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Theatergruppe des Maßregelvollzugs Uchtspringe feiert heute mit neuem Stück Premiere in Lochow Wenig Geduld so kurz vor der Premiere

Von Judith Kadow 23.10.2009, 04:55

Dichter und Denker wie Schiller, Brecht, Lewis Carroll – mit der Theatergruppe des Maßregelvollzugs Uchtspringe scheut Theaterpädagoge Götz Zuber-Goos keine Herausforderung. Von allen hat er bereits Stücke im Maßregelvollzug inszeniert. Heute feiert die Gruppe mit dem griechischen Mythos " Odyssee – Männer allein auf See " Premiere in Lochow.

Uchtspringe. Grelles Neonlicht beleuchtet am Mittwoch die Turnhalle des Maßregelvollzugs in Uchtspringe. Es ist 16. 30 Uhr. Zwei Handballtore und ein gespanntes Volleyballnetz sind alle Gegenstände, die in der Halle stehen – bis acht gute gelaunte Männer nach und nach durch den Eingang treten. Eifrig holen sie Stühle herbei, tragen zwei Tische herein, platzieren ein Seil auf dem Boden. Sie sind die Mitglieder der Theatergruppe des Maßregelvollzugs Uchtspringe, und sie beginnen gerade mit ihrer Hauptprobe.

" In diesem Jahr

spielen wir den

Mythos Odysseus, aber ohne Odysseus "

" In diesem Jahr spielen wir den Mythos Odysseus, aber ohne Odysseus ", erzählt Regisseur und Theaterpädagoge Götz Zuber-Goos, der seit 2005 einmal im Jahr ein Stück mit der Theatergruppe einstudiert. Insbesondere ein Thema lag bisher allen Inszenierungen zugrunde : Eine Gruppe Männer gerät in Not an einem abgelegenen Ort. Nun wagte sich Zuber-Goos an die griechische Saga heran, konzentrierte sich auf die Irrfahrt von Odysseus ‘ Männern, den Kampf gegen den Zyklopen, die Verwandlung der Seemänner in Tiere durch die Göttin Kirke. Was in der Hauptprobe gekonnt und einstudiert aussieht, ist das Resultat von einem Jahr kontinuierlicher Arbeit.

Am Anfang steht die Idee. Nach " Unter Räubern " von Friedrich Schiller und " Manno-Mann " von Bertold Brecht ging Zuber-Goos weiter zurück in der Geschichte. Homers " Odysseus " sollte es in diesem Jahr sein. " Zu Beginn stelle ich den Männern die Geschichte vor, erkläre ihnen, wie ich mir das Stück vorstellen könnte. " Dann erarbeitet der Regisseur das Stück gemeinsam mit den Patienten, reduziert es auf wenige Szenen, schafft so einen Bezug der Männer zum literarischen Stoff. " Der größte Unterschied in der Arbeit mit diesen Patienten liegt in deren Sozialverhalten ", so Zuber-Goos. Manche seien sehr introvertiert, fast ängstlich. " Wie soll das gehen ?" oder " Ich kann das nicht !" sind Sätze, die der Pädagoge zur Genüge hört. Im Laufe der Proben führt er die Männer an die Rollen heran, kräftigt durch die Proben deren Selbstvertrauen. " Ich sage ihnen dann immer, dass wir es erstmal versuchen sollten. Dazu sind Proben da. " Andere Patienten sind überschwänglich, fast euphorisch. " Es ist eine intensive Arbeit ", sagt Zuber-Goos. Doch dies sei keine bloße Unterhaltungsveranstaltung für die Patienten. Es sei Theater mit Anspruch. Auch im Maßregelvollzug ist für Zuber-Goos das Beste gerade gut genug.

Entsprechend fordernd geht der Regisseur mit seinen Darstellern um. Sobald eine Szene geprobt wird, ist Zuber-Goos ein anderer Mensch. Der freundliche, umgängliche Berliner wird zum perfektionistischen Dramatrug mit wenig Geduld für Flüchtigkeitsfehler. Tanzt einer der Männer aus der Reihe, gibt der Regisseur laute und deutliche Anweisungen. Ist eine Textpassage alle Männer nicht synchron genug, wird sie auch ein drittes und viertes Mal wiederholt. Tuscheln die Männer miteinander, fordert Zuber-Goos lautstark Ruhe. Ein Umgang, wie er in dieser Situation wohl auch nicht anders möglich ist. Denn die Männer wissen, Zuber-Goos meint es nicht böse, er will nur ihr Bestes herauskitzeln, das Stück bestmöglich umsetzen.

Und so gehorchen sie ihrem Regisseur meist ohne Widerworte, proben Szenen wieder und wieder und freuen sich ganz aufrichtig, wenn irgendwann der Regisseur warmherzig " gut gemacht " durch die Halle ruft.

" Wenn ich euch

anschreie, ist

das nicht böse

gemeint "

Jene Perfektion, die Zuber-Goos fordert, ist daher wichtig, da in der heutigen Premiere in der Außenstelle des Maßregelvollzugs in Lochow, vor allem die Schauspieler wirken sollen. Nur ein Minimum an Requisiten wird die Handlung begleiten. Stühle werden zu Klippen, Sitzen und Ruderbänken. Tische zu Wänden und dem Abgrund zum Hades. Ein bemaltes Laken, auf dem ein riesiges Auge prangt, symbolisiert den Zyklopen. " Requisiten sind Dekoration, es kommt auf die Menschen an. "

Nach 30 Minuten ist die Hauptprobe beendet. Alle Männer bilden einen Kreis, legen die Hände aufeinander, rufen gemeinsam " Wir sind ein Team ". Sie fühlen sich bereit für die Premiere. Emsig räumen die Seefahrer, die nun wieder Patienten im Maßregelvollzug sind, Stühle und Tische beiseite.

" Wenn ich euch angeschrieen habe, war das nicht bös ‘ gemeint ", sagt Zuber-Goos zu ihnen. Sie lächeln nur, winken ab. Sie wissen, dass er es nicht böse meint. Und sie wissen, dass heute die Bühne in Lochow ihnen gehören wird, und dort wollen sie alle ihr Bestes geben.