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Volkswagen Abgas-Krise zwingt Städte auf Sparkurs

Über die Gewerbesteuern nehmen Städte und Gemeinden Geld ein. Dort, wo Volkswagen in der Nähe ist, dürften Preise nun oft anziehen.

29.08.2016, 23:01

Wolfsburg (dpa) l Den VW-Konzern nimmt sich wohl jede Stadt gerne zum Steuerzahler. In guten Zeiten zumindest. Schlechte Zeiten gehören aber auch dazu. Und die beginnen nun. Die Abgas-Krise setzt dem Autobauer heftig zu. Zweistellige Milliardensummen haben die Wolfsburger schon zurückgestellt für Vergleiche mit Kunden oder US-Behörden. Analysten wie Frank Schwope von der NordLB schätzen den absehbaren Schaden auf bis zu 35 Milliarden Euro. 2015 schrieb Volkswagen wegen des Skandals den höchsten Verlust seiner Firmengeschichte: fast 2 Milliarden Euro. Doch die Folgen ziehen weitere Kreise.

Aber man darf annehmen, dass Deutschlands größter Konzern, größter privater Arbeitgeber und größter Umsatzbringer auch bei den Steuern einen Superlativ bildet. Der „tatsächliche Steueraufwand Inland“ der Wolfsburger, zu dem mehrere Abgabenarten gehören, sackte von 2014 auf 2015 von mehr als zwei Milliarden Euro auf rund 800 Millionen Euro.

Die Folgen sind drastisch. Haushaltslöcher tun sich auf, mancherorts sind es wahre Krater. Die VW-Städte setzen daher Gebühren herauf und bitten die Bürger stärker zur Kasse. Für Familien kann es bei den Mehrkosten um vierstellige Summen pro Jahr gehen. Früher profitierten die Konzernstandorte, schöpften aus dem Vollen, subventionierten und förderten, was das Zeug hielt. Nun folgt die VW-Vollbremsung.

Dutzende Städte erhöhen als Ausgleich gegen die schlechten Zeiten die Abgaben, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Einige Beispiele ausgewählter Städte:

Wolfsburg: Die Elternbeiträge zur Kinderbetreuung steigen für Besserverdienende. Die Steuer für den ersten Hund steigt um 20 Prozent auf 96 Euro. Für einen zweiten oder dritten Hund sogar um 24 Prozent auf 144 und 168 Euro. Wer sein Auto in der Innenstadt auf städtischen Parkflächen abstellt, muss mehr bezahlen – 10 Cent pro Stunde. Ebenso wird das Baden teurer: Für das Freibad Fallersleben und das VW-Bad zahlen Erwachsene 3,50 Euro statt bisher 3,20 Euro. Es steigt auch der Grundsteuerhebesatz. Der Gewerbesteuerhebesatz, zuletzt erhöht 1980, soll nicht steigen.

Braunschweig: Das Parken in den städtischen Tiefgaragen hat sich seit den 1990er Jahren nicht verteuert. Nun steigen die Preise für öffentliche Parkplätze und städtische Tiefgaragen um 20 Prozent. Die Friedhofsgebühren steigen um durchschnittlich 20 Prozent.  Ebenfalls steigt der Grundsteuerhebesatz.

Osnabrück: Wegen defizitärer Finanzen steht die Stadt seit 2015 unter Haushaltsaufsicht. Grund- und Gewerbesteuern wurden erhöht und eine Zweitwohnsitzsteuer eingeführt. Zudem prüft Osnabrück bei den Abgaben fortlaufend Anpassungsmöglichkeiten, etwa im Bereich Marktstandsgelder und Kita-Gebühren.

Die Dieselkrise bei Volkswagen sorgt auch bei den deutschen Stadtkämmerern für Kopfzerbrechen. Wegen Verlusten bei Europas größtem Autobauer bricht den betroffenen Kommunen ein Großteil ihrer Einnahmen weg. Die Gewerbesteuer ist die tragende Säule der Gemeindefinanzen. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wie hoch ist die Bedeutung der Gewerbesteuer für die Kommunen?

Sehr hoch. Rund 42 Prozent des Steueraufkommens für die Gemeinden entfiel mit netto 38,4 Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf die Gewerbesteuer, nach Abzug der Gewerbesteuerumlage. Das sind 471 Euro pro Einwohner. Im wirtschaftsstarken Flächenland Hessen sind es 624 Euro pro Einwohner, in Mecklenburg-Vorpommern dagegen 250 Euro.

Wie funktioniert die Gewerbesteuer?

Die Gewerbesteuer muss von Gewerbebetrieben gezahlt werden und ist eine kommunale Steuer. Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer ist im Wesentlichen der Gewerbeertrag, also der Gewinn. Auf diesen können die Gemeinden individuelle Hebesätze anwenden. In Berlin beträgt dieser 410 Prozent, in Duisburg 510. Vergleichsweise günstig ist das Wirtschaften in mehreren Gemeinden in Ostdeutschland mit Hebesätzen von 200 Prozent. Mit den Gewerbesteuerhebesätzen sollen Gemeinden die Möglichkeit bekommen, ihren Standort für Unternehmen attraktiv zu machen – oder eben die Wirtschaft mit höheren Steuern zu belegen.

Welcher Standort erhält wie viel Gewerbesteuer von VW?

Aufgrund des Steuergeheimnisses machen die Kommunen keine genauen Auskünfte. Das Prozedere ist aber so: Laut Gewerbesteuergesetz muss der Volkswagen-Konzern seine für die Gewerbesteuer relevanten Erträge nach den Arbeitslöhnen an seinen Standorten aufteilen. Dabei sind die Arbeitslöhne bei 50 000 Euro je Mitarbeiter gedeckelt, damit nicht Orte bevorzugt werden, an denen vor allem ranghohe Manager ihr Geld verdienen. Braunatal bei Kassel nimmt den Großteil der Gewerbesteuer durch ein VW-Komponentenwerk ein. Hier sanken die Einnahmen von 72 Millionen Euro im Jahr 2014 auf 32 Millionen Euro im Jahr 2015.

Gibt es Kritik an der Gewerbesteuer?

Durchaus. Seit Jahren zum Beispiel gibt es vor allem von Arbeitgeberseite immer wieder Vorschläge, die Gewerbesteuer abzuschaffen und durch einen kommunalen Zuschlag auf Einkommens- und Körperschaftssteuer zu ersetzen. Das soll den Kommunen stabilere Einkünfte ermöglichen – die Gewerbesteuer ist konjunkturanfällig. Der Deutsche Städtetag etwa ist dagegen: Das belaste statt der Wirtschaft die Bürger. Die Kommunen hätten insbesondere mit den Hebesätzen ein wirksames Werkzeug, ihre eigenen Haushalte zu steuern.