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Dr. Olaf Thomsen beim Abend im Zerbster Bibliotheksgarten Die Pest roch nach Äpfeln und Zwerge sind nicht nur Fantasiegestalten

Von Helmut Rohm 25.08.2012, 03:14

Zerbst l Gegen 21 Uhr, es wurde bereits dunkel, die Mücken wurden auch lästiger, ließ Dr. Olaf Thomsen am Mittwochabend im vollbesetzten Garten der Zerbster Stadtbi-bliothek seine Hose fallen. Sein weißes Oberhemd "entpuppte" sich dabei als Männernachthemd. "So etwas war bis vor etwa 100 Jahren Standard", erklärte der freie Autor aus Berlin. Er war nach seinem vorjährigen Auftritt mit Benimmbüchern nun zum literarisch-unterhaltsamen Abend "1000 Jahre deutscher Alltag" wieder in Zerbst.

Dieses besagte Hemd ist eines seiner über 15 000 Sammelstücke, "kleinerer und größerer, darunter viele Bücher", erzählt er im Gespräch mit der Volksstimme.

"Querbeet" ausgesucht, brachte er einiges davon, vor allem aus den letzten Jahrzehnten, nach Zerbst mit. Er ließ einen aufziehbaren Blechfrosch hopsen, zeigte Kreisel mit Peitsche, quirlte mit dem handbetriebenen, schon rostigen Sahneschläger, verwies vor allem auf Bücher. "Die bekommst du oft ganz billig auf Trödelmärkten", animierte Olaf Thomsen.

"Das hatten wir auch. Daran erinnere ich mich", waren Gesprächsinhalte der Gäste untereinander oder in der Pause auch mit dem Autor.

Er lud seine Zuhörer mit Zitaten und Auszügen aus mitgebrachter Literatur zu einer gedanklichen Reise in die Vielfalt des Alltagslebens ein. "Ich sammle alles, schmeiße nichts weg, verschenke aber öfter auch", erzählte er, weil ja fast überall "eine Geschichte dran hängt". Und solche Geschichten erzählte er locker, interessant unterhaltsam und ebenso informationsreich. "Manches war für mich total neu", resümierte neben anderen auch Lesungsgast Herbert Krebs.

Olaf Thomsen lüftete Geheimnisse über Zwerge, die nicht nur Fantasiegestalten waren. Alltag über Jahrhunderte waren Großbrände in den Städten. Er verwies auf die schier unzählige Literatur über "Alltag" in verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten.

So auf das erst 1994 in Berlin aufgefundene Tagebuch von Peter Hagendorf, der den 30-jährigen Krieg mitmachte und authentisch berichtete. Neu auch für Olaf Thomsen war, dass besagter Peter Hagendorf ein Zerbster war, wie am Abend der ehemalige Museumsdirektor Heinz-Jürgen Friedrich hinwies (die Volksstimme berichtet noch).

Einige der "Unglaublichkeiten" beleuchtete Olaf Thomsen etwas näher, wie Vorschriften zu Kleiderordnungen, auch Buchattrappen als mobile Toiletten für die feinen Damen, Frauenproteste in Wien gegen Kaffeehäuser, Zigarrenraucher-Wettbewerbe. Die Kinderkreuzzüge fanden 1212 statt, gerade als Anhalt aus der Taufe gehoben wurde. Er berichtete, dass die Pest nach Äpfeln und Typhus nach Mäusen roch, und ...

Olaf Thomsen hat sich den Beifall der Gäste wahrlich verdient.