1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Die Lehren aus Erfurt

Amoklauf Die Lehren aus Erfurt

Das Schulmassaker am Erfurter Gutenberg-Gymnasium liegt 15 Jahre zurück. Nach dem Amoklauf änderte sich einiges.

25.04.2017, 23:01

Erfurt (dpa) l Am 26. April 2002 wird die Ärztin Simone Liebl-Biereige nach einem anstrengenden Nachtdienst von Telefonklingeln geweckt. „Am Gutenberg-Gymnasium wird geschossen“, ruft ihr eine aufgeregte Stimme ins Ohr.

15 Jahre liegt es zurück, dass sich in der thüringischen Landeshauptstadt ein in dieser Dimension in Deutschland bis dahin nicht gekanntes Schulmassaker ereignet. Innerhalb einer knappen Viertelstunde erschießt ein 19-Jähriger in der Schule 16 Menschen, bevor er sich selbst tötet.

Am Mittwoch, 26. April, erinnert die Schule in einer Gedenkveranstaltung an die Opfer, dabei soll auch eine eigens dafür gegossene Schulglocke erklingen.

Liebl-Biereige gehört zu den Notärzten, die in der Schule im Einsatz sind. Sie hat die Bilder von damals noch vor Augen. „Mein Auftrag lautete, nach verletzten Schülern zu suchen“, erzählt die heute 47-Jährige, die unter dem Schutz eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) in das Schulgebäude kommt. Hilfe leisten kann sie nicht mehr.

Elf Lehrer, eine Referendarin, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizisten hat der Amokschütze, ein ehemaliger Schüler des Gymnasiums, getötet. Die Toten liegen im Sekretariat, im Treppenhaus, in Unterrichtsräumen.

Auch eine frühere Lehrerin der Ärztin ist unter ihnen. Die Opfer hätten vor allem Kopf- und Bauchverletzungen erlitten, beschreibt die Ärztin. Teilweise seien die Schüsse aus nächster Nähe abgegeben worden. „Es war wie eine Hinrichtung.“

Der 19-Jährige, Mitglied in einem Schützenverein und deshalb zum Waffenbesitz berechtigt, war kurz vor der Tat wegen eines gefälschten Arzt-Attests von der Schule verwiesen worden.

Am Gutenberg-Gymnasium lernen heute 650 Schüler, 15 der 55 Lehrer haben die Tragödie miterlebt. Nicht alle wollten über ihre Erlebnisse sprechen, sagt Dominik, ein 17 Jahre alter Schüler, der kurz vor dem Abitur steht. „Niemand war damals auf ein solches Ereignis vorbereitet“, sagt die Medizinerin Liebl-Biereige, die sich vor allem an Kommunikationsschwierigkeiten unter den zwei Einsatzleitungen erinnert.

Während SEK-Kräfte auf der Suche nach einem vermeintlichen zweiten Täter mehrere Stunden lang jeden einzelnen Raum durchkämmten, konnten Rettungskräfte nicht ins Gebäude. In Klassenzimmern harrten völlig verängstigte Schüler teils bis zum Nachmittag aus, unter ihnen auch zwei Neffen der Ärztin.

Das Gutenberg-Gymnasium ist seit einem Umbau nach dem Schulmassaker mit einem modernen Informationssystem ausgestattet, über die Warnungen in jeden einzelnen Raum in dem Gebäude durchgegeben werden können.

Vielerorts sei noch indes noch einiges zu tun, findet Christiane Alt, damals wie heute Direktorin des Gutenberg-Gymnasiums. „Es ist erstaunlich, dass es 15 Jahre danach immer noch Bedarf gibt.“