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Hospizverein lud zu Vortrag in die Bibliothek ein Pause zwischen Geburt und Tod heißt Leben

Von Anke Pelczarski 03.11.2014, 02:16

Schuldgefühle, Scham und Beschämung: Zu diesen Themen sprach Annelie Keil aus Bremen in der Stadt- und Kreisbibliothek. Der Salzwedeler Hospizverein hatte die Referentin eingeladen.

Salzwedel l Fast hätte es den Vortrag nicht gegeben. Ein BMW sei am Tag zuvor in ihren VW gefahren, erzählte Annelie Keil am Donnerstag. Ihr Auto sei Schrott, ihr sei nichts passiert. Trotzdem würden sie Schuldgefühle plagen. "War ich schusselig? Passe ich nicht gut auf mich auf?", sagte die 75-Jährige und war somit gleich beim Thema. Ihr Ziel: die gut 70 Zuhörer mitzunehmen in eine Gefühlslandschaft, die nicht nur in der Hospizarbeit zu finden sei.

"Zwischen Geburt und Tod gibt es eine große Pause, die heißt Leben. Und die füllen wir", sagte die Referentin. Das sei ein Ort für alle Fragen, die mit Schuld und Scham zu tun haben. Als Beispiel beschrieb sie das Verhalten mancher Ehepaare, die sich nach dem Aufstehen nicht mit "Guten Morgen" begrüßen, sondern mit der Frage "Hast du schon die Tabletten genommen?" Und sie schilderte das Gespräch mit einer Jugendlichen, die ihren sterbenden Vater pflegt. Diese quälte die Frage, ob sie in die Disko gehen könne, während ihr Papa sterbe. "Was würde Papa sagen?", fragte sie Annelie Keil. "Geh", antwortete das Mädchen und hatte somit die Antwort auf ihre Frage.

Die Bremerin, die sich unter anderem mit Gesundheitswissenschaften, Kranken- und Lebensweltforschung beschäftigt, nannte weitere Beispiele, die zum Nachdenken anregen: Manchmal würden Leute sterben, weil sie sich schämen, zum Arzt zu gehen. Angehörige würden einen Kranken füttern, weil der Parkinson-Patient beim selbständigen Essen kleckert. Dass sie diesem einen Teil der Selbständigkeit und der Würde nähmen, das bemerken nur wenige. In der Hospizarbeit sei auch Gefühlsarbeit gefragt. Denn manchmal kämen Ekelgefühle auf durch unangenehme Gerüche. Auch damit müsse man umgehen lernen.

Schämen und beschämt werden: Jeder Mensch könne sowohl Täter als auch Opfer sein. Das eigene Tun gelte es zu beleuchten. "Wir kriegen ein Gehirn zum Denken. Aber denken müssen wir selbst", sagte Annelie Keil.

"Ich nehme aus dem Gehörten mit, dass man auch mal Fehler machen und sich schämen darf. Und dass es wichtig ist, nicht immer auf den Kopf zu hören, sondern auch auf Herz und Bauch", schilderte Zuhörerin Gabriele Tunger.