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Auf der Jagd mit Mathias Cosic aus Atzendorf / Wildschwein gerät nicht weit von der Kanzel ins Visier "Pssst - hast du das gehört?"

Von Franziska Richter 17.03.2015, 02:22

Wartet ein Jäger stundenlang einsam auf seiner Kanzel? Ist die Jagd blutig und brutal? Redakteurin Franziska Richter wollte - als Stadtkind und absolut Ahnungslose was die Jagd betrifft - mit "auf die Pirsch". Jäger Mathias Cosic aus Atzendorf erklärte sich bereit, der Volksstimme zu zeigen, wie er ein Wildschwein schießt.

Atzendorf/Hötensleben l Treffpunkt 18 Uhr Tankstelle in Egeln-Nord an einem Mittwoch. Es muss natürlich dunkel sein, will man auf die Jagd. Mathias Cosic wartet schon in seinem grünen Armee-Jeep, den braucht er zur Jagd. Ich klettere in das Riesenauto, in dem sogar ein Tablet ist. "Da schaue ich Karten an oder gucke nach dem Stand des Mondes", sagt er.

Auf geht`s Richtung Hötensleben

Das Auto rollt los Richtung Etgersleben. "Wir fahren jetzt erstmal eine Weile. Es geht zum ehemaligen Grenzstreifen zwischen Hötensleben und Sommersdorf", sagt er. Seit einem Jahr hat er dieses Jagdrevier noch zusätzlich neben dem bei Atzendorf und einem bei Burg. "Weil das ein Revier mit sehr großem Schwarzwildbestand ist, wurden dafür noch Jäger gesucht. Mehr als 200 Wildschweine leben dort."

"Genau genommen bin ich Begehungsscheininhaber", sagt Mathias Cosic, der weiß, dass weitere Jäger diesen Artikel lesen werden und auf die richtige Fachsprache Wert legen. Deswegen muss später auch unbedingt der Jägerhut aufgesetzt werden beim Foto.

Per SMS informieren sich die Jäger dieses Gebiets untereinander, wer an welchem Abend auf welcher Kanzel sitzt. Ein bis drei Wildschweine schießt Mathias Cosic pro Jagdausflug, wenn er ohne laut quasselnde Reporterin unterwegs ist. "Wildschweine müssen stark bejagt werden, weil sie viel Schaden verursachen und um Krankheiten wie der afrikanischen Schweinepest und anderen vorzubeugen", sagt er.

36 Wildschweine hat er dieses Jahr schon geschossen. So viele schon? "Nein, nein, das Jagdjahr ist ein anderes", erklärt Mathias Cosic gleich. "Das aktuelle Jagdjahr geht von 1. April 2014 bis 31. März 2015." Füchse hat er schon 18 dieses Jagdjahr geschossen, auch die sind immer bejagbar.

"Riech mal die Klamotten", sagt Mathias Cosic. Er hält kurz seinen Ärmel rüber und ich rieche dran. Riecht muffig. "Ist aber frisch gewaschen, mit speziellem Waschmittel für Jäger", sagt er. Das hat keine Duftstoffe, denn die Tiere sollen möglichst gar nichts vom Jäger mitbekommen. "Und Schweine haben einen guten Geruchssinn", sagt er.

Erste Wildschwein-Spuren unterwegs

Später, als wir uns dem Revier nähern, fährt Mathias Cosic auf der Landstraße langsamer. "Siehst du das?", fragt er und zeigt auf eine schwarze Furche im Gebüsch. "Hier sind die Schweine durchgezogen." Zum Job des Jägers gehören übrigens auch die Revierarbeiten: Äste verschneiden, Bäume mit Teer einschmieren - daran reiben sich die Wildschweine, um Parasiten loszuwerden. Und die Kirrung bestücken - das ist eine Art Spielzeug mit Mais, um die Schweine in das Gebiet zu locken. Und dann ist da noch das Entsorgen des Wildes nach einem Unfall, "man nennt das dann Fallwild", erklärt der Jäger.

Die Spuren der Wildschweine und der nächtliche Ausflug wirken abenteuerlich. "Ich bin schon aufgeregt", sage ich. Wir fahren rechts rein in einen Feldweg - umziehen. Da es sehr kalt in der Nacht wird, bekomme ich einen Skianzug. Nach fünf Minuten bin ich reingerutscht in den molligen Ganzkörperanzug und sehe aus wie eine Mischung aus Michelin-Männchen und Teletubby.

Sitzen wir dann ewig auf der Kanzel? "Na, eine Stunde schon", sagt der Jäger und macht seinen Rucksack fertig - was da drin ist, werde ich später noch sehen. "Aber ansonsten machen wir hier Intervalljagd, das heißt wir sitzen jeden Abend an einem anderen Platz. Und wir jagen spät am Abend. Im Dunkeln fühlen sich die Wildschweine sicher und der Hunger und Durst treibt sie irgendwann raus." Es gebe auch Jäger, die sitzen jeden Abend an derselben Stelle und müssen lange warten, weil der Platz dann nach Mensch riecht und sich die Tiere das merken.

Fertig geht`s wieder ins Auto und Richtung Kanzel. "Auf dem Weg zwischen Auto und Kanzel dürfen wir dann nicht sprechen und auf der Kanzel nur flüstern, okay?", weist Mathias Cosic an. Wir steigen aus. Mit Rucksack, Büchse und Hut läuft der Jäger neben mir her einen verlassenen Feldweg entlang. Ich gucke zur Seite, aber er macht nur ein lautloses "Pssst". Wenn ich jetzt allein wäre, würde ich es mit der Angst zu tun bekommen.

Warten auf der Kanzel - mit geladener Waffe

Etwa zehn Minuten laufen wir zu Fuß, der Weg ist fast taghell erleuchtet. Es ist Vollmond. So kann der Jäger besser gucken. Gut sei es aber auch, wenn sich die Wolken vor den hellen Mond schieben, dann fühlen sich die Schweine sicherer, wurde mir vorher erklärt.

Die Kanzel steht ebenerdig vor einem Hang. Wir treten ein und setzen uns. "Es ist Nordwestwind", flüstert Mathias Cosic. Der Wind kommt direkt aus der Richtung, wohin das Fenster der Kanzel zeigt - so können uns die Schweine nicht riechen. Vor uns unterhalb des Abhangs sind Bäume, Schilf und ein See. "Wenn ich ein Zeichen gebe, bist du ganz ruhig und bewegst dich nicht", sagt er.

"Eigentlich sitze ich hier dann eine Stunde hier und lehne mich zurück, denke gar nichts", erzählt er. Ein bisschen dösen und tagträumen also. Nach Arbeitstagen mit etlichen Terminen und Hunderten Kilometern im Auto ist das ein guter Ausgleich. Etwas später ist ein Vogel zu hören. "Pssst. Hörst du das?", sagt Mathias Cosic plötzlich. Die Waffe ist schon geladen. "Wenn ein Vogel Alarm schlägt, heißt das, da unten ist etwas."

Schweine im Visier des Wärmebild-Fernglases

Noch ein wenig später fragt er: "Hast du das gehört?" Ich habe gar nichts gehört, aber ein Schwein soll gegrunzt haben. Ich versuche mich auf die Geräusche zu konzentrieren, aber höre nur das Rauschen des Schilfs - auch das Hinhören hat der Jäger gelernt. Mathias Cosic gibt mir das Fernglas. "Hier vor uns im Schilf sind etwa zwanzig Schweine." Mit dem Wärmebild-Fernglas gucke ich den Hang hinunter, sehe die Bäume, aber keine Schweine. Auch das muss trainiert werden.

Auf einmal gibt er das Zeichen und legt an. Ich bewege mich nicht mehr. Wenige Sekunden und es knallt fürchterlich. Ich muss mich zusammenreißen, dass ich nicht schreie. Jetzt knackt es im Gehölz und ich höre es grunzen.

Es hat geklappt. "Ich habe dort das Schwein erschossen, es ist noch etwa 50 Meter weiter gerannt und dann liegengeblieben", sagt er. Wir warten noch. Die anderen Schweine seien in der Nähe wie erstarrt stehengeblieben und versuchen zu wittern, woher die Gefahr kam, erklärt er mir.

Durch das Wärmebild-Fernglas kann ich jetzt endlich einen roten Punkt erkennen. Das ist das geschossene Schwein. "Und wenn du weiter links am Schilf entlang schaust, siehst du noch eine Gruppe Schweine", meint der Jäger. Mit etwas Fantasie kann ich kleine Punkte erkennen.

Dann kann ich mir das Lachen doch nicht mehr verkneifen: Mathias Cosic holt ein kleines Blasrohr aus dem Rucksack und gibt damit einen Wildschwein-Laut ab. "Das ist der Ruf eines Wildschweins, das alles sicher ist. Damit die anderen weitergehen." Denn eigentlich wollte er noch mehr Schweine schießen.

Jagdhund sucht Schilf und Gehölz ab

Aber dann entscheiden wir abzubrechen. Das geflüsterte Interview war über weite Strecke doch ziemlich laut. "Ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass ich überhaupt was geschossen habe", sagt er. Also aufbrechen, wieder zurück zu Fuß zum Auto. Da wird erstmal der Jagdhund aus seiner Box im Auto gelassen, den ich bis dahin gar nicht bemerkt hatte. Die Weimeranerhündin rennt los, wir im Auto hinterher. "Such voran", ruft Mathias Cosic aus den Fenster.

Es schüttelt einen im Auto durch bei dem unebenen Gelände. Bei dem Schilf steigen wir aus, direkt bei dem toten Schwein. "Der Schuss ging hier rein und hier wieder raus. Das Schwein war sofort tot", sagt der Jäger. Man schießt in die Gefäße, die ein wenig über dem Herz liegen. Der sogenannte Überläuferkeiler - ein junges, männliches Schwein - von 47 Kilogramm ist zwar nicht das allergrößte Exemplar, aber auch der muss erstmal auf die Ladefläche gehievt werden. "Für die 60-Kilo-Schweine habe ich auch eine Seilwinde hier."

Wieder zurück an der Stelle von zuvor muss das Schwein ausgenommen, sprich "aufgebrochen", werden - den Bauch aufschneiden, mit Wasser ausspülen, mit einem Beil den Brustkorb aufhacken, die Bauchdecke durchschneiden und alle Eingeweide raus. Die werden ins Gras geworfen - auf den sogenannten Luderplatz, um Fuchs und Waschbär anzulocken - und werden schon einen Tag später aufgefressen sein.

Dann muss das Schwein noch fünf Tage in der Wildkammer hängen, dann kann gekocht und eingefroren werden. Wer soll das alles essen? "Ich koche selbst und gebe viel an Bekannte und Freunde weiter", sagt Mathias Cosic. Das war jetzt das 37. Schwein in diesem Jagdjahr. Im April hofft er die Goldmedaille des Landesjagdverbands Sachsen-Anhalt zu bekommen, für seinen "Lebenskeiler" aus dem Sommer 2014.