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Calbenser hat technische Relikte aufgehoben, die an die schwierige Fernsehzeit von früher erinnern Mit Beziehungen wurde der Westen bunt

03.01.2013, 01:31

Rudolf Wolfram gibt einen Einblick in die Zeit, als für heimisches Farbfernsehen über abenteuerliche Wege Teile organisiert, transportiert, selbst Antennen gebastelt und amtliche Genehmigungen eingeholt werden mussten.

Von Andreas Pinkert

Calbe l Dass heute jedermann ohne großen Aufwand hunderte Fernsehsender ins heimische Wohnzimmer bekommt, gilt schon als Selbstverständlichkeit. Zu schnell wird dabei jene Zeit vergessen, als auf manchem Dachboden etliche Eigenbauantennen viel Platz beanspruchten. So wie bei Rudolf Wolfram in der Schillerstraße.

"Welcher Aufwand betrieben wurde, lässt einen heute manchmal den Kopf schütteln", erinnert sich der Calbenser mehr als 40 Jahre zurück. 1969 wurde das Farbfernsehen auch in der DDR eingeführt. Zur Farbübertragung wurde in der DDR jedoch anders als in Westdeutschland nicht das PAL-, sondern das Secam-System verwendet. Gegenseitiger Empfang in schwarzweiß blieb möglich.

Päckchen reiste von Nürnberg über Berlin nach Calbe

"Ich wollte aber auch Westfarbe sehen", sagt Rudolf Conrad. Anfang der 1970er Jahre siedelte die Großmutter seiner Frau nach Nürnberg. So war der Weg geebnet für Besuche der Großmutter und der Elektronik-Fachgeschäfte beim Klassenfeind. Erstes Objekt der Begierde war ein sogenannter "Grundig-Farbbaustein PAL", der so groß war wie zwei Zigarettenschachteln. Ein befreundeter Techniker aus dem VEB Fernsehgerätewerk Staßfurt gab den Tipp. Doch wie sollte das kostbare Bauteil über die Grenze geschmuggelt werden?

Wieder halfen persönliche Verbindungen. Ein Credo, was sich Rudolf Wolfram auch in seiner langjährigen Tätigkeit als Bauleiter zu Nutze machte. "Ohne eine alternative Materialbesorgung auch nach Feierabend wäre beispielsweise das Heger-Schwimmbad in Calbe früher nicht so schnell ausgebaut worden", lacht Rudolf Wolfram verschmitzt.

Einfaches Türblatt bildete die eigentliche Antenne

Im Fall des besagten Fernsehbauteils wohnte die Mutter eines Arbeitskollegen in Westberlin und besaß eine Besuchserlaubnis für ihren Sohn im Osten. So ging ein Päckchen von Nürnberg nach Berlin auf Reisen. Dumm nur, dass die Empfängerin nichts von der Ankunft eines Päckchens wusste. "Sie vermutete ein gefährliches Bauteil dahinter, eine Art Bombe. Die Polizei erklärte es dann für unbedenklich und es konnte weiter in die Post gehen." Endlich konnte das technische Wunderding eingebaut werden und den vorhandenen Secam-Farbfernseher "Made in GDR" von Rudolf Wolfram auf Westfarbe umstellen.

"Wir bekamen an unserem Verandafenster wenig später auch einen Fremdzuschauer", sagt Rudolf Wolfram. "Bei welcher Firma er arbeitete, wollten wir gar nicht erst wissen, jedenfalls lobte er uns gegenüber das Farbbild."

In den 1980er begann eine neue Fernsehbastel-Ära: Sogenannte Parabol-, später auch Satellitenantennen kamen auf. Bei Rudolf Wolfram erwachte wieder der Bastlergeist. Benötigt wurde eine geschwunge Fläche von rund 1,5 Meter Durchmesser, eine Richtungsstellhalterung, diverse Kleinteile und vor allem ein LNB-Empfangsteil. Wieder ging es für seine Ehefrau nach Nürnberg. Trotz einiger Kontrollen am Grenzübergang Probstzella brachte sie die technische Errungenschaft mit in die Saalestadt zurück. "Sie hat das Teil wegen der Form einfach als Thermosflasche getarnt", erinnert sich Rudolf Wolfram. Die eigentliche Antenne für das Empfangsteil war dann schnell gebastelt. Auf ein einfaches Türblatt wurde eine Styroporplatte aufgebracht, wie bei einer Parabolantenne ausgehöhlt und mit Silberpapier überzogen. Wieder gab der befreundete Fernsehtechniker Schützenhilfe. "Die ersten Versuche waren erstaunlich gut", ist dem Rentner noch immer die Begeisterung anzusehen. "Die ersten Satellitenfernseh bilder kamen aus Italien und waren wirklich scharf."

Und da auch Mitte 1989 nicht jeder machen konnte, was er wollte, folgte ein elfseitiger Schriftwechsel mit der Bezirksdirektion der Deutschen Post über die Erlaubnis zum Betrieb der Antennenanlage. Nachdem die Wolframs in den 1990er Jahren einen Kabelanschluss bekamen, schauen sie heute wieder über Satellitenantenne. "Die gibt es jetzt an jeder Ecke", sagt Rudolf Wolfram.