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Schicksale Tag des Erinnerns

Lieselotte Deichsel ist heimgekehrt an einen Ort ihrer Kindheit - den Scharfenstein bei Ilsenburg.

Von Gerald Eggert 02.11.2016, 11:00

Ilsenburg l Nur sechs Kilometer Luftlinie entfernt von der Rangerstation am Scharfenstein befindet sich ein besonderer Erinnerungsort von Lieselotte Deichsel. Dort stand bis Mitte der 1940er Jahre die Waldgaststätte „Rast am Eckersprung“, von Wanderern und Wintersportlern kurz „Kaffeeklappe“ genannt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie aufgrund ihres Standortes nahe der Grenzlinie, die Deutschland für Jahrzehnte trennen sollte, abgerissen. Während an jener Stelle am Goetheweg heute nur noch wenige Reste der Grundmauern zu entdecken sind, existiert der einst beliebte Treff in den Erinnerungen älterer Harzer so wie sie ihn damals erlebt haben.

Für Lieselotte Deichsel bedeutete die „Kaffeeklappe“ immer sehr viel mehr als für jene, die dort gern einkehrten. Denn ihre Großeltern Valentin und Anna Volkmar hatten zunächst eine Erfrischungshalle Ende der 1920er Jahre am Goetheweg errichtet.

Nach dem Tod des Großvaters sprang Sohn Paul ein, der dann 1938 heiratete und fortan mit seiner Frau Elisabeth das von ihnen zur Waldgaststätte ausgebaute Häuschen bewirtschaftete. „Ich verbinde mit dieser Zeit viele schöne Erinnerungen“, so Lieselotte Deichsel, „ich weiß aber auch um die harten Jahre, die meine Mutter meisterte, als ihr Mann einberufen wurde, aus dem Krieg nicht wieder heimkehrte und sie später um ihr Eigentum kämpfen musste.“

Am Tag nach ihrem 81. Geburtstag wollte die Ilsenburgerin nun auf besondere Weise an die Zeit mit ihren Eltern und an die „Kaffeeklappe“ erinnern. Am liebsten hätte sie ihren lang gehegten Wunsch an dem alten Standort realisiert, was jedoch logistisch nicht möglich gewesen wäre. So nutzte sie für ihr Vorhaben eine neue und bei Wanderern beliebte Rast, die Rangerstation Scharfenstein.

Mit Harzer Folklore begeisterten die „Ilsenburger Harzgeister“ bei dem herbstlichen Open-Air-Konzert ihre Zuhörer. Zu dem Quartett mit Mutter Deichsel und deren Töchtern Carola, Dorette und Andrea gesellte sich die singende Hexe Dolinda Leander, eine gute Freundin der Familie. Das kurzweilige Programm wurde außerdem bereichert durch Sohn Henrik alias Tannhausen. Er entlockte seinem den meisten Zuhörern unbekannten Instrument Hang, das er an dem Tag „Brockenharfe“ nannte, zarte und sphärische Klänge. Mit ihren leichtenSchritten tanzte Enkelin Maria zur Titelmusik von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ über die Wiese.

„Ich bin allen so dankbar, die geholfen haben, meinen Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen“, sagte Lieselotte Deichsel und nennt neben den Akteuren ihre Söhne Christoph und Tobias sowie Enkel Maxemilian, die bei der Organisation und beim Aufbau geholfen haben, sowie Ingrid und Norbert Schön, die für die Technik verantwortlich waren. „Wenn ich schon mal beim Dankesagen bin, dann möchte ich meinen Mann Reinhold nicht vergessen, der mein Hobby immer sehr unterstützt hat. Immerhin mache ich schon seit über 50 Jahren Musik, davon 24 Jahre mit meinen Töchtern als ,Ilsenburger Harzgeister‘. Meine große Familie und viel Musik haben dazu beigetragen, dass ich auf 81 sehr schöne Jahre zurückblicken kann.“

Lieselotte Deichsel hätte sich gewünscht, dass auch ihr Bruder Hans, der 2002 gestorben ist, diesen Tag des Erinnerns, des Nachdenkens, des Dankes und der Freude hätte miterleben können. „Er war schon als Kind ein guter Skiläufer und machte dem Namen Volkmar alle Ehre. Damit begab er sich sozusagen in die Skispur seines Vaters Paul, der mehrfacher Meister im Langlauf war. Genau wie ich war Hans mit der ‚Kaffeeklappe‘ eng verbunden. Schön, dass seine Tochter Martina heute mit von der Partie gewesen ist.“

Zaungäste des Konzerts, bei dem mehr als 200 Euro für traumatisierte Kinder gespendet wurden, waren nicht nur Wanderer, die zufällig den Weg kreuzten, sondern auch Senioren, die an dem Tag von Rangern durch den Nationalpark geführt wurden.