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Abschreiben und Schummeln im Wandel der Zeit: Schüler und Lehrende sagen aus Spicken bis der Lehrer kommt

Von Annemarie Fehse 23.04.2014, 01:24

Wer hat es denn nicht schon einmal getan? Der Tag der Klausur steht an und man hatte natürlich keine Zeit zum Lernen. Ein Spickzettel muss her, aber schnell. Wie es wirklich nicht (!) funktioniert, haben Schüler, Ehemalige und Lehrer der Volksstimme verraten.

Salzwedel l Absolute Stille herrscht im Klassenraum. Kerzengerade sitzen die Schüler unter den strengen Blicken des Mathematiklehrers über der Klassenarbeit. Es ist das Jahr 1939 und Inge Schröder hat nicht gelernt.

"Ich habe dann einfach beim Nachbarn geschaut, ob er das Gleiche geschrieben hat", verrät die Dame des Jahrgangs 1932. Zu dieser Zeit waren die Unterrichtsmethoden noch andere als heute: Rohrstock und Nachsitzen waren an der Tagesordnung. Und Inge hat Pech, der Lehrer erwischt sie. Ab nach vorne und die Hände auf den Tisch gelegt. "Das tat vielleicht weh!", erinnert sie sich und verzieht dabei das Gesicht. "Aber seitdem habe ich nie wieder abgeschrieben."

Ein paar Jahre später, ähnliche Situation: Renate Zimmer hat sich bestens auf den Test vorbereitet: Sie hat sich ihren Bleistift zu Hause beschrieben. Nachsitzen ist das Resultat, denn auch sie ist aufgeflogen. "Meine Mutter kam dann wutentbrannt in die Schule und hat mich von der Strafe befreit", sagt Renate.

Aber heute ist das doch alles anders - oder?

Brigitte Meine von der Lessing-Ganztagsschule in Salzwedel weiß: "Die Schüler sind raffiniert. Ich habe mal einen Bleistift entdeckt, auf dem in klitzekleiner Schrift etwas geschrieben stand." Das kommt uns doch bekannt vor...

Auch der Spickzettel unter dem Minirock ist heute, wie früher, eine beliebte Methode, um abzuschreiben. "Das habe ich mal gemacht", sagt die Lehrerin für Deutsch und Wirtschaftskunde an der Ganztagsschule mit einem Schmunzeln. "Der Lehrer kann ja nicht unter den Rock gucken!"

Fast schon beschämt wirft Brigitte Meine ein: "Ich war ziemlich einfallslos mit meinem Zettelchen in der Federtasche." Dennoch sei das immer noch am beliebtesten. "Ich weiß natürlich, dass gerade im Deutschunterricht die Duden gut bestückt sind", räumt sie ein. "Aber wir stehen ja nicht wie die Geier im Raum", sagt Meine. Wenn sie eine Schummelei bemerke, mache sie die Schüler allein durch ihre Blicke nervös, und das klappe meistens, erzählt sie süffisant.

"Wer einen Spicker schreibt, hat sich zumindest schon mal mit dem Stoff auseinandergesetzt."

Claudia Geyer

In einem sind sich die befragten Lehrer der Salzwedeler Schule außerdem einig: Für neue Ideen sind sie "offen". Da sei ein Stück beschriebenes Papier im Rucksack auf dem Boden schon ziemlich auffällig, wenn man als Lehrer noch darüber stolpert, sagt die Wirtschaftskundelehrerin grinsend. Sympathisch allerdings ist: "Wer einen Spicker schreibt, hat sich ja zumindest schon mal mit dem Stoff auseinandergesetzt", meint Claudia Geyer, Lehrerin für Musik und Ethik. Das sei eine gute Übung.

Anders sehe es jedoch bei Handys/Smartphones und anderen technischen Hilfsmitteln aus: "Da googeln die Mädchen und Jungen und haben dabei nichts gelernt", meint Claudia Geyer.

Nachfrage bei den Schülern: Miriam (Namen der Schüler geändert) aus der siebten Klasse kennt den Zettel im Ranzen. Was auch immer gut funktioniere, sei eine beklebte Flasche oder ein umwickelter Klebestift, verrät die 13-jährige Sarah.

Dass das schon längst zu Schulleiter Holger Lahne durchgedrungen ist, wissen die Jugendlichen aber nicht. "Bis jetzt ist noch nichts aufgedeckt worden", sagen sie.

Stefanie erzählt sogar von einem Mitschüler, der während der Klausur aufstand, um bis zum nächsten Tisch zu gehen und dort dreist aufs Papier zu linsen.