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Medizin Mit Maden chronische Wunden heilen

Die Larven der Goldfliege helfen sogar, wenn Wunden mit multiresistenten Keimen befallen sind. Doch der Patient muss mitspielen.

Von Kerstin Singer 25.10.2016, 01:01

Stendal l Es gibt Wunden, die wollen einfach nicht zuheilen. Dann stellt sich für Ralf Koch und seinen Patienten die Frage nach einer Operation. Doch lieber setzt der Sektionsleiter der Klinik für Gefäßchirurgie am Stendaler Johanniter-Krankenhaus auf eine schonendere Methode: Fliegenmaden. „Bei einer Operation lässt es sich kaum verhindern, dass auch gesundes Gewebe mit abgeschnitten wird“, erklärt der Mediziner.

Die Gefahr besteht bei der sogenannten „Maden-Therapie“ nicht. Denn die Larven der Goldfliege (Lucilia sericata) interessieren sich nur für abgestorbenes Gewebe. Viele chronische Wunden sind mit abgestorbenen Zellen bedeckt, die die Wundheilung beeinträchtigen und ein Infektionsrisiko für den Patienten darstellen.

Um diese schonend abzulösen, bedienen sich die Mediziner der Maden. Diese produzieren als Verdauungssäfte Enzyme, die die abgestorbenen Zellen auflösen und bakterienabtötende Stoffe, die die Wunde desinfizieren. Gleichzeitig fressen die Maden die aufgelösten Wundstoffe und abgetöteten Bakterien wieder auf. „Das funktioniert selbst bei multiresistenten Keimen“, berichtet Koch. Entweder heilt die Wunde danach selbst oder der Chirurg kann sie mit Hilfe von Hauttransplantationen verschließen.

Damit die Wunden durch die Larven nicht zusätzlich belastet werden, stammen diese aus steriler Aufzucht eines deutschen Herstellers, der damit Krankenhäuser beliefert. Etwa drei Millimeter groß sind die Larven, wenn sie in Kochs Abteilung ankommen, innerhalb einer Woche wachsen sie bis auf zwölf Millimeter an. Sobald sie sich anfangen zu verpuppen, können sie nicht mehr verwendet werden.

Seit fast 20 Jahren beschäftigt sich der Gefäßchirurg mit der Maden-Therapie, die Ende der 80er Jahre eine Renaissance erlebte. Denn sie ist eine uralte Heilmethode, die insbesondere in Kriegszeiten, in denen Medikamente knapp waren, in Lazaretten zur Anwendung kam. Inzwischen übernehmen sogar die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die stationäre Maden-Therapie.

Besonders Diabetikern mit chronischen Wunden oder Patienten, die starke Durchblutungsstörungen haben, kann damit geholfen werden. Bekannt ist zum Beispiel die sogenannte Schaufensterkrankheit, die auf einer Verengung der Beinarterien beruht und vor allem bei älteren Menschen starke Schmerzen beim Gehen bis hin zu offenen Geschwüren hervorruft.

Bei solchen Erkrankungen steht vor der Maden-Therapie oft eine Operation, um die Durchblutung zu verbessern, sowie eine medikamentöse Therapie, um die verantwortliche Grunderkrankung, meist Diabetes, einzudämmen.

Bei seinen Patienten muss Koch oft erst einmal Vorbehalte gegen die kleinen Helfer abbauen. Denn die wenigsten Menschen verbinden Maden mit Heilung.

Für eine bessere Akzeptanz sorgen kleine Beutel aus Gaze, in denen die Maden eingeschlossen sind. Dadurch wird sichergestellt, dass die nützlichen Larven nicht aus der Wunde herauskrabbeln oder den Wundrand anknabbern können. Und die Fliegenlarven stehen unter ständiger Beobachtung des Pflegepersonals auf der Station, das eine spezielle Ausbildung für die biochirurgische Methode bekommen hat.

Die Arbeit der zahnlosen Tierchen an der Wunde ist auch für den Patienten spürbar. „Das Empfinden reicht von leichtem Kribbeln bis hin zu Schmerz“, berichtet der Gefäßchirurg. Bislang sei aber wissenschaftlich nicht geklärt, warum manche Patienten bei der Madentherapie einen größeren Bedarf an Schmerzmitteln hätten.