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Interview mit AG-Geige-Sänger Jan Kummer "Magdeburg und Karl-Marx-Stadt waren Leidensgenossen"

20.08.2014, 01:18

Magdeburg I Das Festival "Me gusta la musica" im Moritzhof wird mit einem Dokumentarfilm über AG Geige aus Karl-Marx-Stadt eröffnet. Die Gruppe galt bis zu ihrer Auflösung 1993 als eines der bekanntesten Künstlerkollektive Ostdeutschlands. Alexander Dinger sprach mit AG-Geige-Sänger und Künstler Jan Kummer.

Volksstimme: Herr Kummer, was verbinden Sie mit Magdeburg?

Jan Kummer: Früher hat mich Magdeburg immer an Karl-Marx-Stadt erinnert. Zu Ostzeiten war das so, dass man als Karl-Marx-Städter immer das Gefühl hatte, dass Magdeburg ähnlich zerstört und ähnlich wieder aufgebaut wurde. Mit all den Problemen, die man so kennt. Keine wirkliche Innenstadt, seltsame Neubauten. Wir waren also immer schon Leidensgenossen.

Für den Film wurden Ihre ehemaligen Bandmitglieder und Weggefährten befragt. Was war das für ein Gefühl, nach all den Jahren zurückzublicken?

Das war relativ seltsam. Hier bei uns zu Hause wurde die Musik jahrelang nicht mehr gehört. Ich wollte das alte Zeug nicht mehr. Es gab aber immer wieder Nachfragen und einen kontinuierlichen Verkauf von Restposten. Es schien also doch noch irgendeine Relevanz gehabt zu haben. Irgendwann habe ich mir das Zeug selber noch mal angehört und nach all den Jahren festgestellt, dass das eigentlich wirklich eine ganz schön schräge und interessante Sache war. Ich brauchte wahrscheinlich ein paar Jahre Abstand. Und die Idee für den Film ist ja auch von außen an uns herangetragen worden.

Das Ende der Band war relativ abrupt. Bereuen Sie, dass es AG Geige nicht mehr gibt?

Nein, im Grunde nicht. AG Geige war ja auch nie eine klassische Rockband, sondern ein Multimedia-Projekt. Heute machen alle Bandmitglieder aufbauend auf dieser Erfahrung ähnliche Sachen. Unzufriedenheit, mit AG Geige abgeschlossen zu haben, kam bei uns nie auf.

Keiner von Ihnen konnte ein Instrument spielen, trotzdem hatten Sie sich gefunden, um dann einfach mal zu machen?

Wir waren ein Künstlerkollektiv. Wenn das keine Band geworden wäre, dann wäre es etwas anderes geworden. Bis auf wenige Ausnahmen will ja jeder Künstler in die Öffentlichkeit. Bei uns schob sich das eher zufällig in Richtung einer Bühnenband.

Sie sind für Ihre Kostüme berühmt gewesen. Hinter der Verkleidung steckte doch aber auch eine gewisse Portion Muffensausen, oder?

Selbstverständlich. Die Masken haben uns ziemlich abgeschirmt (lacht). Da waren Ritterrüstungen im Mittelalter sicher komfortabler.

Vor der Wende waren die technischen Mittel limitiert. Hat das Ihre Kreativität gefördert?

Da hat die Medaille immer zwei Seiten. Im Nachhinein ist es natürlich toll, dass jede Kassette, mit einem Siebdruckcover versehen, von Hand eingetütet und verschickt wurde. Das hat aber auch die Kehrseite, dass die ganzen Basteleien ganz schön nervig waren. Wenn man heute davon schwärmt, dass man am Trabant alles selber bauen konnte, vergisst man oft, dass man auch im Winter unter der Karre lag.

In Ihren Texten haben Sie auf ganz besondere Art und Weise die Komik des Alltäglichen in der DDR verarbeitet. Woher kam der Optimismus?

Wir waren eine funktionierende Truppe, in der man auch einen sehr eigenartigen Humor pflegen konnte. Vieles ist auch tatsächlich aus einer gewissen Improvisation heraus entstanden. Wenn man sich an den Obskuritäten des Alltags erfreut, findet man das natürlich auch in den Texten wieder.

Hatten Sie jemals Probleme mit Zensur oder waren Sie dafür zu experimentell?

Wir mussten uns wie alle anderen Künstler auch rechtfertigen. Wir hatten zum Beispiel Probleme, überhaupt eine Einstufung zu bekommen, weil die entscheidenden Kommissionen natürlich immer Angst hatten, irgendwelche Zwischentöne nicht zu verstehen. Das führte so weit, dass Texte kurz vor Auftritten hinter der Bühne von irgendwelchen staatlichen Organen kontrolliert wurden oder man kurzfristig zur Konzert- und Gastspieldirektion vorgeladen wurde. Wir hatten aber das Glück, dass es nie eskalierte. Keiner von uns hat ernsthafte Schwierigkeiten bekommen. Klar, wir durften nicht im Westen spielen. Das hat uns aber nicht in existenzielle Nöte gebracht.

Was war das für ein Gefühl, als Ihre Musik zum ersten Mal beim Jugendsender DT64 lief?

Das war völlig verblüffend. Da gab es plötzlich eine Sendung, wo wir gespielt wurden und das auch noch erfolgreich. Wir landeten regelrecht in kleinen Hitparaden. Damit hatte keiner gerechnet.

AG hat auch anstrengende Musik gemacht. Wie erklären Sie sich den Erfolg, den Sie hatten?

Es war extrem exotisch. Die Live-Auftritte waren auch relativ einzigartig. Etwas Vergleichbares gab es im Osten nicht. Gegen Ende der DDR gab es auch sehr viel Schwarz-Weiß-Sichten. AG Geige agierte hingegen in so einer seltsamen Zwischenwelt.

Ihre zwei Söhne spielen bei der sehr erfolgreichen Band Kraftklub. Geben Sie im Hintergrund Tipps?

Die haben schon im zarten Alter Menschen auf der Bühne gesehen. Da muss ich nicht mehr viel dazu beitragen.

Im Internet: www.aggeigefilm.de