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Anstalts-Psychologin Susanne Preusker schildert in ihrem Buch, wie sie das traumatische Erlebnis verarbeitet hat. Im Knast vergewaltigt: "An der geschlossenen Psychiatrie ganz nah vorbeigerutscht"

Von Bernd Kaufholz 18.10.2011, 04:23

Susanne Preusker (51) ist 2009 in der JVA Straubing sieben Stunden lang gefangen gehalten und vergewaltigt worden. Die Frau, die heute in Magdeburg lebt, hat sich in einem Buch von ihrem Horror-Erlebnis und der Zeit danach freigeschrieben.

Vor zwei Jahren. Susanne Preusker arbeitet in der Justizvollzugsanstalt Straubing in Bayern - in der sozialtherapeutischen Abteilung mit 24 Haftplätzen.

Die damals 49-Jährige ist Psychologin und Psychotherapeutin. Ihr Klientel ist "ausgesprochen schwierig": Vergewaltiger, Kinderschänder, Mörder. Die meisten mit einer langen kriminellen Karriere.

2007 hat Preusker in Magdeburg einen Mann kennengelernt und führt seitdem eine Wochenendbeziehung zwischen Bayern und Sachsen-Anhalt.

Die im niedersächsischen Hildesheim gebürtige Frau ist gut im Geschäft. Sie schreibt Gerichtsgutachten und ist neben ihrer Arbeit in der JVA hin und wieder als Dozentin tätig.

Im April 2009 dreht sich bei ihr alles um die bevorstehende Hochzeit, die für den 17. des Monats in Magdeburg geplant ist.

Es sind Osterferien. Ihr 17 Jahre alter Sohn und ihr Lebensgefährte wollen sich in Magdeburg ein paar schöne Tage machen. Susanne Preusker will am Gründonnerstag nachkommen.

Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnt, ist, dass sie vor einem dramatischen Wendepunkt in ihrem Leben steht. Dass sie dem Tod nur knapp von der Schippe springen wird - nicht nur einmal.

"Der Mann aus Aschaffenburg war ein mehrfach vorbestrafter Mörder"

Am Nachmittag des 7. April hat sie einen Termin mit einem Gefangenen in ihrem Büro in der JVA. Der kleine Arbeitsraum grenzt an ein Dienstzimmer der Justizvollzugsbeamten. Davor befinden sich die Hafträume.

"Der Mann aus Aschaffenburg war ein mehrfach vorbestrafter Mörder", erzählt Preusker dieser Tage in ihrer Magdeburger Wohnung. "Er hatte eine Frau vergewaltigt. Um sie am Schreien zu hindern, hatte er sie geknebelt. Zu tief. Zungenbeinbruch. Die Frau war erstickt."

1986 sei der "Lebenslängliche" in Haft gekommen und er sitzt Ostern 2009 bereits mehr als 23 Jahre im Straubinger Gefängnis.

Ein Gefangener, der noch "einen langen Therapie-Weg vor sich gehabt habe", charakterisiert Preusker ihren Peiniger.

Gegen 17.30 Uhr steht die Psychologin hinter ihrem Schreibtisch auf. Sie schaut auf die Uhr - zum Zeichen, dass sie das Gespräch beenden muss. Da sei noch alles in Ordnung gewesen, denkt sie zurück.

Die 49-Jährige geht zur Tür und sagt, dass sie keine Zeit mehr habe und das Gespräch an einem anderen Tag fortgesetzt werden müsse. Doch der Mann lässt sie nicht zum Ausgang vorbei. "In diesem Moment habe ich gefühlt: Hier ist etwas verkehrt. Hier läuft etwas aus dem Ruder."

"Wenn ich mich damals gewehrt hätte, wäre ich heute tot"

Der verurteilte Mörder vergewaltigt Susanne Preusker. Sieben Stunden lang. Immer wieder.

"Wenn ich mich damals gewehrt hätte, wäre ich heute tot", ist sich die Wahl-Magdeburgerin sicher. Ihr Körper habe "auf einen Überlebensmodus geschaltet. Ich habe nur noch gedacht: Nicht ohnmächtig werden. Nicht schreien. Ich hatte schreckliche Angst, dass er mich knebeln würde, wie sein Opfer zuvor." Sie habe versucht, "keinen Fehler" zu machen.

"Ich war nie mutig", räumt Preusker ein. Aber während der sieben Stunden habe ich meine gesamte Kraft und meinen Verstand zusammengenommen." Was allerdings unmittelbar nach ihrer Befreiung geschehen sei, wisse sie nur von anderen.

Die Justizvollzugbeamten bekommen relativ schnell mit, dass der Gefangene eine Geisel genommen hat. Spezialkräfte rücken an. Bereitschaftspolizei riegelt das gesamte Gefängnis ab.

Irgendwann gibt der Vergewaltiger auf. Mit der Beherrschung ist es bei der blutenden Susanne Preusker vorbei. Sie bekommt einen Schreikrampf und bricht zusammen.

Am nächsten Tag wird sie wegen des regen Medieninteresses an ihrer Person nach Regensburg gebracht - zu einer Kollegin. Von dort holen sie kurz darauf Lebensgefährte und Sohn ab.

Magdeburg.

Die 52-Jährige springt ins Jahr 2007 zurück.

"Als Niedersächsin bin ich oft die A2 an Magdeburg vorbeigefahren. Ich war damals genauso überheblich wie viele Menschen, die noch nie in der Stadt waren, heute noch, und habe gesagt: Nach Magdeburg zieht mich nichts."

Dann habe sie ihren heutigen Mann kennengelernt. "Ach du Sch..., ausgerechnet aus Magdeburg", habe sie gedacht, als sie seinen Arbeits- und Wohnort erfahren habe.

Das erste Treffen am Kölner Platz hinter dem Hauptbahnhof habe sie in ihrer negativen Meinung über die Stadt sogar noch bestärkt.

"Doch von Mal zu Mal sei ihr die Stadt "mehr ans Herz gewachsen". Der Rotehornpark, der Dom, Stadtfeld ... "Man muss sich einlassen auf die Stadt", sagt sie. 2007 und 2008 habe sie ihr neues Umfeld entdeckt.

Magdeburg sei anders als Dresden: "Von Dresden ist man anfangs überwältigt. Dann hat man das Gefühl, dass es nervt, so schön ist es."

"Dass mir Magdeburg 2009 nach dem Vorfall in Straubing das Leben retten würde, konnte ich natürlich nicht wissen."

Sie habe nach der Tat Angst vor allem und jedem gehabt, habe sich beschmutzt gefühlt. "Ich hatte alle psychischen Symptome, die man nach solch einem traumatischen Erlebnis nur haben kann. Ich wäre bald über die Klippen gewuppt."

Im letzten Moment habe sie in Magdeburg fachmännische psychiatrische und psychologische Hilfe erhalten. "Ich habe Menschen kennengelernt, die mich mit ihrer bodenständigen Herzlichkeit wieder aufgerichtet haben." Dazu zähle sie unter anderem auch ihre Nachbarn.

Und ihr fällt in diesem Zusammenhang eine beinahe nebensächlich klingende Episode während ihrer Rekonvaleszenzzeit ein.

"Ich liebe Theater. Aber ich hatte immer noch große Ängste. Ich bat deshalb im Magdeburger Schauspielhaus um einen Platz in der Nähe des Notausgangs." Man habe ihr den Lageplan gezeigt und einen bestimmten Platz empfohlen. "Kommen sie mal in einem bayerischen Theater mit solch einem Anliegen ..."

Die "bodenständige Mentalität" habe ihr das Leben gerettet. "Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn ich die Stadt nicht gehabt hätte. Ein Glücksfall."

Vor der Zeit bis zum Prozess habe sie sich "von Tag zu Tag gehangelt". Danach sei es ihr etwas besser gegangen.

"Im Frühsommer 2010 hat mich eine Freundin angerufen, die mit ihrem begonnenen Buch nicht weiterkam." Sie habe der Frau "kluge Ratschläge gegeben".

Nach dem Telefongespräch habe sie von der Küche auf den sonnenbeschienenen Balkon mit den bunten Blumen geschaut und gedacht: "Gute Ratschläge kannst du geben, aber selber kriegst du nichts auf die Reihe."

Sie habe ihr Notebook hochgefahren und zu schreiben begonnen. "Nach sechs Wochen war das Buch fertig. Ich habe jeden Tag geschrieben. Der Leidtragende war mein Mann. In dieser Zeit war im Kühlschrank außer Licht nichts drin."

"Es gibt den Straftäter, der mit heute bekannten Methoden nicht therapierbar ist"

Doch zuerst wollte kein Verlag das Buch "Sieben Stunden im April - meine Geschichte vom Überleben" haben. "Ich habe das 160 Seiten lange Manuskript in eine Kiste gepackt. Für mich war die Sache erledigt. Doch eine Bekannte hat mich überredet, den Entwurf noch einmal Verlagen anzubieten. Das habe ich im November 2010 auch getan." Mit Erfolg. Der Patmos-Verlag nahm Preusker unter Vertrag. Inzwischen ist die erste Auflage schon verkauft und die zweite steht in den Regalen der Buchhandlungen.

"Wenn ich mit meinen Erfahrungen nur einer Frau helfen kann, bin ich zufrieden", sagt die 51-Jährige, die sich schon vor der Tortour hinter Gittern sicher war, dass nicht jeder Sexualstraftäter therapierbar ist. "Es gibt ihn nämlich, den gefährlichen Straftäter, der mit herkömmlichen, heute bekannten psycho- und sozialtherapeutischen Methoden nicht erreichbar ist." Es sei ein kapitaler Fehler, unser "akademisches, liberales, bildungsbürgerliches Wertesystem eins zu eins auf jeden Insassen hinter Gefängnismauern zu übertragen".

Dabei habe sie die Messlatte mit Hinblick auf Arbeitserfolge schon von jeher "sehr niedrig" aufgelegt. Dass eine Therapie anschlägt, sehe sie "sehr verhalten optimistisch". Insgesamt sieht Preusker seit den vergangenen zehn Jahren ein gewisses Umdenken bei den Kollegen. "Die Zeit, da die superoptimistische Meinung vorherrschte, man kann alles hinbekommen, es sei nur eine Frage der Methodik, ist vorbei."