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Kleinauer Schwestern fahren täglich fast 2,5 Stunden zum Salzwedeler Jahngymnasium Der Schulstress beginnt im Bus

Von Marco Heide 24.04.2013, 03:14

Arbeitszeiten wie ein Selbständiger und eine Anfahrt wie ein VW-Mitarbeiter, der von Salzwedel aus jeden Tag pendelt - die Volksstimme begleitete die 12-jährige Lara Hemstedt und ihre 16-jährige Schwester Lisa auf ihrem täglichen Schulweg von Kleinau zum Jahngymnasium.

Kleinau l 4.45 Uhr klingeln die Wecker von Lara und Lisa Hemstedt. In knapp drei Stunden beginnt der Unterricht der beiden Schwestern, die das Salzwedeler Jahngymnasium besuchen. Doch bevor es zur ersten Stunde läutet, liegt noch über eine Stunde Busfahrt vor den beiden Kleinauerinnen.

Am Frühstückstisch sitzt auch ihre Mutter. Während Lara und Lisa sich für den Tag stärken, schmiert Yvonne Hemstedt die Pausenbrote für ihre 12 und 16 Jahre alten Töchter. "Es ist eine Zumutung, dass die Kinder so früh aufstehen müssen, um zur Schule zu kommen", meint die Mutter, die sich noch an die Zeiten erinnern kann, als Kleinau eine Polytechnische Oberschule hatte, die alle Schüler bis zur zehnte Klasse besucht haben.

Es ist kurz vor sechs Uhr. Lara Hemstedt nimmt einen letzten Schluck aus ihrer Tasse. "Morgenmuffel" steht auf dem Trinkgefäß. So richtig wach ist die 12-Jährige noch nicht. Aber der Sechstklässlerin bleibt nichts anderes übrig, als früh aufzustehen, wenn sie ein Abitur machen möchte.

Yvonne Hemstedt fährt ihre Töchter zur Bushaltestelle. Es ist noch dunkel und kalt. Die drei warten im Auto. Um 6.01 Uhr kommt der Bus. Die Mädchen steigen ein. Noch sind sie die einzigen Fahrgäste in dem Bus. Auf der Hinfahrt ist den Beiden ein Sitzplatz sicher.

Die Tour beginnt. Es geht von Kleinau nach Lohne, dort steigt eine Freundin von Lisa Hemstedt ein. Nach einer kurzen Begrüßung gucken die Jugendlichen den Stoff der vergangenen Unterrichtsstunden durch. Auf der Straße von Lohne nach Dessau muss der Busfahrer kurz abbremsen, weil ein Reh über die Straße läuft. Um diese Uhrzeit ist noch reichlich Getier auf den Feldern neben der Straße zu sehen.

Über Sanne führt die Route weiter nach Fleetmark. Dort steigen erstmals etwas mehr als nur ein, zwei oder drei Schüler ein, wie es in den anderen Dörfern der Fall war. Kassuhn heißt die nächste Haltestelle. Es folgen Schernikau, Vissum, Klein Gartz und Königstedt. Nach diesem Stop müssen die ersten Schüler stehen, weil die Sitzplätze nicht mehr reichen. In Pretzier wird der Bus noch voller, doch bis Salzwedel ist es nicht mehr weit.

"Hausaufgaben machen ist während der Fahrt unmöglich."

Lisa Hemstedt (16)

Nach rund 45 Kilometern und einer Stunde und zehn Minuten hält der Bus am Netto in der Nähe des Salzwedeler Bahnhofs. In gut 15 Minuten beginnt der Unterricht. Bei Lara Hemstedt steht zunächst ein Block (90 Minuten) Deutsch auf dem Plan. Ihre 16-jährige Schwester startet mit Biologie in den Schultag.

Gegen 9.30 Uhr wird es für Lisa Hemstedt ernst. Sie ist seit fast fünf Stunden wach und muss nun eine Wirtschaftsklausur schreiben. Zeitgleich hält ihre jüngere Schwester in Ethik einen Vortag. Beide absolvieren danach noch zwei Unterrichtsblöcke. Um 15 Uhr ist Schulschluss.

Um 15.30 Uhr steigen die Teenager wieder in den Bus. Auf der Rücktour beginnt die Fahrt an der Kreisvolkshochschule, gegenüber der Salzwedeler Schwimmhalle. "Der ist aber heute leer", wundert sich Lara Hemstedt. "Normalerweise ist der Bus wesentlich voller. Oftmals müssen wir stehen", ergänzt Lisa Hemstedt.

Bevor der Bus Salzwedel verlässt, schlängelt er sich durch das Neubaugebiet an der Arendseer Straße. Niemand steigt zu. Hinter Pretzier geht es rechts weg in Richtung Klein Gartz und die Schaukelei auf der unebenen Straße beginnt. "Hausaufgaben machen ist während der Fahrt unmöglich", erklärt die 16-Jährige und macht sich langsam zum Umsteigen bereit. Denn in Fleetmark endet die Etappe für sie und ihre Schwester.

"Die auswärtigen Schüler sind genauso motiviert."

Uwe Hundt, Oberstufenkoordinator

"Der Bus, mit dem es weitergeht, steht immer schon da. Das klappt ganz gut", erzählt Lara Hemstedt. Um kurz nach 16.30 Uhr steigen die Mädchen in Kleinau aus. Um 16.45 Uhr sind sie zu Hause. Doch ihr Schultag ist noch nicht vorbei. Hausaufgaben, Lernen, Vorträge ausarbeiten - oft sitzen die Geschwister bis 18 oder 19 Uhr an ihren Schreibtischen. Für Freunde und Hobbys bleibt da während der Woche nicht mehr viel Zeit und Kraft. Denn spätestens um 22 Uhr ist Schlafenszeit. "Länger halten wir während der Woche auch nicht durch", sind sich die Schwestern mit den 13-Stunden-Schultagen einig.

Uwe Hundt, Oberstufen-Koordinator des Jahngymnasiums und Mitglied des Kreis-Bildungsausschusses, nennt die langen Fahrten grenzwertig. Dennoch: "Die auswärtigen Schüler sind genauso motiviert wie die Mädchen und Jungen aus Salzwedel, wenn nicht sogar noch etwas mehr. Hut ab vor dieser Leistung", äußert sich Hundt.

Ein Video vom Schultag der Geschwister finden Sie unter www.volksstimme.de/altmarkvideos/