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Altersversorgung Streit um Zukunft der Rente

Die Rente wird wohl Wahlkampfthema. Gewerkschaften, Arbeitgeber und Politiker bereiten sich auf Kämpfe vor.

01.08.2016, 23:01

Berlin (dpa) l Für Millionen Bundesbürger ist das Thema hochsensibel – und nach der Sommerpause wird es bei der Rente ernst. Noch ist völlig ungeklärt, ob Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) mit ihrem Gesetzesvorschlag für eine Ost-West-Rentenangleichung bis 2020 beim Koalitionspartner durchkommt. Da nimmt bereits der Streit um die Zukunft der gesetzlichen Rente insgesamt an Schärfe zu.

Die Koalition hat es vor allem SPD-Chef Sigmar Gabriel zu verdanken, dass sie das heikle Thema Rentenniveau auf dem Tisch hat. Im Frühjahr kündigte er einen Kurswechsel weg von der Reformagenda unter Ex-Kanzler Gerhard Schröder an – das Rentenniveau müsse, so der SPD-Vorsitzende, stabilisiert werden. CSU-Chef Horst Seehofer forderte höhere Bezüge für breite Schichten – die Rentendebatte war da. Nahles blieb nichts anderes übrig, als die heikle Angelegenheit in die Hand zu nehmen, schon allein, um die Debatte zu kanalisieren. Mit steigender Spannung wird ihr für Herbst versprochenes Rentenkonzept erwartet.

Nach den Sommerferien wollen die Gewerkschaften den Druck auf die Politik stark erhöhen - mit groß angelegten Kampagnen für ein höheres Rentenniveau. Gabriels und Seehofers Vorstöße zeugen „von einer gewissen Nervosität“, sagt Verdi-Chef Frank Bsirske. „Die ist auch angebracht.“ Bsirskes Diagnose: „Die Gesellschaft wird reicher und reicher, doch sie scheint ärmer und ärmer zu werden. Diese Paradoxie werden die Menschen nicht mehr akzeptieren.“

DGB, IG Metall, Verdi und Co. haben zwei Ziele, wenn sie in den kommenden Monaten für einen Kurswechsel in der Rente mobil machen wollen: den Kampf gegen Altersarmut, aber auch eine auskömmliche Rente für die Mittelschicht. Die Politik – so das Kalkül der Gewerkschaftsbosse – soll die Debatte vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr nicht mehr loswerden.

Bei den Arbeitgebern ist man alarmiert. Die Volksparteien leiden unter AfD-Konkurrenz und sinkendem Zuspruch. Den Ausweg dürften sie nun nicht in teuren Rentengeschenken suchen, warnt der einflussreiche Verband Gesamtmetall. „Schon heute investiert der Staat nicht genug in die Zukunft“, sagt Hauptgeschäftsführer Oliver Zander. „Alles, was das Wachstum befördert, könnte nicht mehr finanziert werden.“

Was würde es kosten, wenn das Rentenniveau, das Verhältnis von Rente zum Einkommen, wieder so hoch wäre wie in Zeiten vor der Reformagenda 2010? „Für ein Rentenniveau von 53 Prozent müsste der Beitragssatz auf 25 Prozent steigen und der Bundeszuschuss müsste auf über 100 Milliarden Euro wachsen“, warnt Zander. Heute liegt das Rentenniveau bei knapp 48 Prozent, der Beitragssatz bei 18,7 Prozent, der Bundeszuschuss noch unter 90 Milliarden. „Pro Jahr hätten wir einen finanziellen Mehrbedarf von 50 bis 60 Milliarden Euro“, mahnt Zander.

Bsirske macht eine ganz andere Rechnung auf: „Ein Babyboomer des Jahrgangs 1964, der 2012 2500 Euro brutto verdiente, kann nach 40 Arbeitsjahren 2030 nur mit einer Rente von 786 Euro rechnen.“ Ein Drittel der Beschäftigten hätte sogar noch weniger Einkommen. „Elf bis zwölf Millionen Arbeitnehmer laufen auf Hartz-IV-Anspruch im Alter und Altersarmut zu“, mahnt er. „Hier tickt eine soziale Zeitbombe.“

Alle Seiten schüren Ängste und Hoffnungen. Für Oktober hat Nahles Arbeitgeber, Gewerkschaften und Sozialverbände zu einem Spitzentreffen zur gesetzlichen Rente eingeladen. Alles kann auf den Tisch: Rentenniveau, eine Lebensleistungsrente zur Aufwertung von Minirenten, Rentenformel. Klar ist: Je gründlicher Renten der Zukunft verbessert werden, desto stärker belastet es Beitrags- oder Steuerzahler.

Daneben verhandeln Sozial- und Finanzministerium weiter um das Vorhaben einer Verbreitung der Betriebsrenten. Denn wenn betriebliche und private Vorsorge gestärkt werden, so die Hoffnung, nimmt das den Druck von der gesetzlichen Rente. Dass so Erwartungen und Emotionen beim Thema Rente gedämpft werden können, glaubt kaum jemand.