1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Schulz warnt vor Zerfall Europas

Krise der EU Schulz warnt vor Zerfall Europas

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) kritisiert in Magdeburg die egoistische Politik vieler Mitgliedsstaaten.

15.01.2016, 23:01

Magdeburg l Die Menschen fühlen dieser Tage ein tiefes Unbehagen gegenüber so ziemlich allen politischen Institutionen, die es gibt. Sie haben das Gefühl, die Politik kommt weder auf nationaler Ebene noch auf europäischer Bühne mit Problemen wie der Zuwanderung zurecht. So fasst Martin Schulz gleich zu Beginn seines Gastvortrags am Freitag an der Universität Magdeburg das politische Klima in Europa zusammen.

„Durch dieses Unbehagen der Menschen erleben wir derzeit eine Hochkonjunktur für politische Rattenfänger“, so der SPD-Politiker mit Blick auf die Wahlsiege der rechten Nationalen Front in Frankreich und der Nationalisten in Polen. Die Unzufriedenheit drücke sich auch in den hohen Umfragewerten für die AfD in Deutschland aus. Mit den plumpen Parolen ließen sich aber weder die Flüchtlingskrise noch die wirtschaftlichen Herausforderungen meistern. „Ums eigene Land einen Zaun zu ziehen, ist von geistiger Flachheit, die mich schockiert“, so Schulz. Flüchtlinge, die vor Tod und Terror fliehen, würden sich von Zäunen nicht aufhalten lassen. „Die Nationalisten haben für alles einen Sündenbock, aber sie bieten keine Lösungen an.“

Statt weiter über Obergrenzen und Zäune zu debattieren, müssten sich die EU-Mitgliedsländer endlich stärker um Solidarität bemühen. „Wir hätten keine Flüchtlingskrise, wenn alle 28 Staaten Menschen aufnehmen würden“, erklärt Schulz. „Die Krise haben wir nur deshalb, weil sich lediglich fünf Staaten bereiterklärt haben, zu helfen.“ Sollte sich die Haltung der restlichen 23 Länder nicht ändern, könnte dies das Ende der europäischen Zusammenarbeit einläuten. „Solidarität ist keine Einbahnstraße, auf diesem Prinzip muss die EU aufbauen – oder sie geht harten Zeiten entgegen“, so Schulz.

Auch wenn es unpopulär sei, bedürfe es ein Mehr an europäischer Zusammenarbeit, nicht nur in der Flüchtlingskrise: „Unsere Wirtschaftsinteressen können wir im globalen Wettbewerb nur in der europäischen Gemeinschaft verteidigen“, betont Schulz. Gerade Deutschland als Exportnation könnte seinen Wohlstand und seine Arbeitsplätze als kleiner Einzelkämpfer in der Welt nicht bewahren. „Wir wären ein kleiner Spielball für Chinesen und Amerikaner.“

Der Parlamentspräsident räumt dabei auch ein, dass vieles an der EU zu Recht bemängelt werde, Brüssel eine Mitverantwortung am Vertrauensverlust vieler Menschen trage. „Die EU ist überbürokratisiert und es ist frustrierend, wenn Probleme nicht gelöst werden“, so Schulz. Die Gemeinschaft deshalb abzuschaffen, sei jedoch der falsche Weg. Vielmehr müsse daran gearbeitet werden, die Unzulänglichkeiten zu beseitigen.

Konkret nimmt Schulz hier auch die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer in die Pflicht. Diese würden viel zu oft wichtige Entscheidungen vertagen, weil ihnen der Einigungswillen fehle. Oftmals spielten hierbei nationale Interessen eine unrühmliche Rolle. „Künftig sollten die Regierungschefs deshalb nur noch die großen politischen Linien vorgeben und die Hauptarbeit der EU-Kommission und dem Parlament überlassen.“

Um den Menschen ihr Unbehagen insbesondere in der Flüchtlingskrise zu nehmen, sei es wichtig, dass die Politik Probleme beim Namen nenne und um nachhaltige Lösungen ringe. „Die Vorfälle in Köln waren ein echter Schlag“, so Schulz. Statt plumper Parolen sei aber eine echte Debatte um Lösungen nötig, die ein friedliches Zusammenleben ermöglichen. „Das funktioniert nicht von alleine, das muss immer wieder ausgehandelt werden.“

Er selbst wisse aus seiner Zeit als Bürgermeister von Würselen in Nordrhein-Westfalen, was es heißt, Tausend Flüchtlinge zu integrieren. „Die Landräte und Bürgermeister in Deutschland haben deshalb meinen größten Respekt.“ Eine Alternative, um sich nicht der Herausforderung der Integration zu stellen, gebe es allerdings nicht.