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Reform des Spitzensports Sportausschussvorsitzende Freitag fordert breite Diskussion

Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages hat für Mittwoch zu einer öffentlichen Anhörung zur Leistungssportreform nach Berlin eingeladen. Experten sollen über die Eckpunkte der Reform urteilen, Stärken und Schwächen analysieren.

Von Interview: Andreas Schirmer, dpa 18.10.2016, 08:26

Berlin (dpa) - Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, kritisiert die fehlende breite gesellschaftliche Diskussion über die Reform des Spitzensports in Deutschland.

Bei einer Neuausrichtung der Förderung des Spitzensports gehöre auch eine gesellschaftliche Debatte darüber dazu, sagte die SPD-Politikerin im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Der Endspurt bei der Leistungssportreform hat begonnen. Endlich?

Freitag: Es sind schon zu viele Jahre in Deutschland verloren gegangen. Die Entwicklung ist ja nicht über Nacht über uns hereingebrochen, sondern war spätesten seit 2008 absehbar. Außerdem zeigen die mehrfachen völlig verfehlten Medaillenprognosen seitens des DOSB, dass Einschätzung, Strukturen und Förderung schon lange nicht mehr zueinander gepasst haben. Im Grundsatz ist es deshalb richtig, Strukturen zu hinterfragen, zu überdenken und sie neu auszurichten.

Es hat aber in den vergangenen Monaten viel Kritik zur Reform gegeben, die lange zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund und dem Bundesinnenministerium hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurde.

Freitag: Klar ist auch, dass jede Veränderung nicht nur Zustimmung, sondern auch Gegenwind hervorrufen würde. Das ist zurzeit der Fall. So wird über das nun vorliegende Konzept relativ heftig in den Spitzenverbänden diskutiert, die aus meiner Sicht zu wenig Zeit hatten, sich mit den Details der Reform auseinanderzusetzen, was nicht nur zu bedauern, sondern auch zu kritisieren ist. Was mir persönlich fehlt, ist die Möglichkeit einer breiten gesellschaftlichen Diskussion. Der DOSB hat den Begriff 'Sportdeutschland' kreiert. Wer oder was ist Sportdeutschland überhaupt? Der Begriff ist nie mit Leben und Inhalt erfüllt worden. Wenn es ein Sportdeutschland geben soll, gehört über die Neuausrichtung der Förderung des Spitzensports auch eine gesellschaftliche Debatte dazu.

Die zuletzt nicht so erfolgreichen Spitzenverbände fürchten, weniger Fördermittel zu erhalten. Ist Medaillen gewinnen die einzige Daseinsberechtigung?

Freitag: So stellt sich beispielsweise die Frage, ob eine Sportart wie Schwimmen, weil zwei Mal in Folge bei Olympischen Spielen im Beckenschwimmen keine Medaille gewonnen wurde, gänzlich in der finanziellen Förderung ausgeschlossen werden kann oder soll. Ich denke, nein, weil es eine Sportart mit großer gesellschaftlicher Relevanz ist: Bei der Gesundheitsförderung und weil damit Leben gerettet werden können. Und da Spitzensport immer auch eine Wirkung in die Breite hat, muss so etwas aus meiner Sicht auch berücksichtigt werden.

Nicht berücksichtigt wird bei der Reform bis jetzt, mit welcher Konkurrenz die verschiedenen Sportarten wetteifern müssen.

Freitag:: Es ist doch ein Unterschied, ob Athleten von zwei oder drei Kontinenten auf Weltebene im Wettkampf aufeinander treffen oder Sportler aus allen fünf Erdteilen um Medaillen ringen. Erfolg alleine an der Zahl erzielbarer Goldmedaillen zu definieren, ist nicht nur fahrlässig, sondern auch falsch.

Auch die Doping-Situation im Weltsport ist in der Reform nicht berücksichtigt.

Freitag: Wir als Gesetzgeber haben uns der Förderung eines sauberen Sports verschrieben. Das zeigt nicht zuletzt die Verabschiedung eines wegweisenden Anti-Doping-Gesetzes. Deutsche Athleten sollen ihre Leistungen manipulationsfrei erbringen, müssen sich aber im Zweifel mit gedopten Konkurrenten messen. Wir wissen, dass es Nationen gibt, in denen hemmungslos gedopt wird. Allein deshalb kann man Erfolg nicht ausschließlich an der Goldmedaillen-Chance festmachen. Und die grundsätzliche Frage muss lauten: Wollen wir uns tatsächlich mit Nationen und Systemen wie beispielsweise in Russland, China oder Kenia vergleichen, um nur wenige Beispiele zu nennen? Auf diese und andere Fragen sollen die externen Experten in der Öffentlichen Anhörung des Sportausschusses Antwort geben.

Ist das vom DOSB vorgelegte Reform-Modell noch wesentlich veränderbar?

Freitag: Es wurde lange hinter verschlossenen Türen verhandelt. Es ist nachvollziehbar, dass solche grundsätzliche Diskussionen nicht auf dem Marktplatz stattfinden können, aber sowohl Politik als auch Spitzenverbände fühlen sich unzureichend eingebunden. Daher sind alle am Prozess Beteiligten sicher gut beraten, Stellungnahmen, Einwände und konstruktive Vorschläge nicht einfach vom Tisch zu fegen, sondern sie einer gründlichen und ergebnisoffenen Prüfung zu unterziehen.

ZUR PERSON: Die SPD-Politikerin Dagmar Freitag ist seit 2009 Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, dem sie seit 1994 angehört.