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Niklas Nach dem Sturm kommen die Käfer

Sturmtief "Niklas" hat am 31. März in Sachsen-Anhalts Wäldern kräftig
die Axt geschwungen. Die Forstbetriebe arbeiten mit Hochdruck daran, das
umgeworfene Holz zu bergen. Denn mit der Frühlingswärme kommt der
Borkenkäfer.

Von Oliver Schlicht 22.04.2015, 03:17

Tangerhütte/Blankenburg l Forstarbeiter Enrico Denecke fliegen die Späne im Landesforstrevier Mahlpfuhl bei Tangerhütte nur so um die Ohren. Während seine Motorsäge lautstark in den Kiefernstamm eindringt, behält der Arbeiter den Wurzelfuß des Baumes im Blick. Denn die Sägearbeit ist nicht ungefährlich, wie sich gleich zeigt. Als der Stamm durchtrennt ist, wippt das Holz mit einem lauten Krachen nach oben. "Da ist Spannung in den Bäumen, weil sie meistens nicht gebrochen sind, sondern vom Sturm mit der Wurzel aus dem Boden gekippt wurden", erklärt Denecke.

Er hakt sein Bandmaß in den Holzstamm ein, zieht es lang und misst ab: Nur zwei Meter Stamm, wenn das Holz harzig und verletzt ist, drei Meter mit ein wenig Krümmung, vier Meter der perfekte Stamm. Fünf Minuten Arbeit, dann ist der Baum entastet und der Stamm zugeschnitten. Weiter zum nächsten Baum. Kollege Marco Säger sitzt derweil im Traktor und lädt die Stämme hinten auf den Hänger. Vorhin hat er wieder die Seilwinde ausgefahren, um einen Stamm aus dem dichten Holz zu ziehen. "Ich komme ja nicht überall hin mit dem Traktor", sagt er.

Viel Aufwand, viel Handarbeit, die Sturmtief "Niklas" den Forstarbeitern hinterlassen hat. "Wir müssen das Sturmholz schnell aus dem Wald bekommen", sagt Andreas Kriebel, Leiter vom Forstbetrieb Altmark. Der Borkenkäfer fängt ab 16 Grad Celsius an zu fliegen. Die umgestürzten Bäume verlieren schnell ihren Saft und sind dann eine ideale Brutstätte für die Insekten. Kriebel: "Von diesen Bäumen aus werden schnell auch umliegende gesunde Bäume angefallen."

Acht Wochen Zeit für die Beräumung

500.000 Hektar Wald gibt es in Sachsen-Anhalt insgesamt. Das Land Sachsen-Anhalt ist mit 140.000 Hektar der größte Einzelwaldbesitzer. Acht Wochen - so lautet die Parole aus Magdeburg - soll die Beräumung des Sturmholzes in den Revieren des Landesforstes höchstens dauern. Für den Forstbetrieb Altmark ein Kraftakt, bei dem viele private Forstunternehmen mithelfen. Der größte Teil der Arbeit wird nicht von Landesbediensteten sondern von privaten Dienstleistern ausgeführt.

Der Schreibtisch von Kriebel steht zwar in Mahlpfuhl, sein "Reich" erstreckt sich aber von der Altmark, dem Jerichower Land bis in die nördliche Börde. 140.000 Festmeter Holz werden normalerweise pro Jahr in seinem Betrieb geschlagen. Nun hat der Sturm in diesem Landesforstbetrieb in wenigen Stunden 20.000 Festmeter gelegt. Der Gesamteinschlag soll um diese Menge reduziert werden, damit nicht zu viel Holz auf den Markt kommt und den Holzpreis drückt.

Der Aufwand, die vielen einzeln gekippten Bäume zu bergen, Wege zu beräumen, zerstörte Zäune zu erneuern ist größer als die Kosten einer geplanten Rodung. 15 bis 16 Euro pro Festmeter kosten Holzeinschlag und Rückung normalerweise. "Wir werden auf die Gesamtmenge hochgerechnet wohl in diesem Jahr auf 20 bis 25 Euro pro Festmeter kommen", so Andreas Kriebel. Mit etwa 200.000 Euro Mehrkosten durch "Niklas" rechnet der Forstbetrieb Altmark.

Im Oberharzer Revier von Förster Tom Hartung hat "Niklas" ganz eigenartige Landschaftsbilder hinterlassen. Einzelne, fast 40 Meter hohe Fichten stehen dort inmitten von Freiflächen, die der Sturm geschlagen hat. "Diese Bäume sind 80 bis 100 Jahre alt. Wir lassen sie bewusst stehen, weil der Samen dieser Bäume genetisch für das Gebiet sehr wichtig ist", erklärt der Förster. Auf einer Freifläche im Revier Rübeland hatte Sturmtief "Kyrill" im Januar 2007 besonders schlimm gewütet. Hier hat "Niklas" den Kahlschlag nun fortgesetzt.

Mit den Wurzeln umgeworfen worden

500 Festmeter Holz sind in eine der wenigen flächenhaften Bruchgebiete gefallen. Auch hier sind die Bäume selten am Stammfuß gebrochen, sondern überwiegend im feuchten Boden mit den Wurzeln umgeworfen worden. Das macht die Bergung schwierig.

Forstarbeiter Günter Rahenbrock führt eine große "Harvester"-Maschine durch das Bruchgebiet. "Ich kann die Maschine über eine Hydraulik anheben. So komme ich fast überall hin", erzählt er aus dem Fenster heraus. Auf den 34-Zoll-Rädern rasseln noch die Winterketten, weil im schlammigen Gelände der "Harvester" einen festen Stand braucht. Am umgelegten Baum angekommen, greift sich die Sägezange den Stamm, schleift ihn durch, trennt dabei die Zweige ab und sägt den Stamm transportgerecht auseinander. In nur 20 Sekunden. "Ein Holzfäller vor 100 Jahren hätte bestimmt gedacht, dass ist Teufelswerk, wenn er das gesehen hätte", scherzt Günter Rahenbrock. Mehrere dieser Maschinen sind derzeit im Oberharz im Einsatz. Insgesamt sind Sturm "Niklas" dort 6.000 Festmeter Holz zum Opfer gefallen, 2.000 Festmeter im Revier Rübeland.

"Das ist viel Arbeit, aber im Vergleich zu Kyrill alles andere als eine Katastrophe", beschwichtigt Bernd Dost, Direktor des Landesforstbetriebes in Magdeburg. "Kyrill" waren 2007 172.000 Festmeter Holz allein im Oberharz gefallen.

In allen Landeswäldern habe dennoch die Beseitigung der Sturmschäden derzeit oberste Priorität. Andere Arbeiten werden zurückgestellt. "Zum einen haben wir eine Verkehrssicherungspflicht an Wegen und Straßen. Zum anderen fallen die Sturmschäden genau in die Zeit, bevor Baumschädlinge sich ausbreiten." Im Juni, ist sich der Direktor sicher, wird von "Niklas´" Hinterlassenschaften im Wald nichts mehr zu sehen sein.