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Zugereist Arten Immer mehr Schädlinge verbreiten sich im Land

Sie wurden eingeschleppt, versehentlich ausgesetzt oder ganz bewusst importiert, weil sie hübsch und nützlich schienen: Tiere und Pflanzen aus anderen Regionen. Heute verursachen sie immense Schäden.

30.10.2014, 01:09

Magdeburg l Die Bekämpfung von Unkräutern und Schädlingen kostet allein in Sachsen-Anhalt jedes Jahr mehr als eine Million Euro. Etliche von ihnen sind fremdländischen Ursprungs und breiten sich mangels Fressfeinde nahezu ungezügelt aus. Zusammen mit Fachleuten des Landesumweltamtes in Halle hat die Volksstimme jene Arten zusammengestellt, die der heimischen Natur und der Wirtschaft besonders stark zusetzen.

Harlekin-Marienkäfer
Der kleine Käfer wurde ab 1982 aus Asien nach Deutschland importiert, um in Gewächshäusern und im Gartenbau Blattläuse und anderes gemüseschädliches Ungeziefer zu vertilgen. Käfer statt giftige Chemie - die Idee galt als genial, sie ging dann aber doch daneben. Ende der 90er Jahre entwischten einige Käfer ins Freiland, 2005 wurden die ersten in Sachsen-Anhalt gesichtet und seit 2008 gelten die Insekten als Landplage. Sie krabbeln auch in Weinberge und sondern auf Trauben ihr bitteres Sekret ab.

Bei starkem Befall ist der Wein verdorben. Im Saale-Unstrut-Gebiet ist der Käfer aber (noch) kein Problem. Zudem futtern die Tiere auch die Larven unserer heimischen Marienkäfer. Die Arten lassen sich gut voneinander unterscheiden: Der heimische Marienkäfer hat stets sieben Punkte; der asiatische Harlekin-Marienkäfer zeigt eine große Vielfalt an Punkten und Farben.

Asiatische Kirschessigfliege
Der nur wenige Millimeter kleine Winzling hat einen großartigen Geschmack: vollreife Rotweintrauben stehen ganz oben auf dem Speisezettel. Die Weibchen sägen die Schalen der Frucht an und legen Eier hinein. Und das gern kurz vor der Ernte, wenn die chemische Keule nicht mehr zuschlagen darf.

Die Saale-Unstrut-Winzer melden bei der Portugieser-Traube 10 bis 15 Prozent Verlust. In anderen, großflächigen Weinbauregionen sind die Schäden noch größer. Auch Kirschen und Pflaumen sind vor der Fliege nicht sicher. "Drei Tage nach Befall implodieren die Früchte regelrecht", erklärt Peer Schnitter, Insektenfachmann im Landesumweltamt Halle. Eingeschleppt wurde die Fliege wahrscheinlich mit importiertem Obst, an dem ihre Eier klebten. Seit 2011 schwirren die Insekten vermehrt durch Deutschland.

Asiatischer Laubholzbockkäfer
Der Eindringling macht gerade Gartenbesitzern im Norden Magdeburgs zu schaffen: Käferlarven fressen sich bis ins Kernholz von Laubbäumen hinein. Selbst der prächtigste Apfelbaum und die schönste Eiche gehen da nach gut zehn Jahren ein. Vermutlich kam das Insekt 2001 mit Verpackungsholz aus Asien bis nach Deutschland.

Magdeburg ist die fünfte Region, die schwer betroffen ist. Probleme machte der Käfer schon in Bayern sowie in Bonn. Das drei Zentimeter große Tier ist robust und übersteht auch Winter. Die ausgewachsenen Exemplare werden sicherlich von einheimischen Elstern und Eichelhähern gut entdeckt und verspeist. Doch an die tief im Holz sitzenden Larven kommen die Vögel nicht heran, und auch mit Gift kommt man ihnen dort nicht bei. Da hilft nur: Baum abholzen und Verbrennen.

Kamberkrebs
Krebsfleisch ist begehrt. Als die Bestände des heimischen Edelkrebses wegen verschmutzter Gewässer im 19. Jahrhundert zurückgingen, kamen Fischer auf die Idee, den Kamberkrebs, eine wesentlich robustere amerikanischen Art, auszusetzen. 1890 wurden erste Exemplare in Teichen an der Oder angesiedelt. In den 40er Jahren kamen sie nach Sachsen-Anhalt, seitdem breiten sie sich immer weiter aus. Das Problem: Der Kamberkrebs ist mit einem Pilz behaftet. Ihn selbst stört das wenig - der heimische Edelkrebs aber geht daran zugrunde. Die Krebspest rottet ganze Bestände aus. Fachleute befürchten, dass der Edelkrebs in wenigen Jahren verschwunden ist.

Chinesische Wollhandkrabbe
Die Krabbe kam im Ballastwasser von Schiffen aus Asien nach Europa. 1912 wurden die ersten Tiere in der Aller entdeckt, ab 1922 in der Elbe. Da fühlten sie sich offenbar äußerst wohl - die Krabben vermehrten sich enorm und entwickelten sich zur Plage. Sie fressen Fische und zerstören Netze. Wegen der starken Verschmutzung in der Elbe zu DDR-Zeiten schrumpfte der Bestand, seit der Wende wuchs er wieder an. Mittlerweile fangen Fischer die Tiere und verkaufen sie an China-Restaurants.

Waschbär
Große Bären gehören schon lange nicht mehr zum Bild deutscher Wälder. In den 30er Jahren sollte sich das ändern, wenn auch in abgeschwächter Form: Hermann Göring, Reichsmarschall und auch oberster Jäger in Nazi-Deutschland, ließ zur "Bereicherung der heimischen Tierwelt" 1934 bei Kassel die ersten Waschbären aussetzen. Die Raubtiere stammen aus Nordamerika, werden aber längst nicht so groß wie Grizzly Co. Gut zehn Jahre später brachen im Westharz und in Brandenburg zudem Tiere aus Pelzfarmen aus. 1957 wurden die ersten Exemplare in Sachsen-Anhalt gesichtet.

Heute hat der Kleinbär das Land flächendeckend besiedelt. Die höchste Bärendichte aber weist der Ursprungsort Kassel auf: Selbst auf städtischem Terrain werden 50 bis 150 Tiere je Hektar gezählt. Der Waschbär räubert auch Mülltonnen - er frisst nahezu alles. Auch Vögel. Und das macht Tierschützern zu schaffen. Er dezimiert die ohnehin bedrohten Rotmilan-Bestände und löschte mehrere Kormoran- und Graureiherkolonien aus. Menschen kann der Bär gesundheitliche Probleme bescheren: Er verbreitet eine Spulwurmart, die ins Nervensystem und bis in die Augen vordringen kann.

Herkulesstaude
Das Gewächs stammt aus dem Kaukasus und wurde wegen seiner imposanten Erscheinung ab 1890 nach Europa geholt. Hier diente die Staude als Zierde in Gärten und Parks. Die auch Riesen-Bärenklau genannte Pflanze wird bis zu drei Meter groß. Auch Imker fanden Gefallen an ihr, da die bis zu einem halben Meter großen Dolden mit ihren Tausenden Blüten den Bienen viel Nahrung bieten. Doch die Großpflanze macht auch erhebliche Probleme. Ihr Saft löst starke Entzündungen auf der Haut aus, sobald Licht auf die befallene Stelle fällt.

Fachleute sprechen von phototoxischen Reaktionen. Die Verätzung wirkt wie eine Verbrennung dritten Grades. Spielende Kinder, aber auch Forstleute und Gärtner sind gefährdet. Durch Rasenmäher kann der Pflanzensaft weit verspritzt werden. In den vergangenen 120 Jahren hat sich die Staude vor allem an Flüssen stark ausgebreitet. Stark befallen ist unter anderem das Flüsschen Oker im Harz oder die Elbe bei Hohenwarthe. Pflanzen stabilisieren eigentlich mit ihrem Wurzelwerk das Ufer: Nicht so die Herkulesstaude. Ihre rübenähnlichen Wurzeln schwächen Ufer und Deiche. Um die Staude zu dezimieren, geben die Gemeinden in Deutschland jährlich gut 10 Millionen Euro aus.

Staudenknöterich
Die aus Ostasien stammenden Arten Sachalin-Staudenknöterich und Japanischer Staudenknöterich wurden 1823 nach Europa importiert, um exotische Gärten und Parks zu bereichern. Ab 1849 verkaufte eine Gärtnerei im niederländischen Leiden das Gewächs für viel Geld an Liebhaber in ganz Europa.

Mittlerweile fühlt sich der Knöterich hier besonders wohl: Er wird mit drei Metern sogar fast doppelt so groß wie in der alten Heimat Japan. Das Gewächs überwuchert viele Ufer und Flussauen. Ein Spross wächst im Turbotempo von bis zu 30 Zentimetern am Tag. Und: Die Pflanze treibt bis zu 10 Zentimeter dicke Wurzeln durchs Erdreich - und da liegt eines der Probleme. Wo der Knöterich wuchert, wächst kein Gras mehr - und das schwächt zum Beispiel Deiche, deren Stabilität auch von einer intakten Grasnarbe abhängt.

Neue Nuttalls Wasserpest
Ein Unkraut geht, ein neues kommt: Während die im 19. Jahrhundert eingeschleppte Kanadische Wasserpest langsam zurückgeht, wächst eine andere Art schnell heran - und bereitet noch mehr Probleme: Die Rede ist von der Nuttalls Wasserpest. Sterben die riesigen Pflanzenwälder im Herbst in den Gewässern ab, vermodern sie am Grund und giftige Gase wie Methan und Schwefelwasserstoff entweichen. Fischzucht wird dadurch enorm beeinträchtigt.

Aber auch im Sommer ist die Wasserpest eine Plage. Das Durchschwimmen der grünen Teppiche ist gefährlich, da man sich leicht an den Sprossen verheddern kann. Für Rettungsboote mit Außenbordmotor ist ebenfalls kein Durchkommen mehr. Im Saarland und in Nordrhein-Westfalen mussten schon Strände geschlossen werden.

In Sachsen-Anhalt wuchert die Pest in neuen Tagebauseen - wenn auch nicht so stark wie im Westen Deutschlands. Betroffen ist etwa der Muldestausee bei Bitterfeld.

Das Gewächs gelangte in den 1950er Jahren aus Amerika nach Westeuropa und breitet sich seitdem von dort nach Osten aus. Aquariumsbesitzer und Hobby-Teichgärtner, die achtlos Pflanzen entsorgten, haben nach Überzeugung der Fachwelt auch einen gehörigen Anteil an der Verbreitung der Wasserpest.

Die Informationen über die neuen Tier- und Pflanzenarten wurden mit Hilfe von Klaus Rehda (Leiter), Dieter Frank (Botanik) und Peer Schnitter (Insekten) vom Landesumweltamt in Halle zusammengestellt.