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Volksstimme-Interview mit Finanzminister Jens Bullerjahn "Wir verwalten uns immer noch zu teuer"

10.05.2011, 04:32

Jens Bullerjahn (SPD) hat nach anfänglichem Zögern seine zweite Amtszeit als Finanzminister gestartet. Ihn erwartet ein Balanceakt. Die Regierung will mehr Geld für Kindergärten ausgeben, zugleich aber ohne neue Schulden auskommen. Die Zahl der Landesdiener soll sinken, obgleich Schulen nach personell besserer Ausstattung rufen. Um die nötigen Spielräume zu bekommen, will Bullerjahn Landesbetriebe stutzen. Mit ihm sprach Volksstimme-Redakteur Jens Schmidt.

Volksstimme: Herr Bullerjahn, Sie haben nun Ihre zweite Amtszeit als Finanzminister begonnen. Als Spitzenkandidat der SPD aber wollten Sie höher hinaus und Ministerpräsident werden. Das hat – wie schon 2006 – nicht geklappt, die SPD kommt seit Jahren aus dem 20-Prozent-Tal nicht so recht heraus. Wo lag aus Ihrer Sicht der große Fehler im Wahlkampf?

Jens Bullerjahn: Ich finde, wir haben einen offensiven und sehr modernen Wahlkampf geführt. Es gab aber anscheinend ein schier unlösbares Problem. Viele Leute haben mir zwar zustimmend auf die Schulter geklopft – doch zugleich hatten viele Wähler Bedenken, dass eine starke SPD auf Rot-Rot schwenken könnte. Das ging zu unseren Lasten. Viele haben mir gesagt: Ihr habt gut gearbeitet, Sie sind ein guter Finanzminister – aber es soll alles so bleiben wie es ist. Also CDU und SPD sollen weiterregieren in der Konstellation wie seit 2006.

Volksstimme: War es also falsch, sich für Rot-Rot zu öffnen?

Bullerjahn: Nein. Das hätte zwar wahrscheinlich mehr Anklang bei etlichen Wählern gefunden, doch wenn wir uns schon vor der Wahl klar auf die CDU festgelegt hätten, wäre von einem großen Teil der SPD der Wahlkampf eingestellt worden. Wir hatten ja auf dem Konvent im Sommer beschlossen, dass wir für beide Konstellationen offen sind: Sowohl für eine weitere Zusammenarbeit mit der CDU als auch für eine Regierung mit der Linken unter unserer Führung. Diesen Beschluss durften wir kurz vor der Wahl nicht kippen. Das wäre auch parteipolitisch falsch gewesen. Wir müssen grundsätzlich auch für eine Kooperation mit der Linken offen sein.

"Ich habe überlegt, ob ich aus der Politik aussteige"

Volksstimme: Welche Nachwirkungen hatte das Wahlergebnis auf Sie? Wollten Sie alles hinschmeißen?

Bullerjahn: Ich war sehr enttäuscht, das hat man mir wohl auch angesehen. Es gab Momente, da habe ich schon überlegt, ob ich der richtige Mann für diese Spitzenposition bin, ich ein anderes Ministeramt anstrebe oder ob ich nach 20 Jahren ganz aus der Politik aussteige. Dann aber gab es viel Zuspruch von Freunden, Bekannten, von Wählern. Und: Ich habe meinen Wahlkreis gewonnen, mein Erststimmenergebnis liegt mehr als zehn Punkte über dem Parteiergebnis. So nach ein, zwei Wochen war dann auch für mich klar, dass ich als Finanzminister weitermache.

Volksstimme: Auf den kommen knifflige Aufgaben zu. Ihre Koalition will einerseits viele Wählerwünsche erfüllen, zugleich aber auf die Schuldenbremse treten. Wem wollen Sie denn das Geld wegnehmen, um all die Wünsche nach mehr Kindergartenbetreuung, Polizei und Lehrer zu erfüllen?

Bullerjahn: Der finanzielle Anpassungsprozess bis 2019 steht nicht in Frage. Bis dahin müssen wir auf eigenen Füßen stehen. Das heißt auch: Alles, was wir uns jetzt leisten wollen, wird nicht mit neuen Schulden bezahlt, sondern mit dem, was wir einnehmen. Und wenn es nicht reicht, müssen wir umschichten. Derzeit ist so viel klar: Die Finanzierung der Hochschulen bleibt konstant. Allerdings müssen wir es erreichen, dass mehr Studenten aus den Westländern nach dem Studium bei uns bleiben und hier ihre Steuern zahlen. Zudem bringen mehr Einwohner als bisher unterstellt mehr Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich.

Ein größeres Einsparpotenzial gibt es bei den Lehrern. Wie schon in den letzten Jahren verabredet, wird die Zahl der Lehrer weiter zurückgeführt werden. Trotz dieser Schritte liegen wir hier noch immer über dem bundesdeutschen Durchschnitt.

Eines steht fest: Wir verwalten uns immer noch zu teuer. Nun wird über Landesbetriebe und Landesgesellschaften zu reden sein und über die Größe des Landesverwaltungsamtes.

Volksstimme: Der Landesbaubetrieb etwa hat mehr als 1900 Stellen und das Amt für Geoinformation und Vermessung gut 1100 Stellen. Wollen Sie Leute entlassen?

Bullerjahn: Es wird niemand entlassen. Wir nutzen Ruhestand und Weggang aus, um Stellen nicht wieder zu besetzen. Wir überlegen auch, ob wir wieder ein Altersteilzeitprogramm auflegen. Es ist doch absehbar, dass das Bauvolumen weiter zurückgehen wird. Es wäre falsch, nun zu suchen, wie man das Personal dennoch irgendwie höher auslasten kann. Besser ist es, diese Betriebe auf eine vernünftige Größe zu bringen.

Außerdem prüfen wir, wie die Immobilienverwalter Limsa und der Landesbaubetrieb fusionieren und mit der Landesgesellschaft Saleg besser kooperieren können. Bau und Gebäudeverwaltung gehören in eine Hand. Ähnliches ist bei der Wirtschaftsförderung zu prüfen, wo sich neben der Investitionsbank noch viele Gesellschaften damit beschäftigen. Bei allen Veränderungen geht es darum, finanzielle Spielräume zu gewinnen, um zum Beispiel mehr junge Lehrer und Erzieher einstellen zu können. Finanzpolitik ist kein Selbstzweck.

Volksstimme: Sie wollen bei der Kinderbetreuung zurück zum Ganztagsanspruch für alle. Nachdem dieser gekappt worden war, wurden pro Jahr etwa 40 Millionen Euro gespart. Nun soll die Rückkehr nur 25 Millionen Euro kosten. Wie geht das?

Bullerjahn: Erstens haben wir ein sehr teures Kinderfördergesetz, da wir sehr viel von oben regeln. Sozialminister Norbert Bischoff und ich sind uns mit den Landkreisen und Gemeinden einig, das Gesetz einfacher und klarer zu machen sowie mehr vor Ort entscheiden zu lassen, damit es kostengünstiger wird. Zweitens werden wir nicht wieder flächendeckend zehn Stunden Betreuung vorhalten, weil wir dann Plätze bezahlen müssten, die gar nicht gebraucht würden. Uns schwebt vor, einen Mittelwert – über den noch zu diskutieren ist – vorzuhalten. Längere Betreuungsangebote könnten in dicht besiedelten Regionen in bestimmten Tagesstätten konzentriert angeboten werden. So wie das in Halle derzeit überlegt wird. Für Altmark und Harz brauchen wir sicher andere Lösungen. Wir wollen im Sommer unsere Grundüberlegungen vorlegen, die dann ein halbes Jahr mit den Praktikern beredet werden, ehe ein Gesetzesvorschlag auf den Tisch kommt.

Volksstimme: Wird Kinderbetreuung für die Eltern teurer?

Bullerjahn: Es geht nicht darum, etwas teurer zu machen, sondern einfacher und kostengünstiger.

Volksstimme: Vor der Wahl hieß es, dass jährlich 800 Leute neu in den Landesdienst kommen sollten, um die Mannschaft zu verjüngen. Nun sollen es nur noch 400 sein. Wer muss bluten: Lehrer. Polizei ...?

Bullerjahn: Wir hatten vor der Wahl alle Stellenwünsche der Ministerien zunächst aufgenommen, im Wissen, dass diese Zahlen nach der Wahl keinen Bestand haben können, wenn wir unser Ziel erreichen wollen, unsere Personalstärke dem deutschen Mittelwert anzugleichen. Das heißt: 19 Vollzeitstellen auf 1000 Einwohner spätestens ab 2019. Wir müssen von derzeit 55000 Stellen auf knapp 40 000 Stellen herunterkommen.

Außerdem haben wir uns zu einer Schuldenbremse verpflichtet, die vorsieht, ab 2012 keine neuen Schulden mehr aufzunehmen.

Zur Polizei: Die derzeit in der Ausbildung befindlichen Polizisten werden alle übernommen. Die nach der Ausbildung erfolgenden Neueinstellungen werden in den Jahren bis 2014 von 120 auf 150 und dann auf 180 steigen. Wie es danach weitergeht, müssen wir bei der Diskussion ums neue Personalentwicklungskonzept bis zum Sommer bereden. Über die genaue Anzahl der einzustellenden Lehrer muss noch geredet werden – das hängt auch vom neuen Schulgesetz ab. Man darf dabei nicht vergessen, dass etwa 2000 Lehrer aus dem Altersteilzeitprogramm jetzt zu Hause sind, wir sie aber noch bezahlen müssen. Das sind rund 100 Millionen Euro pro Jahr. Hinzu kommt, dass die Arbeitszeit der Beamten künftig auf 67 Jahre steigen wird, was Neueinstellungen erschwert.

Volksstimme: Sie sagten, Sachsen-Anhalt verwalte sich zu teuer. Ist das messbar?

Bullerjahn: Wir haben ein sogenanntes strukturelles Defizit von 668,5 Millionen Euro. Das heißt, gemessen an unseren Einnahmen und unter der aktuellen konjunkturellen Situation geben wir derzeit mehr als eine halbe Milliarde Euro zu viel aus. Für Personal, Zinsen, Leistungen. Die Schuldenbremse des Bundes gibt uns vor, dass wir dieses Defizit in den nächsten zehn Jahren gleichmäßig abbauen. Wir müssen also jedes Jahr Ausgaben um knapp 70 Millionen Euro senken – und zwar dauerhaft.

Darüber hinaus hat der Landtag eine Schuldenbremse beschlossen, die verlangt, dass wir schon ab 2012 keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Ich unterstütze das ausdrücklich.

Volksstimme: Sie sind der einzige Landes-Finanzminister in Deutschland, der nun zwei Staatssekretäre hat. Außerdem erhalten Sie zusätzliche Abteilungen, deren Umzüge auch Kosten verursachen. Landesrechnungshofpräsident Seibicke kritisiert, dass Sie damit ein falsches Signal setzten.

Bullerjahn: Der Landesrechnungshof muss Probleme nicht lösen, sondern nur begleiten. Ich habe drei große Aufgabenfelder hinzubekommen: Hochbau, Kommunalfinanzen und den Datennetzaufbau zusammen mit den Kommunen. Wir haben künftig sechs statt vier Abteilungen. Wer meint, das alles lasse sich weiterhin mit einem Staatssekretär steuern, der sollte sich selbst um ein Ministeramt bemühen.

"Der nächste Abschwung kommt bestimmt"

Volksstimme: Aber warum müssen gleich alle neuen Abteilungen umziehen?

Bullerjahn: Wir haben jetzt schon drei Standorte in Magdeburg und hätten ohne Umzüge dann sechs. Das funktioniert nicht mehr. Wir werden die Kosten im Rahmen halten, weil wir zum Beispiel das Landesverwaltungsamtsgebäude hier gleich um die Ecke mitnutzen werden – da dort Mitarbeiter zum Kultusministerium gehen. Ohnehin haben wir vor, für die Landesregierung künftig landeseigene Gebäude zu nutzen.

Also: Kostenlos ist solch eine Umstrukturierung nicht, das stimmt. Aber es ist unsere Aufgabe und unser Recht, die Regierung so zu strukturieren, damit wir bestmöglich arbeiten und Probleme lösen können. Entscheidend ist es, die Gesamtkosten der Verwaltung zu senken. An diesem Ziel wollen wir uns messen lassen. Zugespitzt gesagt: Ich hoffe nicht, dass mal jemand fordert, Wahlen abzuschaffen, da die Geld kosten.

Volksstimme: Die Konjunktur zieht an, Sachsen-Anhalt erwartet - gemessen an der alten Prognose - ein Steuerplus in dreistelliger Millionenhöhe. Wofür werden Sie das Geld ausgeben ?

Bullerjahn: Es wird keine Sonderprogramme geben. Jeder Euro wird genutzt, um unsere Kredite zu senken. Für dieses Jahr war eine Neuverschuldung von knapp 550 Millionen Euro geplant. Diesen Rahmen werden wir nicht ausreizen müssen. Ab 2014 beginnen wir, den Altschuldenberg von etwa 20 Milliarden Euro abzutragen. Damit das auch alles geschafft wird, legen wir Steuermehreinnahmen in guten Zeiten als Reserve zurück - denn der nächste Abschwung kommt bestimmt.

Über all diese Überlegungen werden wir im Sommer das Parlament und die Öffentlichkeit informieren und zur Diskussion einladen.