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„Landshut“ Irrflug endet in Fortaleza

Die 1977 von der RAF entführte „Landshut“ rostet auf einem Flugzeug-Friedhof in Brasilien vor sich hin.

Von Georg Ismar 15.02.2017, 23:01

Fortaleza (dpa) l Die „Landshut“ steht schon auf dem Friedhof. Eingezwängt zwischen zwei anderen Flugzeugen, die hier vor sich hingammeln. Wer am Flughafen Pinto Martins in Fortaleza, im äußersten Nordosten Brasiliens landet, kann ganz am Ende der Piste in der Ferne einen kleinen „Cemitério de Aviões“ erblicken. Ein Abstellplatz für ausrangierte Maschinen, im Volksmund „Flugzeug-Friedhof“ genannt.

Es ist Sperrgebiet und gar nicht so leicht, dort näher heranzukommen. Die einstige „Landshut“, vor vierzig Jahren im „Deutschen Herbst“ von Terroristen gekapert, sozusagen ein Dokument der Zeitgeschichte, hat nur noch wenig mit dem Lufthansa-Flugzeug von damals gemein. Die gräuliche Außenhaut ist verwittert, der Passagierraum ohne Sitze, Kabinenfenster zugeklebt, die Reifen platt. Die Boeing 737 war nach mehreren Eigentümerwechseln zuletzt in Brasilien als Transportflugzeug unterwegs. Seit 2008 ist sie flugunfähig, in trostlosem Zustand der Verschrottung geweiht. Der Flughafen steht vor der Privatisierung, das Verfahren wurde 2016 von der Regierung eingeleitet. Spätestens dann könnte das Ende für die hier stehenden ausrangierten Maschinen kommen, heißt es in Fortaleza.

„Es gibt Gerüchte, die deutsche Regierung versucht das Flugzeug zu kaufen“, sagt Geraldo de França Júnior von der Flughafenfeuerwehr, als er auf dem Flughafen von Fortaleza auf den „Friedhof“ zeigt. Seit neun Jahren steht die Maschine hier, lange in Deutschland vergessen.

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) betont, die „Landshut“ sei „eine lebendige Zeugin eines wichtigen Moments der Geschichte der jungen Bundesrepublik“. Daher werde eine Rückkholaktion geprüft, Delegierte des Bundeskriminalamtes waren bereits vor Ort.

Als er von der „Landshut“-Geschichte erfährt, liest Geraldo de França Júnior erstmal auf dem Handy einen portugiesischen Wikipedia-Eintrag zum „Voo Lufthansa 181“. Rückblick, 13. Oktober 1977: Auf dem Weg von Mallorca nach Frankfurt kapern vier palästinensische Terroristen die Boeing 737. Zu dem Zeitpunkt ist Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer schon fünf Wochen in der Gewalt der Rote-Armee-Fraktion (RAF). Mit der „Landshut“-Entführung wollen die Gesinnungsgenossen den Druck für eine Freilassung der in Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen entscheidend erhöhen. Ohne Freilassung sollen die 82 Passagiere und fünf Crewmitglieder getötet werden. Für Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) sind es die schwersten Tage seiner Amtszeit.

Es folgt eine Odysee von Flug LH 181 über Italien, Zypern, Dubai, Jemen bis nach Somalia. Mahmud, wie sich der Anführer des Kommandos „Martyr Halimeh“ nennt, erschießt im südjemenitischen Aden Kapitän Jürgen Schumann – nachdem dieser das wegen einer gesperrten Landebahn auf einer Sandpiste notgelandete Flugzeug draußen inspiziert hatte.

Co-Pilot Jürgen Vietor fliegt die „Landshut“ weiter nach Mogadischu. Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski erreicht mit seinen guten Kontakten in der arabischen Welt die Einwilligung in den Einsatz der GSG-9 auf somalischen Boden. Der Spezialeinheit gelingt eine perfekte Operation – Codename: „Feuerzauber“. Am Morgen des 18. Oktober 1977 erstürmt die GSG-9 die Maschine: Keine Geisel wird verletzt, drei Geiselnehmer sterben, die Terroristin Souhaila Andrawes überlebt. Nach nur sieben Minuten kann Wischnewski Schmidt das glückliche Ende vermelden. Wenig später werden die RAF-Mitglieder Jan-Carl Raspe, Gudrun Ensslin und Andreas Baader tot in ihren Zellen aufgefunden.

In Fortaleza kennt fast niemand diese Story. Wie konnte die Maschine überhaupt hier stranden? Von 1970 bis 1985 war die Boeing 737 für die Lufthansa im Einsatz, dann als „John Adams“ für Presidential Airways in den USA.

Sie wurde anschließend vom Passagier- zum Frachtflugzeug, flog nach Angaben der Fachseite „planespotters.net“ für TAN Honduras, die französische L‘Aéropostale, in Malaysia und Indonesien, bis sie 2002 an TAF Linhas Aereas im brasilianischen Fortaleza ging. Aufgrund eines schweren Defekts am 14. Januar 2008 wurde das Flugzeug (letztes Kennzeichen: PT-MTB) nach 38 Jahren Dienst und Zehntausenden Flügen für fluguntauglich erklärt. Da die Airline 2010 den Betrieb wegen Lizenzentzug einstellen musste, rottet der Flieger vor sich hin.

Wäre es überhaupt realistisch, eine Boeing 737 von Fortaleza nach Deutschland zu verschiffen?. „Wir haben hier eine andere alte Maschine, die gerade verkauft worden ist und bald demontiert wird, um sie in ein Privatmuseum in Paraná zu bringen“, sagt Feuerwehrmann França Júnior. Der Preis: 100 000 Reais für den Kauf plus in noch einmal so viel für die Demontage, das wären insgesamt rund 60 300 Euro. Samt Transport könnte die „Landshut“ so vielleicht für unter einer Million Euro nach Deutschland kommen.