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Politologe über Grenzregime der DDR "Planungen zur Grenze reichten bis über das Jahr 2000 hinaus"

Mit einem umfassenden technologischen Ausbau wollte die DDR-Führung ihr Grenzsystem modernisieren. Volksstimme-Redakteur Christopher Kissmann hat Peter Joachim Lapp gefragt, wie die Pläne des SED-Regimes umgesetzt werden sollten.

08.11.2014, 06:58

Volksstimme: Herr Lapp, das SED-Regime wäre ohne seine massiv gesicherten Grenzen wohl nicht überlebensfähig gewesen. Ende der 80er Jahre wollten Hunderttausende die DDR verlassen. Welche Pläne gab es innerhalb der politischen Führung, die Grenzanlagen weiterzuentwickeln?
Peter Joachim Lapp: Die Grenze sollte insgesamt ansehnlicher und noch sicherer gestaltet werden. Die Planungen des Regimes beziehungsweise Kommandos der Grenztruppen reichten dabei bis über das Jahr 2000 hinaus. Unter anderem war vorgesehen, den Grenzsignal- und Sperrzaun durch einen "Übersteigschutz" (Signaldrähte) zu ergänzen, damit dieser nicht mehr so leicht von "Grenzverletzern" zum Beispiel mit Leitern, Seilen oder großen Ästen überwunden werden konnte.

Angesichts von fast 1400 Grenzkilometern wären diese Maßnahmen sicher nicht ganz billig geworden.
Das stimmt. Allein die Installierung des "Übersteigschutzes", geplant ab 1992, hätte bis 1994 rund 14 Millionen DDR-Mark gekostet, für den Zeitraum danach bis 2000 noch einmal weitere 50 Millionen Mark.

Andere technisch aufwändige Alarmsysteme wie Geländeüberwachungsgeräte, Infrarotanlagen, Funkstrahlsignalgebersysteme, Vibrationsmeldungsgeber, neue Scheinwerfer und Grenzsicherungsboote, alles geplant ab Anfang der 90er Jahre, hätten noch weit höhere Ausgaben erfordert. Die "Grenze 2000" wäre zwar auf jeden Fall noch sicherer, aber auch deutlich teurer für die DDR geworden.

Deren Wirtschaft war zu dieser Zeit bereits marode. Hätte sich der Staat diese Investitionen überhaupt leisten können?
Das kann man aus heutiger Sicht schwer sagen. Fakt ist: Manche der modernen technischen Systeme hätte die DDR aus Russland importieren und mit Rubel bezahlen müssen, andere im eigenen Land herstellen können. Das hätte das SED-Regime, wenn überhaupt, nur über viele Jahre Stück für Stück finanzieren können.

In den Medien in der Bundesrepublik wurde in den 80er Jahren immer wieder über Todesschüsse an der Grenze berichtet. Stand die DDR-Führung bei der Grenzerneuerung außenpolitisch unter Druck?
Auf jeden Fall. Das Motto "Technik statt Todesschüsse" kam ja nicht von ungefähr. SED-Partei- und DDR-Staatschef Erich Honecker wollte die Grenze humaner erscheinen lassen, denn die Mauertoten setzten die DDR außenpolitisch unter Druck. Das Regime war nicht zuletzt von Geldgebern aus dem Westen abhängig. Länder wie die Bundesrepublik wollten nur Kredite gewähren, wenn die DDR zusicherte, die Zustände an der Grenze zu verbessern.

Besonders heikel waren die Fälle der Mauertoten in Berlin. Wie wollte sich das SED-Regime dort neu aufstellen?
Die Berliner Mauer selbst spielte bei den Perspektivplanungen "Grenze 2000" eher eine untergeordnete Rolle, weil bautechnisch nicht mehr viel möglich war. Allenfalls bei der sogenannten Hinterlandsicherung konnte man noch mehr tun. Der Schutzstreifen war gegenüber Westberlin oft weniger als einhundert Meter breit. Hier waren die DDR-Grenzer deshalb gezwungen, schneller auf "Grenzverletzer" zu reagieren - was bis ins Frühjahr 1989 auch mit der Anwendung der Schusswaffe und Toten verbunden war. Davon wollte man weg. Deshalb war geplant, die Tiefensicherung des grenznahen Raums zu intensivieren: Vor allem mit Hilfe der Volkspolizei, ihrer freiwilligen Helfer und durch "Helfer der Grenztruppen".

Literaturtipp: Grenzregime der DDR, Peter Joachim Lapp, Helios-Verlag, 35,80 Euro