Millionen-Zoff Nordzucker in der Zange

Nach illegalen Wettbewerbsabsprachen fordern Firmenkunden Schadenersatz. Dabei schreibt Nordzucker ohnehin rote Zahlen.

06.09.2015, 23:01

Magdeburg l Fast 15 Jahre lang hat Nordzucker mit seinen zwei deutschen Konkurrenten Südzucker und Pfeifer & Langen die Preise abgesprochen. Dafür musste das Unternehmen bereits ein Bußgeld von rund zehn Millionen Euro beim Bundeskartellamt blechen. Die Strafe fiel gering aus, weil Nordzucker mit den Kartellwächtern während der Ermittlungen kooperierte und als Kronzeuge auftrat. Südzucker dagegen wurde zu 195 Millionen Euro verdonnert. Den Kunden der Zuckerproduzenten reichen die Kartellstrafen allerdings nicht aus, sie fordern nun Schadenersatz.

Vor dem Kölner Landgericht klagen die Markenhersteller Bauer, Ehrmann und Zentis. Sie fordern fast 120 Millionen Euro. Der Nestlé-Konzern will vor dem Landgericht Mannheim 50 Millionen Euro erstreiten, Katjes verlangt gut 37 Millionen Euro. Dem Kartellrechtsexperten Johann Brück zufolge könnte die Gesamtsumme rund 500 Millionen Euro erreichen, denn ständig kommen weitere Klagen hinzu.

Wie viel Geld Nordzucker im Zweifelsfall aufbringen muss, ist noch unklar.

Die Prozesse kommen für Nordzucker zu einer Unzeit. Im ersten Geschäfts-Quartal dieses Jahres hat das Unternehmen 6,9 Millionen Euro Verlust gemacht, der Umsatz sackte um 25 Prozent auf 374 Millionen Euro ab. Das Unternehmen leidet unter den niedrigen Zuckerpreisen in Europa, bereits 2014 hat Nordzucker heftige Gewinn- und Umsatzrückgänge hinnehmen müssen.

Und es sieht nicht danach aus, als würden sich die Zuckerpreise bald erholen. Seit vier Jahren wird weltweit mehr Zucker produziert, als verbraucht wird. Allein in der EU betrug der Überschuss im vergangenen Jahr 1,5 Millionen Tonnen. Darüber hinaus läuft im Herbst 2017 die Zuckermarktordnung aus. Geregelte Produktionsquoten und Preise zum Schutz vor ausländischer Konkurrenz wird es dann nicht mehr geben.

Das Nordzucker-Management gibt sich angesichts der Probleme betont gelassen. Die Schadenersatzklagen seien unberechtigt, den Kunden sei kein Schaden durch das Kartell entstanden, heißt es offiziell aus Braunschweig.

Nordzucker ist allerdings schon auf Kunden zugegangen, um sie zu einem Klageverzicht zu bewegen. Das Unternehmen hat unter anderem günstigere Konditionen bei künftigen Zuckerlieferungen in Aussicht gestellt. Das zeigt, dass die Klagen sehr wohl ernstgenommen werden.

Insofern dürfte es auch ein taktisches Manöver sein, dass Nordzucker noch kein Geld für Prozessrisiken auf die hohe Kante gelegt hat. Konkurrent Südzucker hält die Klagen zwar offiziell auch für unberechtigt, hat aber in seiner Bilanz bereits Rückstellungen für „Prozesse und Risikovorsorge“ von mehr als 120 Millionen Euro aufgeführt. Sollte die Taktik von Nordzucker schiefgehen, könnte das Unternehmen von einem Tag auf den andern noch viel weiter in rote Zahlen rutschen, wenn es Millionen-Summen an Schadenersatz an seine Kunden zahlen muss.

Doch auch ohne Prozesse ist die Lage bei Nordzucker ernst. Das Management hat wegen der niedrigen Zuckerpreise ein Sparprogramm aufgelegt. Bis 2017 will das Unternehmen 50 Millionen Euro einsparen. Vorwiegend sollen Arbeitsabläufe effizienter organisiert werden, doch auch der Abbau von Arbeitsplätzen ist nicht ausgeschlossen. „Wenn sich im Rahmen unserer Analyse ergeben sollte, dass wir Prozesse verschlanken und dadurch auch Arbeitsplätze einsparen können, werden wir dies tun“, heißt es. Nordzucker beschäftigt derzeit nach eigenen Angaben 3300 Mitarbeiter.

Leiden müssen neben den Beschäftigten auch die Aktionäre bei Nordzucker, sie erhalten für ihre Anteile am Unternehmen deutlich weniger Dividende. Pro Aktie gibt es in diesem Jahr nur noch 10 Cent, zuvor gab es 1,30 Euro. Anders als bei anderen Unternehmen handelt es sich bei den Nordzucker-Aktionären nicht um irgendwelche Investoren. Von den rund 20 000 Aktionären ist jeder zweite ein Landwirt, der Zuckerrüben anbaut und an Nordzucker liefert. Rund 2000 Aktionäre kommen aus Sachsen-Anhalt, 700 von ihnen zählen zu den Rüben-Bauern.

Bislang bekommen die Landwirte die schwierigen Zeiten bei Nordzucker nur über die sinkende Aktien-Dividende zu spüren. Denn über die Zuckermarktordnung haben sie ein garantiertes Lieferrecht und erhalten pro Tonne Zuckerrüben einen Mindestpreis von 26,29 Euro. Ab 2017 ist es damit jedoch vorbei, dann wird der freie Markt Mengen und Preise bestimmen. Nordzucker erklärt hierzu: „Wir werden unsere Produktion entsprechend der Nachfrage planen, vom Markt her agieren und entscheiden.“

Für die Rüben-Landwirte bedeutet das, dass sie im schlechtesten Fall weniger Zuckerrüben an Nordzucker verkaufen können und für ihre Ernte weniger Geld bekommen.

Wie hart die Marktöffnung die Rüben-Bauern trifft, wird davon abhängen, ob sie zu den Nordzucker-Aktionären zählen und wie viele Anteile am Unternehmen sie besitzen. Trotz des Wegfalls der Zuckermarktordnung wird Nordzucker nämlich seinen Aktionären weiter einen Lieferanspruch für Zuckerrüben garantieren. Je mehr Anteile die Aktionäre am Unternehmen halten, desto mehr Rüben dürfen sie weiterhin liefern. Allerdings können sie keinen Mindestpreis mehr verlangen.

Landwirte ohne Nordzucker-Aktien stehen schlechter da, sie werden keinen Anspruch mehr auf die Abnahme von Rüben haben. Nordzucker wird je nach Marktlage nur noch „freie Mengen“ ausschreiben, wenn die Ansprüche der Aktionäre bereits abgedeckt sind. Die freien Mengen könnten dann Landwirte ohne Aktien liefern. Doch so mancher wird künftig wohl andere Pflanzen anbauen müssen, denn der Großteil der von Nordzucker benötigten Rüben wird von Aktionären angebaut werden.

Da Nordzucker grundsätzlich solide finanziert ist, dürfte es die harten Zeiten überstehen. Mit einer nachhaltigen Erholung, die sich auch in den Bilanzen widerspiegelt, rechnet das Unternehmen allerdings erst im Geschäftsjahr 2017/18.