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Präsidentschaft Der „kleine Ben“ überrascht die Großen

Benoit Hamon tritt für die Sozialisten bei der französischen Präsidentenwahl an. Er hat große Aufgaben vor sich.

30.01.2017, 23:01

Paris (dpa) l Vor der französischen Präsidentenwahl werden Toppolitiker ganz schnell zu Verlierern. Nun gehört auch Manuel Valls dazu, der einst stolze Premier von François Hollande. Der 54-Jährige zog bei der Vorwahl der Sozialisten gegenüber dem Parteilinken Benoît Hamon den Kürzeren und muss sich von der Macht verabschieden. Denn er ist weder Regierungschef noch Spitzenkandidat für die Nachfolge des glücklosen Präsidenten Hollande.

Hollande selbst scheiterte an riesigen Herausforderungen im Élyséepalast und verzichtete schon im Dezember überraschend darauf, wieder anzutreten. Bei der bürgerlichen Rechten flogen sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy und Ex-Premierminister Alain Juppé aus dem Rennen.

„Die wahren Überraschungen liegen noch vor uns“, meint die Tageszeitung „Le Figaro“. Drei Monate vor der Abstimmung sei deren Ausgang unsicher wie selten zuvor. „Nichts ist geschrieben“ – dieses Motto von Valls gilt offensichtlich weiter.

Diese Zitterpartie betrifft nicht nur Frankreich. Ein Sieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen hätte auch katastrophale Folgen für die ohnehin angeschlagene EU. Denn die 48-jährige Chefin der rechtsextremen Front National (FN) will ihre Landsleute im Falle eines Sieges – ganz nach britischem Vorbild – über einen Austritt aus der Union abstimmen lassen.

Einen Lichtblick gibt es: Nach langen Vorwahlen bei der bürgerlichen Rechten und der Parti Socialiste (PS) mit ihren verbündeten Parteien haben die Franzosen nun allmählich Klarheit über das Bewerberfeld.

Laut einer aktuellen Umfrage für „Le Figaro“ und andere Medien liegt Le Pen beim ersten Wahlgang im April mit 25 Prozent der Stimmen vorne. In der entscheidenden zweiten Runde im Mai wird sie hingegen bei allen Szenarien geschlagen.

Es folgt François Fillon, der konservative Spitzenkandidat, der Einbußen wegen der „Job“-Affäre um eine angebliche Scheinbeschäftigung seiner Frau Penelope einstecken musste. Noch im November galt der Ex-Premier aus dem ländlichen Nordwesten des Landes als quasi automatischer Gewinner – diese Gewissheit ist verflogen.

Dicht auf den Fersen Fillons ist mit 21 Prozent der Überraschungsstar des Wahlkampfs, Emmanuel Macron. Der unabhängige Kandidat, der sein Parteibuch der Sozialisten längst abgegeben hat, profitiert vom Linksrutsch der Sozialisten nach der Hamon-Kür. Sozialdemokratisch orientierte Politiker der PS dürften in sein Lager schwenken.

Auch Fillon wird langsam nervös: „Sein Gegner war Macron“, sagte der Politikwissenschaftler Martial Foucault dem Radiosender Franceinfo mit Blick auf die Wahlkampfrede Fillons. Der 62-Jährige wirft Macron vor, das Programm Hollandes entworfen zu haben, und urteilt scharf: „Das ist der Prototyp von Eliten, die nichts von der tiefen Wirklichkeit unseres Landes kennen.“

Inmitten einer sich polarisierenden politischen Landschaft werde die Mitte eigentlich nur von Macron besetzt, meinen Kommentatoren. Denn es ist weiter offen, ob der Zentrumspolitiker François Bayrou wieder antritt. Vor fünf Jahren holte der in Frankreich bekannte Politiker in der ersten Runde immerhin rund neun Prozent der Stimmen.

Frankreichs Sozialisten haben einen unauffälligen Rebellen aufs Schild gehoben. Die Zeitung „Le Monde“ schrieb über Benoît Hamon einmal: „Er ist derjenige, den man im Fernsehen sprechen sieht, ohne zwingend seinen Namen zu behalten.“ Lange hatte kaum jemand den gebürtigen Bretonen als Vorwahl-Sieger auf dem Zettel. Doch nun steuert der 49-Jährige die schwer angeschlagene Partei des gescheiterten Staatschefs François Hollande nach links.

Der „kleine Ben“, wie Hamon teils genannt wurde, hat es den vermeintlich Großen seiner Partei gezeigt. Die Anhänger der Sozialisten wählten einen programmatischen Neuanfang.

Zu seinen schlagzeilenträchtigsten Forderungen gehören ein bedingungsloses Grundeinkommen und eine Steuer auf die Wertschöpfung durch Roboter, um der zunehmenden Automatisierung der Produktion zu begegnen. Außerdem vertritt er explizit „grüne“ Positionen und will seine Partei auf den ökologischen Umbau der Wirtschaft einschwören.

Hamon sieht sich in einer Reihe mit Bernie Sanders in den USA, dem britischen Oppositionschef Jeremy Corbyn und der Linkspartei Podemos in Spanien. Der rechte Parteiflügel sieht die Kandidatur skeptisch – eine der schwierigsten Aufgaben für Hamon dürfte es jetzt sein, ein Auseinanderfliegen seiner Partei zu verhindern. Ob Hamon mit dem von der Kommunistischen Partei (PCF) unterstützten Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon und dem Spitzenkandidaten der Grünen, Yannick Jadot, ein linkes Bündnis formen kann, ist offen. Hamon werden zurzeit 15 Prozent zugetraut, Mélenchon zehn Prozent.