1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Österreich braucht Brückenbauer

Nach der Wahl Österreich braucht Brückenbauer

Präsident Alexander Van der Bellen fordert nach der Wahl eine andere politische Kultur. Die FPÖ will derweil das Wahlergebnis überprüfen.

Von Matthias Röder und Sandra Walder 23.05.2016, 23:01

Wien (dpa) l Plötzlich wirkt alles friedlich und entspannt. Nach einem Polit-Krimi sondergleichen herrscht am Montagabend im Garten des Palais' Schönburg in Wien die wohlige Atmosphäre einer gelungenen Gartenparty. Eine gute Stunde nachdem Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka endlich das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl verkündet hat, tritt der künftige Staatschef vor die Presse. Es ist schon in diesem Moment ein Auftritt mit Symbol-Charakter: Hinter Alexander Van der Bellen weht nicht nur die rot-weiß-rote Fahne der Alpenrepublik, sondern auch die blaue Europaflagge mit ihren zwölf Sternen.

„Österreich hat bewegte Stunden hinter sich“, beginnt der 72-jährige Van der Bellen im dunklen Anzug sein zehnminütiges Statement. Dabei wirbt der Wirtschaftsprofessor für das Gemeinsame und eine neue Gesprächskultur – auch gerade mit Blick auf die vielen Wähler der rechten FPÖ, deren Kandidat Norbert Hofer mit 49,7 Prozent knapp verloren hat. Offenbar fühlten sich viele Menschen „nicht ausreichend gesehen oder gehört oder beides“, sagte er. „Wir werden eine andere Kultur brauchen.“ Politik müsse sich den realen Sorgen und Nöten der Menschen zuwenden. Statt von einem Graben, der Österreich trenne, spreche er lieber von zwei Hälften, die beide zu Österreich gehörten. „Die eine Hälfte ist so wichtig wie die andere.“

Österreichs neuer Kanzler Christian Kern (SPÖ) sagte in einer ersten Reaktion, dass die Regierung den Protest der Wähler verstanden habe: „Wie haben gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass sich kein Wähler als Verlierer sieht.“

Van der Bellen muss nun Brücken bauen. Wenn er seine Gegner mittel- und langfristig gewinnen will, muss er deren Angst vor dem sozialen Abstieg, vor Arbeitslosigkeit, vor einer Verschlechterung der Lebensqualität ernst nehmen. Auch in den eigenen Reihen muss er noch stärker überzeugen. 48 Prozent seiner Wähler haben ihm vor allem deshalb ihre Stimme gegeben, weil sie Hofer verhindern wollten. „Van der Bellen ist für viele zu links, bürgerliche Wähler auf dem Land taten sich schwer“, meinte die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle.

Die FPÖ kann sich nun damit trösten, dass sie sich nicht nur nach ihrer Lesart mit dem Verlauf der Bundespräsidentenwahl ohnehin Verdienste um das Land erworben hat. Kanzler Werner Faymann (SPÖ) warf nach dem Elf-Prozent-Debakel des SPÖ-Kandidaten in der ersten Runde und des gleichzeitigen FPÖ-Triumphs selbst das Handtuch.

„Mit seinem Sieg im ersten Wahlgang hat Hofer das ausgelöst, worauf Millionen Österreicher gehofft haben“, sagte der Chef des Meinungsforschungsinstituts OGM, Wolfgang Bachmayer.

Dafür hat die FPÖ jetzt mit Christan Kern als Bundeskanzler und künftigen SPÖ-Chef ein anderes politisches Kaliber vor der Nase. Vielleicht ein Eigentor, wie manche Beobachter in Wien meinen. Erst am Dienstag will die FPÖ sich wieder äußern – unter anderem zur Frage, ob sie die knapp ausgegangene Wahl anfechten wird.