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Schollener Pelose 5000 Jahre alter Schlamm lindert Schmerzen

Als die Pelose-Mitarbeiter zuletzt Schlamm-Nachschub aus dem See geholt haben, war die Volksstimme mit an Bord.

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 21.07.2016, 14:06

Schollene l Das sah doch anders aus! Als ich vor ein paar Jährchen schon einmal mit raus auf den Schollener See gefahren bin, um über den Abbau des Heilschlammes zu berichten, hatte man vom Kanal am Pelose-Betrieb noch freie Sicht auf das Wasser. Nun blickt man auf einen grünen Wald. Der wächst auf einer riesigen schwimmenden Insel. Die große Landmasse – eine gerade stattgefundene Messung ergab, dass es sieben Hektar sind – hatte sich nach dem Hochwasser im Juni 2013 im westlichen Bereich des Sees gelöst und ist auf die andere Seite des Ufers getrieben: genau vor die Zufahrt zum See. „Wenn die Bundeswehr uns nicht mit ihrer schweren Technik geholfen hätte, hätten wir hier zuschließen können, dann wäre es das mit der Pelose-Förderung gewesen“, erinnert sich Vorarbeiter Karl-Heinz Repp an die bangen Tage vor drei Jahren. Es war ein enormer Kraftakt, die rund 300 Meter lange Schneise durch die schwimmende Insel zu schlagen. Der See hat damit seine Ufergrenzen wieder komplett verändert. Einen Blick auf das Wasser kann man seitdem vom Land kaum noch werfen.

Dabei ist es die Idylle pur, die hier im Schollener Land herrscht. Diese wissen Möwen, Blesshühner, Kormorane und leider auch Waschbären und Minke, die die Gelege auf Inseln und am Seeufer plündern, zu schätzen. Auch der Fischreiher, der am Kanal steht. Erst als das Motorboot dicht dran ist, schlägt er die Flügel und hebt ab.

Tuckernd und mit nur ein paar km/h zieht das Motorboot die beiden Anhänger, auf denen die leeren Kisten für die Pelose stehen. Bis zum Ende des Kanals folgt an Land „Broiler“. Die Wildgans gehört zum Pelose-Betrieb, „sie ist unser Maskottchen! Die Gans hatte letztes Jahr als Küken in einem verlassenen Nest gesessen und wir haben sie mit hierher genommen und aufgezogen. Ein paar Mal ist sie sogar mitgekommen bis zur Fähre, jetzt bleibt sie hier im Kanal und bekommt von uns auch immer mal was zu fressen, am liebsten Äpfel“, erzählt Norbert Buchholz und wirft den Rest von seinem Frühstück ins Wasser, wo „Broiler“ sich darüber hermacht.

Nach 300 Metern Schneise wird der Blick frei auf den Schollener See. Herrlich! Ob die Arbeiter überhaupt noch einen Blick für diese Schönheit der Natur haben? Schließlich fahren sie zwei-, dreimal pro Woche raus. Nicht nur an solch herrlichen Sommertagen wie heute, sondern bei Wind und Wetter. Nur im Winter, wenn der See zugefroren ist, wird eine Zwangspause eingelegt und auf den Vorrat zurückgegriffen, der jedes Jahr ab August in der zum Betrieb gehörenden Halle angelegt wird. Dass der Vorrat tatsächlich gebraucht wird, ist allerdings nicht so oft der Fall, die Temperaturen lassen den See selten gefrieren. „Ich kann mich daran erinnern, dass ich als Kind ein-, zweimal Schlittschuh gelaufen bin“, erzählt Andy Mahler. Er gehört seit 13 Monaten zum Pelose-Team. „Die Arbeit macht Spaß“, erzählt der 29-Jährige, während er das Motorboot über den See lenkt. Er war vorher als Lkw-Fahrer die Woche über nicht zu Hause – nun genießt er es, die Arbeit quasi vor der Haustür und nach Feierabend Zeit für seine Familie zu haben.

Andy Mahler lässt den Blick schweifen über den See: „Da! Ein Fischadler“, zeigt er in der Ferne auf einen auf einem Baum sitzenden Vogel. Also den Blick für die Schönheit der Natur nicht verloren! Möwen flattern überall umher und konzentrieren sich auf eine kleine Insel, auf der sich die Nester befinden. Früher gab es mehrere solcher Inseln, die auch größer waren.

Die Fähre namens „Seerose“ kommt in Sicht. Sie stammt aus der Zeit kurz nach dem Krieg und funktioniert immer noch. Die einfache, solide Technik hat sich in all den Jahren kaum verändert. Ganz am Anfang, im Jahr 1923, als der Schollener Arzt Dr. Michaelis die Heilkraft des Schollener Schlammes entdeckte, war die Förderung noch Handarbeit. Heute befördert ein Motor die beiden Stechkästen in sechs bis acht Meter Tiefe. Gut eine Minute dauert es, bis sie voll mit 250 Kilo Schlamm zurück an der Wasseroberfläche sind und der Inhalt sich auf das Förderband erschüttet. Die Pelose klatscht in die Kästen auf den direkt neben der Fähre stehenden Bootsanhängern. Die Arbeit läuft wie am Schnürchen, jeder der drei Männer weiß, was er zu tun hat. Routine? Meistens. Die Fähre muss nach ein paar Stechtagen immer neu versetzt werden. Am Ende sind es insgesamt fünf Tonnen, die mit einer Fuhre eingeholt werden. Zwei Stunden dauert es, bis alle 20 Kästen voll sind.

Dann alles saubermachen, damit der Schlamm nicht auf der Fähre antrocknet. Und dann geht es zurück an Land. Der Motor hat ordentlich zu ziehen. Für den einen Kilometer bis zum Betrieb braucht das Boot eine Viertelstunde. Im Kanal angelangt, gibt es eine freudige Begrüßung. „Broiler“ scheint gewartet zu haben und rennt nun gackernd neben dem Boot her, schlägt mit den Flügeln.

Nun heißt es abladen, Schlamm aus den Kästen befördern und weiterarbeiten in der Verpackung. Insgesamt sind es vier Vollbeschäftigte und drei Teilzeitkräfte, die bei Pelose arbeiten. Während die Technik auf der Fähre Jahrzehnte auf dem Buckel hat, sind die Maschinen in der Halle computergesteuert. Auch wenn Schlamm verarbeitet wird, ist alles sauber und ordentlich. Christa Bulling aus Berlin ist die Geschäftsführerin. Sie und die Angestellten freuen sich über einen stabilen, sogar leicht steigenden Absatz. Geliefert wird Pelose an Krankenhäuser und Physiotherapien in ganz Deutschland und angrenzenden Ländern. Auch direkt vor Ort in Schollene wird der Schlamm bei Gicht und rheumatischen Leiden angewandt. Die Verpackung erfolgt nach dem Sieben in Ein- und Mehrwegkompressen, als Hand- und Fußpackung, als Nackenkompresse, in Zwei-Kilo-Beutel oder auch in Eimer – je nach Kundenwunsch. Angewendet wird der Schollener Heilschlamm warm oder kalt: Mit 42 bis 48 Grad bei Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen und bei Weichteilrheumatismus, bei schmerzhaften Zuständen nach Traumen am Bewegungsapparat und bei Durchblutungsstörungen. Warm hilft er auch, Schmerzen bei chronischen Erkrankungen des Verdauungs- und Urogenital-Traktes zu lindern. Mit Kühlschranktemperatur kommt Pelose beispielsweise bei Venen- und Lymphgefäß­entzündungen oder bei der Fiebersenkung zum Einsatz. Ärzte und Pysiotherapeuten entscheiden, ob warm oder kalt behandelt wird.

Entstanden ist der Schollener See vor 10 000 Jahren. Der Schlamm, der jetzt in sechs bis acht Metern Tiefe gefördert wird, ist 5000 Jahre alt. Ist diese Schicht irgendwann einmal erschöpft, muss tiefer gestochen werden, denn bis runter auf zwölf Meter unter der Wasseroberfläche hat sich der wasserhaltige Binnenseeschlamm abgelagert. Er besteht aus feinsten Ton- und Kalkteilchen mit organischen Stoffen wie Algenablagerungen und Pflanzenresten. „Um in so einer Tiefe abzubauen, bräuchten wir dann neue Technik. Aber so weit ist es ja noch nicht, noch gibt es oben genug Schlamm“, sagt Karl-Heinz Repp. Er ist seit 1999 im Betrieb tätig, inzwischen in Rente und als Teilzeitarbeiter sehr gern immer mal wieder dabei.

Am Ende des Arbeitstages ist ein Drittel der Fuhre verarbeitet und steht zur Abholung bereit. Morgen wird weiter verpackt. Und übermorgen muss wieder Nachschub geholt werden.