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Familienstudie Nach dem Ersten ist Schluss

In Sachsen-Anhalt ist der Trend zur Ein-Kind-Familie stärker ausgeprägt als anderswo. Sozialforscher fragten Eltern, woran das liegt.

Von Jens Schmidt 18.05.2016, 01:01

Magdeburg l Das Elterngeld scheint etwas bewirkt zu haben. Seit 2007 wird es gezahlt und seitdem steigt die Geburtenziffer in Sachsen-Anhalt deutlich an. Seit 2009 liegt diese sogar über dem deutschen Durchschnitt. In Zahlen ausgedrückt: 1000 Frauen bekommen in Sachsen-Anhalt im Mittel 146 Kinder. Im Bundesmittel sind es 140 – im Westen 137.

Der Anteil kinderloser Frauen in Sachsen-Anhalt ist niedriger als im deutschen Mittel. „Frauen bekommen in Sachsen-Anhalt demnach eher ein Kind als in anderen Regionen“, stellen die Wissenschaftler des Sozialforschungszentrums Halle in ihrer gestern öffentlich vorgestellten Familienstudie fest. Aber: Nach dem ersten ist für viele Schluss. In Sachsen-Anhalt gibt es deutlich mehr Ein-Kind-Familien als in den anderen Bundesländern. Woran liegt das? Das wollten die Experten wissen. Das Team um Sabine Böttcher hatte im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung 1000 Frauen und Männer befragt.

Fast 60 Prozent der Familien, die schon ein Kind haben, wollen keinen weiteren Nachwuchs. Ein Grund: Eltern erfahren mit der Geburt des ersten Kindes Belastungen, die größer als erwartet waren.

Zweiter Grund: Zusätzliche finanzielle Belastungen werden stärker kalkuliert als vor einem ersten Kind. Die Studie besagt: „Denn während der Wunsch nach dem ersten Kind vergleichsweise wenig mit der Höhe des Einkommens variiert, steigt die Wahrscheinlichkeit für den Wunsch nach einem weiteren Kind bei Eltern mit zunehmendem Einkommen.“ Erst ab einem Monats-Haushaltseinkommen ab 3000 Euro ist der Wunsch nach einem zweiten Kind deutlich ausgeprägt.

Auch bei den Altersgruppen gibt es deutliche Unterschiede. Kommen die Eltern über die 35-Jahres-Schwelle, sinkt der Wunsch nach einer größeren Familie rapide ab. Erhebliche Differenzen gibt es auch bei den Geschlechtern. Etwa die Hälfte der Männer sagt Ja zu einem zweiten Kind – aber nur ein Drittel der Frauen. Die Doppelbelastung von Familie und Beruf lastet offenkundig immer noch vor allem auf ihnen.

Etwa 40 Prozent der Familien wollen durchaus ein zweites Kind, doch viele zögern, ihren Wunsch umzusetzen. Etwa 40 Prozent der Befragten sagen auch: Sachsen-Anhalt ist kein kinderfreundliches Land. Wo stehen die Hürden? Ganz oben stehen die momentane finanzielle Lage, eine zu kleine Wohnung und die Sorge, zu wenig Zeit für das weitere Kind zu haben.

Die Forscher sehen beim Thema Arbeitszeit einen möglichen Ausweg: Junge Eltern arbeiten in der Woche verkürzt, bekommen aber einen finanziellen Ausgleich durch Staat oder Unternehmen. Ähnliches hatte auch schon Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) vorgeschlagen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) findet, dies solle man tabulos diskutieren.

Ein Knackpunkt ist für viele Eltern die Kinderbetreuung. Als sehr belastend empfinden es Eltern, wenn Kitas in den Sommerferien mehrere Wochen schließen oder wenn Arbeitszeit und Kita-Öffnungszeit nicht recht zusammenpassen. Ein Drittel der Ein-Kind-Familien und die Hälfte der Mehrkindfamilien sind mit den Öffnungszeiten unzufrieden. Als gravierend werden auch die Kita-Gebühren empfunden. 20 Prozent der Eltern sagen, die Kosten für die Kinderbetreuung wären ihnen für ein weiteres Kind zu hoch – trotz Familienrabatt.

Die Macher der Studie raten dem Land, die Tagesstättten finanziell besser zu unterstützen, damit diese flexibler öffnen zu können (Die Koalition will die Kommunalfinanzen aufbessern und hofft, dass dadurch ein Anstieg der Elternbeiträge gebremst wird). Selten angegeben wurden andere Hinderungsgründe: Dass Kinder auch anstrengend sind, die Partnerschaft nicht so harmonisch verläuft oder individuelle Interessen mit der Familie kollidieren. Ziemlich unwichtig ist vielen auch der Trauschein.

Etwas anders sieht die Lage bei Kinderlosen aus. 80 Prozent von ihnen wünschen sich Nachwuchs. Materielle Hindernisse sehen sie eher nicht. Sie zögern aber mit dem ersten Schritt vor allem, weil die Partnerschaft nicht stimmt, die Zukunft unklar ist oder sie sich noch zu jung für eine Familie fühlen. Wenn auch wieder mehr junge Leute eher Ja zum Kind sagen als noch vor zehn Jahren, kommen insgesamt gesehen in Sachsen-Anhalt dennoch kaum mehr Babys zur Welt. Seit längerer Zeit pendelt die jährliche Zahl der Neugeborenen um die 17000. Der Grund: Die Zahl junger Frauen und Männer ist in Sachsen-Anhalt extrem stark zurückgegangen.

Dafür gibt es zwei Ursachen: Der Geburtenknick nach 1990 sowie die hohe Abwanderung. Das heißt: Auch wenn die hier lebenden Frauen im Schnitt wieder mehr Kinder bekommen, so bringt das dennoch nicht dem demografischen Umschwung. Es fehlt schlicht an potenziellen jungen Eltern. Sachsen-Anhalts Einwohnerschaft altert im Mittel.

Die Geburtenzahl wird daher vermutlich weiter sinken – zumal noch unsicher ist, welche demokratischen Effekte die hohe Zuwanderung des letzten Jahres bringt.