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Traditionen Ein Land mit Weihnachtsgenen

Ob beim Festagsbraten, Weihnachtsschmuck oder in der Kultur - Sachsen-Anhalt ist ein Land voller Weihnachtstraditionen.

Von Manfred Zander 25.12.2016, 09:11

Magdeburg l Großmutter war einst der Liebe wegen ins Magdeburgische gezogen. Sie stammte aus Ostpreußen. Der alljährliche Festtagsbraten hieß deshalb Wääääiinachtsjanns, war voller Rosinen und schmeckte – wie der Karpfen am Tag zuvor – süßsauer. Dazu kamen, selbstgebacken und knüppelhart, Honigkuchen und, gleichfalls heimgewerkt, bittersüßes Marzipan - „Keeenichsberjer“ - auf den Weihnachtstisch. Die Sprach- und Brauchtumsgrenze verlief gleich hinter der Wohnungstür. Nebenan, zum festtäglichen Asyl bei der Patentante, gab es – nach Kirchgang und Bescherung – richtige Weihnachtsgans mit Grünkohl aus der Magdeburger Börde.

„Zu Weihnachten darf der Festbraten nicht fehlen“, befand Heimatforscher Eduard Stegmann in einem Büchlein über das Brauchtum in der Magdeburger Börde. „In Magdeburg isst man vielfach Grünkohl dazu. Unter den dörflichen Festgerichten stand früher ,Bratgen‘, getrocknete Birnen, Rosinen und Pflaumen mit Klump und Schälrippe zusammengeschmort, an erster Stelle. Als Festgebäck wird der nach überliefertem Brauch verzierte Pfefferkuchen hergestellt, ein gewürzreiches, mit Honig versüßtes Festbrot.“

Zwischen Bescherung und Festtagsbraten gerät manchmal fast in Vergessenheit, dass Weihnachten ein christliches Fest ist, mit dem wir die Geburt Jesu feiern. Daran erinnert ein alter Brauch, der in der kleinen Stadt Sandau gepflegt wird. Die Kirchengemeinde feiert dort mit dem Quempas-Singen am Heiligen Abend Christi Geburt. Der Name geht auf das lateinische Weihnachtslied „Quem pastores laudavere“ („Den die Hirten lobeten sehre“) zurück. Einzelne Chorgruppen singen von den vier Seiten Seiten der Kirche im Wechsel jeweils eine Strophe eines Weihnachtsliedes. „Für Sandau hat das Quempas-Singen eine immense Bedeutung“, sagt Hartwig Janus, Pfarrer der Laurentius- und Nikolai-Gemeinde. „Nachdem die Stadt im Krieg schwer zerstört wurde, sind viele der Einwohner weggezogen. Zum Quempas-Singen kommen auch viele ehemalige Sandauer. Alle Plätze in der Kirche sind dann besetzt.“ Auf einer Internetseite können die Tage bis zum nächsten Quempas-Singen gezählt werden. Auch im Harz und in anderen Gemeinden des Elb-Havel-Winkels wird dieser schöne Brauch gepflegt.

Der geschmückte Weihnachtsbaum ist das Symbol des Festes schlechthin. Wann er seinen festen Platz in den Wohnzimmern hierzulande eingenommen hat, ist nicht sicher. Ein verwundeter schwedischer Teilnehmer der Schlacht von Lützen soll den Dorfbewohnern als Dank für ihre Pflege 1632 eine Weihnachtsfeier spendiert haben. Dazu gehörte auch ein geschmückter Weihnachtsbaum.

Die schöne Legende deckt sich in etwa mit der Historie. Danach soll der Weihnachtsbaum hier Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts sesshaft geworden sein. In der Magdeburger Börde allerdings später, wie Eduard Stegemann schreibt: „In dem holzarmen Gebiet hat sich der Christbaum erst durchgesetzt, als es möglich wurde, ihn durch billigen und schnellen Bahntransport in hinreichendem Maße heranzuschaffen.

Sogar besungen wird der Weihnachtsbaum. Die erste Strophe des botanisch nicht ganz astreinen Liedes vom Tannenbaum und seinen grünen Blättern verfasste Joachim August Christian Zarnack. Er stammt aus dem altmärkischen Mehmke, studierte in Halle und arbeitete später als Pädagoge in Beeskow und Potsdam. Der Leipziger Pädagoge Ernst Anschütz hängte der Zarnackschen Dichtung zwei weitere Strophen an und hob damit das Erfolgslied „O Tannenbaum“ aus der Taufe.

Womit belegt sein dürfte, dass die Menschen in dieser geschichtsträchtigen Landschaft sich nicht nur am allgemein zugänglichen weihnachtlichen Brauchtum bedienten, sondern auch selbst etwas beisteuerten. Sogar der Weihnachtsmann könnte, wenn denn die Legende für bare Münze genommen wird, aus Sachsen-Anhalt stammen. Ausgegraben hat sie der hallesche Journalist Ernst Krziwanie. Das Vorbild soll der im 11. Jahrhundert lebende Priester Rupertus aus Cölbigk (heute ein Ortsteil von Ilberstedt im Salzlandkreis) gewesen sein. Von ihm sei „sowohl die Figur des Knecht Ruprecht als auch des Heiligen Christ abgeleitet“, beruft sich Krziwanie auf Quellen aus dem 17. Jahrhundert.

Nicht nur sagenhaft, sondern urkundlich belegt ist eine andere sachsen-anhaltische Vorreiterolle. Am 24. Juli 1329 gestattete der Naumburger Bischof Heinrich den Bäckern der Stadt, sich in einer Innung zusammenzuschließen. Als Gegenleistung forderte er zu jedem Heiligabend „zwy lange weyssene Brothe, die man Stollen nennet“. Das Schriftstück ist gewissermaßen die Geburtsurkunde des weit und breit geschätzten Christstollens.

Vielleicht nennen die Sachsen-Anhalter so etwas wie eine Weihnachtsgene ihr Eigen. Verwunderlich wäre es nicht, denn auf der Suche nach den historischen Wurzeln des zu Unrecht mitunter als traditionslos bespöttelten Bindestrich-Landes wird man ausgerechnet zu Weihnachten des Jahres 968 fündig. Damals stiftete Kaiser Otto I. das Erzbistum Magdeburg. Damit löste er ein Versprechen ein, das er 13 Jahre zuvor auf dem Lechfeld bei Augsburg für den Fall seines Sieges über die Ungarn abgegeben hatte. Und das Erzbistum wurde zur Keimzelle des heutigen Bundeslandes.

Zu Weihnachten zeigte sich ein paar Jahrhunderte später noch einmal die herausgehobene Stellung dieses geschichtsträchtigen Landstrichs an Elbe und Saale. In einem Lied besang der Minnesänger Walther von der Vogelweide die berühmte Magdeburger Weihnacht des Jahres 1199. Die gehören zu den ältesten literarischen Zeugnissen über Weihnachten. Beim Weihnachtsfest in Magdeburg wollte Philipp von Schwaben seine umstrittene Königswürde sozusagen am Grabe Ottos des Großen festschreiben lassen.

Für Stadt und Land war der Aufenthalt Philipps und zahlreicher deutscher Fürsten ein Spektakel ohnegleichen. Um so mehr, da der königliche Besuch mit dem jährlichen Markt zu Weihnachten zusammengefallen sein dürfte.

Die Weihnachtsmärkte gehören seit langem untrennbar zum Fest. Für den in Halle gibt es sogar einen schriftlichen Beleg. Im Urkundenbuch der Stadt Magdeburg findet sich ein Verweis auf ein kaiserliches Schreiben von 1469, wonach er den Neujahrsmarkt der Stadt Halle genehmigte. Einer der liebenswertesten Weihnachtsmärkte findet alljährlich in Quedlinburg statt. Zum „Advent in den Höfen“ reisen die Besucher von weither in die alte Fachwerkstadt.

Auch der Magdeburger Weihnachtsmarkt hat eine Besonderheit. Ihn dürfen die Besucher auch nach dem Fest in vollen Zügen genießen. Nur heute und morgen bleibt er geschlossen. Denn Weihnachten ist vor allem auch ein Familienfest, mit oder ohne Gans, mit oder ohne Grünkohl, mit Weihnachtsbaum und Bescherung. Ganz so, wie es überliefert ist.