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Plastischer Chirurg Professor Wolfgang Schneider geht nach 17 Jahren am Uniklinikum in den Ruhestand Ein unbequemer Klinikchef tritt ab

Von Bernd Kaufholz 29.03.2011, 04:32

Das Chefzimmer auf Ebene 3 des Uni-Gebäudes 60a gleicht einer Rumpelkammer: Umzugskartons vor ausgeräumten Fächern, jede halbwegs waagerechte Ablage belegt mit Unterlagen. Dazwischen wuselt Professor Wolfgang Schneider. Der Chef der Plastischen, Hand- und Wiederherstellungschirurgie an der Magdeburger Uniklinik sagt Tschüss. Nach mehr als 17 Jahren geht der kantige Spezialist in den Ruhestand.

Magdeburg. "Ja, wie bin ich gerade auf Magdeburg gekommen?", wiederholt Professor Wolfgang Schneider die Frage, als müsse er sich das Geschehen vor fast 18 Jahren noch einmal ins Gedächtnis zurück- rufen.

Dann lehnt er sich im Versammlungsraum neben dem Chefzimmer, in dem es wegen seines Auszugs keinen einzigen freien Platz gibt, zurück und sagt: "Ich bin in Tempelhof aufgewachsen – also im eingeschlossenen Westberlin. Und ich habe mir gesagt, wenn die DDR mal ihre Türen aufmacht, dann gehst du als Arzt in den Osten." Es habe ihn gereizt, "etwas anzupacken und aufzubauen". Und das sei ihm mit der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie an der Magdeburger Uniklinik letztlich auch gelungen. "Ich war im Februar 1994 erst der zweite Lehrstuhl-inhaber für diesen Fachbereich", klingt Stolz an.

Der Mann mit dem ergrauten Vollbart hat in Köln, Paris und Berlin Medizin studiert. Obwohl er eigentlich zuerst in die Physik gehen wollte. "Aber ich habe nach einiger Zeit gemerkt, dass das nicht mein Fall war", erzählt der 67-Jährige.

"Der junge Mann ist nicht ganz dicht"

Er sattelte um und liebäugelte kurz mit der Raumfahrtmedizin ("Ich hatte schon immer den Hang zum Innovativen"). Durch das gerade abgeschlossene "Apollo"-Programm der USA sei er neugierig geworden.

Doch es kam anders. "Ich habe mir einige Kliniken angesehen und bin am Klinikum Steglitz bei Professor Ekkehard Vaubel gelandet." Der Plastische Chirurg habe ihn "unglaublich gut motivieren können", so dass er sich diesem medizinischen Fachbereich zugewandt habe. Vaubel wurde dann später auch sein Doktorvater.

Als er als Medizinalassistent in einer Bad Salzufler Klinik gefragt wurde: Was wollen sie denn mal werden, habe er spontan und mit dem ihm eigenen großen Selbstbewusstsein geantwortet: Professor für Plastische Chirurgie. Der Lehrstuhlinhaber sei kopfschüttelnd nach draußen gegangen und habe seiner Sekretärin gesagt: Der junge Mann ist nicht ganz dicht.

Schneider schmunzelt. "Ich weiß das deshalb, weil die Sekretärin später meine Frau wurde." Drei Monate später sei besagter Professor dann auf ihn zugekommen und habe ihm die Hand gedrückt: "Ich muss meine Meinung revidieren. Sie schaffen das mit der Professur."

Schneiders berufliche Stationen waren unter anderem in Bielefeld die allgemeine Thorax- und Gefäßchirurgie und die Medizinische Hochschule Hannover. In Niedersachsens Landeshauptstadt blieb er elf Jahre, habilitierte und war zuletzt Leitender Oberarzt im Bereich Plastische Chirurgie.

Bevor sich der Eiserne Vorhang 1990 öffnete und Schneider an die medizinische Fakultät der Magdeburger Univer- sitätsklinik kam, hatte der Arzt eine Begegnung mit der Stadt. "Allerdings mehr eine ungewollte", erinnert er sich

"Ich bin als Westberliner so rund 500 Mal über Marienborn/Helmstedt von Berlin nach Westdeutschland und zurück gefahren." Einmal sei er mit einem Borgward Isabella TS unterwegs gewesen. "In Marienborn musste ich mit dem Auto über die Kontrollgrube. Dort fielen den Grenzern die beiden Heizklappen am Wagenboden auf."

Trotz seiner Warnung, dass diese Klappen zwar einfach auf-, aber nur mit Spezialwerkzeug wieder zu gingen, hätten die DDR-Soldaten die vermeintlichen Schmuggelbehälter abgeschraubt – aber natürlich nichts gefunden.

"Und es war genauso wie ich es befürchtet hatte: Die Klappen konnten nicht wieder geschlossen werden. Der Anruf bei der einzigen Spezialfirma mit Sitz in Ostberlin ergab, dass sie zwei Tage später – also am Montag – einen Mechaniker schicken würde."

Schneider konnte auf DDR-Kosten im Magdeburg Interhotel "International" übernachten und machte die dazu gehörende "Juanita-Bar" unsicher. "An den markanten Glasfußboden kann ich mich heute noch erinnern."

"Zu kleine Labore, wenig Mittel, kaum Unterstützung"

Dass die Stadt weniger als eineinhalb Jahrzehnte später einmal sein Arbeitsort werden und er die Woche über dort auch wohnen würde, wusste der Operateur damals noch nicht.

Die Jahre an der Uniklinik seien im Großen und Ganzen eine Erfolgsstory gewesen, sagt der von den Kollegen als "nicht besonders pflegeleicht" charakterisierte Schneider. Allerdings sei es in den letzten Jahren "immer schwerer geworden, wissenschaftlich zu arbeiten". Der 67-Jährige, dessen Pensionierung von der Uni auf eigenen Wunsch dreimal verschoben wurde, wird sehr deutlich. Er spricht von "Missachtung der Forschung durch die zentrale Verwaltung" und verweist auf "zu kleine Labore, wenig Mittel und kaum Unterstützung". All das habe ihn in den letzten Jahren sehr traurig gemacht.

Schneiders größter und international anerkannter Erfolg in Magdeburg war das "Herstellen" von "neuen Nerven".

Im Körper gebe es viel zu wenig eigene Ersatznerven, auf die der Wiederherstellungs-chirurg nach schweren Unfällen zurückgreifen könne, beschreibt er den Ansatz für die Forschung. Außerdem habe der Spender in jenen Körperbereichen, denen Nerven entnommen worden seien, später kein Gefühl mehr.

In einer Trägersubstanz sei es letztlich gelungen, ein gerades Richtungswachstum von sogenannten Schwann-Zellen zu erreichen, die dann in ein Gewebe-Kultur-Medium inkubiert wurden. So sei es gelungen, neue Nerven zu "züchten".

Ein "vollwertiger Ersatz", sagt der Arzt. Zwei EU-Patente bewiesen das. Allerdings sei man bisher über Tierversuche – "da war das Einsetzen dieser Nerven erfolgreich" – nicht hinausgekommen. Es fehle noch die klinische Erprobung. "Die Fakultät hat von dieser Arbeit nie große Notiz genommen", beschwert sich der kantige Professor. Es habe lediglich ein aus seiner Sicht "unseriöses Beteiligungsangebot" seitens der Uni gegeben. "Nachdem ich nun die Tür meines Büros abgeschlossen habe, werde ich mich dem Thema wieder intensiver widmen."

Professor Schneider holt eine Urkunde aus einem braunen A4-Umschlag. Ein Zertifikat der Al-Bath-Universität im syrischen Homs, an der 80000 Studenten eingeschrieben sind. Seit sieben Jahren unterstützt er dort Lehre und praktische Ausbildung. "Außerdem ope-riere ich in Homs Bedürftige und Kinder in einem Privathospital kostenlos." Die Universität hat Schneider dafür am 27. Februar dieses Jahres die Ehrendoktorwürde verliehen.

Seit Jahren engagiert sich der Arzt auch in Deutschland für soziale Projekte. So ist er 1. Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins für schwerstbehinderte Kinder mit Sitz in Berlin. Sein Vize ist Sachsen-Anhalts Ex-Justizminister Walter Remmers.

"Wir operieren Kinder, die in ihren Heimatländern andernfalls kaum eine Überlebens-chance hätten." Zu ihnen gehörte die Zwölfjährige aus einem kleinen Dorf in Tadschikistan. Sie hatte ein 21 Zentimeter zu kurzes Bein. Schneiders Rechnung: "Durch dieses körperliche Leiden hätte das Mädchen nie einen Mann bekommen und betteln gehen müssen. Sie wäre nach dem Tod der Eltern wohl verhungert."

Der Chirurg streckte das Bein über Jahre hinweg um 18 Zentimeter. Der letzte Größenunterschied von drei Zentimetern wurde durch das Kürzen des anderen Beines durch Orthopädie-Kollegen erreicht.

Schwerste Verbrennungen mit anschließenden Verwachsungen, Wiederaufbau von Fingern - die Liste von Eingriffen, die durch Spendengelder des Vereins möglich wurden, ist lang. Als Pensionär will sich Schneider noch intensiver mit diesem Projekt befassen.

Gegen den Begriff "Schönheitschirurg" wehrt sich Schneider ein wenig. Obwohl er auch das ist. Aber der Mann, der in einigen Prozessen gegen "Kollegen" als Gutachter aufgetreten ist, weiß selbst, dass es in dieser lukrativen Zunft schwarze Schafe gibt – "auch in Magdeburg", sagt er. "Da könnte ich Ihnen Storys erzählen ..."

"Müssen uns daran gewöhnen, dass wir uns jeden Tag haben"

Ein seriöser plastischer Chirurg springe nicht über jeden Stock, den ihm ein verschönerungswilliger potentieller Patient hinhalte. "Bei mir gibt es zuerst ein längeres Gespräch – mindestens eine Stunde – bei dem ich ergründe, warum diejenige oder derjenige unbedingt an sich etwas machen lassen will."

Ich möchte wieder wie 18 aussehen, sei "keine ausreichende Indikation". Es sei nicht nur einmal vorgekommen, dass Patientinnen von ihren Männern geschickt wurden, weil denen das Äußere ihrer Angetrauten nicht mehr gefiel. Andere hätten sich durch die eigene Wahrnehmung und die Tatsache, dass sie Probleme mit dem Älterwerden haben, psychisch genötigt gefühlt, sich operieren zu lassen. "Manche habe ich zur Eheberatung geschickt, andere gleich zum Psychiater", sagt der Nordrhein-Westfale.

Auch bei Brustvergrößerungswünschen sei er eher zurückhaltend – auch wenn die Dame aus dem Erotik-Gewerbe komme. "Meine Maxime ist: Der Busen muss zum Körper passen." Eine Riesenoberweite für einen zierlichen Körper – da seien Identitätsprobleme programmiert.

Der Mediziner hat nie den letzten Schritt, um ganz an der Elbe heimisch zu werden, gewagt. Mit seiner Frau Christa-Hannelore, die in Herford bei Bielefeld lebt, hat er seit vielen Jahren eine Wochenendehe geführt. Trotzdem sei er immer noch glücklich verheiratet – schon 28 Jahre lang.

"Hoffentlich bleibt das auch so", lächelt er. "Wir werden uns wohl schon daran gewöhnen müssen, dass wir uns nun jeden Tag haben. Da muss sich jeder Mühe geben."