie." - Ein Mitglied des Betriebsrates

Der Betriebsrat schätze diese Chance allerdings als gering ein: Schließlich werde seit 2005 die Weihnachtsgratifikation ohne Unterbrechung gezahlt. So etwas gelte dann als "betriebliche Übung", was bedeute, dass nach so langer regelmäßiger Zahlung ein Arbeitnehmer einfach auf die Zahlung der Zusatzleistung vertrauen kann.

Tatsächlich gab es allerdings schon einmal kein Weihnachtgeld. 2009 hatten die Mitarbeiter - damals noch der AKT GmbH - freiwillig auf ihre Gratifikation verzichtet. Damals hatten die Auswirkungen der Finanzkrise den Gardeleger Zulieferer voll erwischt. Um Entlassungen zu vermeiden, zeigten sich die Angestellten solidarisch mit ihrem Arbeitgeber. Doch alles Sparen nützte nichts. 2011 ging die AKT in Insolvenz. Im August des selben Jahres übernahm die polnische Unternehmensgruppe Bory-szew AG den Betrieb.

Große Hoffnungen ruhten damals auf dem erfolgreichen Zulieferer: "An uns soll es nicht liegen. Wir werden weiter Qualitätsarbeit leisten. Wir hoffen, dass uns die Erfolgsgeschichte gelingt und wir in einigen Jahren weit über 1000 Mitarbeiter haben werden", hatte der damalige Betriebsratschef Gerhard Hottowitz bei der offiziellen Übernahme versichert und die Unterstützung des Gremiums angeboten.

Von einer vernünftigen Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmervertretung kann aktuell allerdings überhaupt keine Rede mehr sei.

Dabei ist das nicht gezahlte Weihnachtsgeld offenbar nur die Spitze des Eisberges. Erst vor kurzem kam auch der Lohn nicht pünktlich. Das sei allerdings tatsächlich ein Einzelfall gewesen, so der Informant der Volksstimme. Viel schwerer wiege für Betriebsräte und Mitarbeiter der raue Ton und die mangelnde Sozialkompetenz in der Chefetage: "Eine derart ignorante und despotische Geschäftsführung hatten wir hier noch nie." In der Belegschaft sei kaum noch Motivation erkennbar: "Unser Krankenstand liegt deutlich höher als im Bundesdurchschnitt. Die polnische Geschäftsführung wirtschaftet uns richtig runter".

"Es haben ja auch schon viele langjährige Mitarbeiter deshalb gekündigt." - Ein Produktionsarbeiter

Zudem werde der Betriebsrat systematisch ausgegrenzt, so gut wie nie angehört, obwohl der Gesetzgeber dies für viele Fälle vorschreibe. "Es ist die Art und Weise, wie mit uns umgegangen wird", so ein langjähriges Betriebsratsmitglied. "So was haben wir in den vergangenen 25 Jahren noch nie erlebt."

Dass auch der Ton der polnischen Abteilungsleiter zu wünschen übrig lässt, bestätigen auch Mitarbeiter der Produktion. "Da muss man schon ganz schön einstecken können", sagt eine, die schon viele Jahre im Unternehmen ist (Name ist der Redaktion ebenfalls bekannt).

"Es haben ja auch viele langjährige Mitarbeiter schon gekündigt", weil sie sich das nicht mehr bieten lassen wollten. Zudem nehmen die Arbeiter auch wahr, dass es mit der Logistik nicht gut laufe: "Früher standen auch mal die Maschinen still, aber dann hatten wir keine Aufträge." Heute könne zuweilen nicht gearbeitet werden, weil Material nicht rechtzeitig da sei. Wenn dann noch durchsickere, dass Rechnungen, wie die Telefonkosten nicht bezahlt würden, gehe die Angst um.

"Noch nie mussten wir ein Gerichtsverfahren gegen das Unternehmen einleiten." - Ein Mitglied des Betriebsrates

Viele der langjährigen Produktionsarbeiter, Techniker und Büroangestellten hatten in der Vergangenheit während des ganzen Auf und Ab der Zulieferindustrie, trotz Rückschlägen, Kurzarbeit und ständig wechselnder Geschäftsführer in der Vergangenheit immer treu zu ihrem Unternehmen gehalten. Das scheint nun nicht mehr der Fall zu sein. Und das liege, so heißt es aus dem Betriebsrat, nicht an der Belegschaft: "In 25 Jahren hat der Betriebsrat immer einen Konsens mit der Geschäftsführung gefunden, noch nie mussten wir ein Gerichtsverfahren gegen das Unternehmen einleiten", sagt eines der Mitglieder. Noch sei die Tür nicht zu, "aber die Geschäftsführung muss auf uns zukommen."

Trotz mehrerer telefonmündlicher und schriftlicher Nachfragen der Volksstimme wollte sich in der Chefetage der Gardeleger Boryszew GmbH gestern und vorgestern indes niemand, weder mündlich noch schriftlich, zu den Vorwürfen äußern oder Fragen beantworten. Chefsekretärin Alicja Sarnowska verwies auf die Firmengruppenleitung in Warschau.