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Ursprünge der Zerbster Buchhandlung Gast liegen 146 Jahre zurück / Seit 25 Jahren ist Hannelore Seidler die Inhaberin Von Kulturabenden, Wasserleitungen, von stets mehr als einfach Buchverkauf

Von Antje Rohm 23.04.2011, 04:27

"Die Bücher haben ihre Geschicke, nicht minder die sie vermittelnden Buchhandlungen." Dieses Zitat steht am Anfang der Festschrift zum 75-jährigen Bestehen der Zerbster Buchhandlung Gast. Inzwischen gibt es sie im 146. Jahr und Hannelore Seidler kann 2011 auf 25 Jahre als Inhaberin zurückblicken. Auch sie sieht sich in den Traditionen eines Hauses, das immer mehr war als reiner Buchverkauf.

Zerbst. Dass Hannelore Seidler Buchhändlerin geworden ist, das war ein Zufall, den es eigentlich nicht hätte geben dürfen. Sie ist ausgebildete Bibliothekarin, beschäftigt an der Francisceumsbibliothek, als sie in das Vorbereitungskomitee für die Arbeiterfestspiele 1986 in Zerbst delegiert wird.

Es ist die Zeit, als Maria Gast, 1985 60 Jahre alt geworden, eine Nachfolge für die Buchhandlung suchte. "Ich hatte die Auflage, dass es nur ein Buchhändler sein durfte", erinnert sie sich heute. Und dass es eine schwierige, stressige Zeit war. Zwar gab es viele Bewerbungen, aber die Auswahl zog sich hin. Dann war da dieses in Frage kommende Ehepaar - und letztlich doch, kurz vor Weihnachten 1985, eine Absage. Die Wohnung, die in Zerbst nicht zu bekommen war, war einer der Gründe.

"Wär das nichts für Dich", wird Hannelore Seidler gefragt. Die Bibliothekarin. Die es dann ab 1. Oktober 1986 wird. "Eigentlich habe ich es mir nicht zugetraut, habe mich darauf eingelassen, ohne zu wissen, worauf ich mich einlasse."

Erste Schritte in der Neuen Brücke 14

Sie lässt sich nicht nur auf ein völlig neues Metier mit jeder Menge zeitenbedingter Herausforderungen ein, sondern auch auf große Schuhe langer und renommierter Zerbster Buchhändler-Tradition.

Die der Buchhandlung Gast hat ihren Ursprung am 12. Juni 1865. Hermann Zeidler heißt der Buchhändler, der im Elternhaus in der Neuen Brücke 14 seine Buchhandlung eröffnet. Als für das florierende Geschäft dort die Räume zu klein werden, zieht es zunächst auf den Markt 21 um. Ab 1870 ist der Markt 34, das Eckhaus zur Breiten Straße, Sitz der Buchhandlung. Bleibt es auch, nachdem das Haus 1882 einem Brand zum Opfer fällt und ein neues an der selben Stelle gebaut wird.

Zeidler ist Hofbuchhändler und Verleger, erwirbt eine Buchdruckerei. Er gibt ab 1. Oktober 1872 die "Zerbster Zeitung" heraus.

Zum Hofbuchhändler wird auch Friedrich Gast ernannt. Er übernimmt die Buchhandlung, als Hermann Zeidler 1878 verkaufen will. Friedrich Gast war auf den Gymnasien in Dessau und Zerbst, hat in Dessau seinen Beruf gelernt, war im damaligen Breslau und in Hamburg tätig.

Gast sen. ist nicht nur Buchhändler. Als Stadtverordneter und Stadtverordnetenvorsteher sorgt er unter anderem mit dafür, dass Zerbst Wasserleitungen und Kanalisation erhält.

Gebürtiger Zerbster ist Friedrich Gast jun., der die buchhändlerischen Familien-Traditionen nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg fortsetzt. 1919 übernimmt er die Buchhandlung. Auch er war Francisceer, hat im Geschäft des Vaters gelernt und war während der Lehrzeit unter anderem in Hamburg und in der Schweiz tätig. 1927 kauft Gast jun. die Zerbster Buchhandlung Luppe mit auf. Das Haus am Markt wird umgebaut und erweitert.

Friedrich Gast macht sich verdient um die Heimatliteratur. In der überlieferten Auflistung "Aus der Verlagstätigkeit" finden sich Veröffentlichungen wie Reinhold Spechts "Bibliographie zur Geschichte Anhalts", Hermann Wäschkes "Anhältische Dorfjeschichten", Franz Münnichs "Geschichte des Francisceums", August Klughardts "Festmarsch zum 500-jährigen Jubiläum der Zerbster Schützengilde" und noch vieles mehr.

Alle namhaften Künstler kommen

Maria Gast packt zwei dicke Bücher aus. Zwei von fünf erhaltenen Gästebüchern, die wahre Schätze sind. Sie stehen für ein ganz besonderes Kapitel in der Geschichte der Buchhandlung Gast. Schon Gast sen. hatte Künstler des Dessauer Hoftheaters für Kammermusikabende nach Zerbst geholt. Sein Sohn begründet 1923 die legendären "Kulturabende der Buchhandlung Gast".

Schauspieler, Musiker, Sänger, Chöre, Dichter, aber auch Abenteurer - die namhaftesten Künstler der Zeit kommen nach Zerbst. Alle verewigen sie sich, teils in Worten, teils hochkünstlerisch, in den Gästebüchern.

Friedrich Gast jun. ist aber auch Vorstandsmitglied des Zerbster Verkehrsvereins. Er führt den "Norddeutschen Lloyd", ein Reisebüro, mit in seiner Buchhandlung. Er hat mehr als 200 Ansichtskarten von Zerbst und dem Umland im Angebot. Und er fühlt sich auch der bildenden Kunst verbunden. Gemälde, Radierungen und Aquarelle von Zerbst entstehen vor Ort. "Die Radierungsplatten überlebten ausgelagert im Keller von St. Nicolai die Zerstörung des Hauses", so Maria Gast.

Der Markt 34, die da schon traditionsreiche Buchhandlung, fällt den Bombenangriffen des 16. April 1945 auf Zerbst völlig zum Opfer.

Erhalten bleibt das Haus des Gast\'schen Schwiegervaters, des Arztes Dr. Fiedler, in der heutigen Fritz-Brandt-Straße 23. Was als Übergangslösung gedacht war, bleibt Buchhandlungsdomizil. Für den Neuaufbau am Markt fehlen Geld und Material. "Wir hatten nichts, als wir am 1. August 1945 neu angefangen haben", erzählt Maria Gast. Sie selbst war damals noch in der Ausbildung zur Buchhändlerin, als sie gemeinsam mit ihrer Schwester Elisabeth, die in den 1950er Jahren nach Hamburg umzieht, daran geht, den Buchhandel weiter zu betreiben. Der Vater Friedrich Gast wird kurz nach Kriegsende ohne Angabe von Gründen verhaftet, kommt nach Halle, Torgau und Buchenwald und kehrt 1947 zurück und wird wieder Buchhändler.

Schon wieder die nächste Generation

Nur wenig Raum hatten die beiden Schwestern zunächst, Regale bekamen sie geschenkt und begannen mit einer kleinen Leihbücherei, "mit Büchern, die wir von Freunden bekamen", sagt Maria Gast. Später kommen die ersten Buchlieferungen vom einem Grossisten. "Aber das waren Bücher, die keiner wollte, wenn denn überhaupt Zeit und Sinn zum Lesen war." Und ja, da wurde auch schon mal eines dieser unverkäuflichen Bücher gegen die extreme Kälte verheizt.

"Als dann Post und Bahn wieder in Betrieb waren, haben wir Kontakt zu Verlagen aufgenommen und versucht, so viel wie möglich nach Zerbst zu bekommen", so Maria Gast. Auch zu Künstlern werden Kontakte neu geknüpft und auch die Kulturabende werden für eine Zeit neu belebt.

Die Buchhandlung Gast beliefert ganz Zerbst und das Umland mit Schulbüchern, bis das der DDR-Volksbuchhandel übernimmt und es der privaten Buchhandlung versagt bleibt.

Friedrich und Maria Gast, Mitinhaberin ab 1963 und ab 1972 alleinige Inhaberin, trotzen bestmöglich den Schwierigkeiten. Sie werden keine Kommissionäre, bleiben privat. Eine Verlagstätigkeit wird nicht erlaubt. Dafür entsteht ein einzigartiges Antiquariat. Da sind die Kontakte zu renommierten Kunstverlagen. So kommt es zum Beispiel zum Reprint der Zerbster Prunkbibel, das trotz eines Preises von mehreren hundert Mark auf große Nachfrage stößt.

Dass die private Buchhandlung auch bei der Belieferung gefragter Bücher reglementiert behandelt wird, ist eine Erfahrung, die auch Hannelore Seidler noch macht. "Manches bekamen wir gar nicht", verweist sie zum Beispiel auf das Gorbatschow-Buch Ende der 1980er Jahre. Auf der anderen Seite: 1989 gibt Hannelore Seidler zusammen mit dem Insel-Verlag die Memoiren Katharinas II. heraus. 1500 Bücher verkauft sie davon. Ein Echo gibt es weit über Zerbst hinaus.

Wendezeit. Bücherfülle. "Wir haben uns oft nicht die Butter vom Brot nehmen lassen", sagen lächeln Hannelore Seidler und Maria Gast, die noch bis 2001 mitarbeitet, angesichts mancher Verlagsofferten und Vertreter-Begegnungen.

Die Buchhandlung Gast besteht. Dass der bekannte Name bleibt, war immer klar. "Ich jehe zu Jasts", heißt es in Zerbst. Mit Hannelore Seidlers Tochter Anne steht nun schon wieder die nächste Buchhändler-Generation im Geschäft. Anfang der 90er Jahre erwirbt die Inhaberin auch das Haus, das in den 1970er Jahren schon einmal zum Abriss stand. Im Denkmalobjekt hat sich auch die Buchhandlung verändert, wurde umgebaut, erweitert.

Zum Schulbuchverkauf sind sie längst zurückgekehrt, auch wenn der ein aufwändiges Feld ist. Ein Antiquariat gibt es neben dem "normalen" Buchverkauf. Verlagstätigkeit und Kulturangebote, etwa Lesungen, sind heute eher schwierig.

Aber auch Buchhandel ist in Internetzeiten anders geworden heute. Dennoch sind sich die Fachfrauen einig, dass die Buchhandlung Bestand haben wird. "Ich denke, das anfassbare Buch wird es immer geben", sagt Hannelore Seidler. Sie freut sich über eine gute Stammkundschaft, der die Vor-Ort-Beratung wichtig ist, auch über viele junge Kunden. Nicht zuletzt: "Wenn wir nicht in die Geschäfte gehen, dann sterben die Innenstädte völlig aus."